Viel hilft viel

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Typ1-2-3
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Viel hilft viel

Beitrag von Typ1-2-3 »

Hier ein paar Bilder einer Uhr, bei dem es der letzte "Uhrmacher" besonders gut gemeint hat, mit dem Öl. Nach ein paar 20 Jahren sieht das dann so aus: Die Bilder kommen von dem Echappement und ein paar Rädern. Der Rest ist nicht besser. Diese Uhr steht übrigens nicht ohne Grund bei den elektrischen. Dazu später mehr...

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Die Spirale ist ein Gedicht!

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Nicht dass sie verbogen wäre. Aber so funktioniert sie nie und nimmer! Diese Teile werden erst mal mindestens einen Tag in Benzin eingelegt.

Übrigens verbirgt sich dahinter interessante Echappement-Technik. Aber erst, wenn man durch alles durchblicken kann, weil es wieder einigermaßen sauber ist...

Frank
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Typ1-2-3
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Re: Viel hilft viel

Beitrag von Typ1-2-3 »

Nachdem das Echappement zerlegt einen Tag in Benzin gelegen hat und anschließend noch in der Reinigungsmaschine war, kann man endlich sehen, was das ist. Und das ist interessant: Das Ankerrad versucht die Unruh mit konstanter Kraft anzutreiben. Habe so etwas noch nie gesehen, scheint also nicht sehr erfolgreich gewesen zu sein. Wie soll das also funktionieren. Hier das erste Bild:

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Die Auflösung ist zwar nicht so dolle, aber man kann doch erkennen, dass das Ankerrad nicht nur ganz einfach aufgebaut ist: Auf dem Trieb ist diese relativ starke Scheibe aufgenietet und außerdem noch eine kleine Scheibe in Flügelform, die von unten:

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Das Ankerrad selbst ist beweglich auf dem Trieb zwischen den Scheiben befestigt, es kann sich also drehen. Aber nur so weit, wie der kleine Stift (auf dem Flügel) zwischen den Schenkeln des Rades Platz hat. Die Spirale treibt das Rad immer wieder nach vorne. Der Erfinder hat sich wahrscheinlich folgendes dabei gedacht: Wenn der Anker auslöst, dann treibt das Ankerrad den Anker an. Weil aber die große Scheibe oben viel Masse hat, kann die Zugfeder der Uhr die Unruh nicht direkt antreiben. Denn ehe die Scheibe in Bewegung ist, hat das leichte Ankerrad, angetrieben von seiner Spirale die Unruh schon längst angetrieben. Ankerradtrieb mit Scheibe können nur langsam folgen und spannen bis zur nächsten Ankerauslösung die kleine Spirale wieder an. So weit so logisch, oder? Der Antrieb sollte so immer gleich sein, so lange die kleine Spirale immer wieder nachgespannt wird.

Jetzt kommt das große "Aber", weshalb das alles nicht zur vollen Zufriedenheit funktionieren kann (denn sonst wäre diese Hemmung bestimmt häufiger irgendwo zu finden gewesen): Bei der Auslösung wird das Ankerrad rückwärts getrieben, und diese Rückwärtskraft muss die Unruh aufwänden. Leider liegt aber dabei der kleine Stift am Ankerradschenkel an, und so muss die Unruh nicht nur das leichte Ankerrad, sondern auch die schwere Scheibe antreiben. So wird die Auslösung wesentlich erschwert, was für die Funktion der Ankerhemmung bestimmt nicht gut ist.

Bei guten Ankerhemmungen versucht der Konstrukteur, das Ankerrad möglichst leicht zu machen. Bei Taschenuhren wird z. T. sogar die Radscheibe dünner gedreht und nur die Zahnspitzen stärker gelassen, um bei der Auslösung möglichst wenig Kraft von der Unruh abzuziehen. Und nun das...

Das ganze Echappement sieht dann so aus:

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(PS: Die Spirale muss wohl noch gerichtet werden. Das sieht auf dem riesigen Bild aber schlimmer aus als auf dem Werktisch!)

Zu der Uhr, die das Ganze antreibt, später mehr.

Frank
karlo

Re: Viel hilft viel

Beitrag von karlo »

Als erstes muss ich zugeben Deine Begruendung nicht verstanden zu haben.
Vielleicht deshalb ein eigener Erklaerungsversuch:
Echappements haben die Eigenart ziemlich zickig auf unterschiedliche Kraft am Antrieb zu reagieren.
Koennte die Scheibe einfach als Daempfer bei hoeherem Antriebsdruck gedacht gewesen sein?

Karlo
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Typ1-2-3
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Re: Viel hilft viel

Beitrag von Typ1-2-3 »

Es geht weiter:

Echappement ist fertig. Leider habe ich bei einer Aufzugspule der Uhr festgestellt, dass der Innenanschluss herausgerissen ist. Keine Chance, die Sache so hinzubiegen, zumal die Uhr mit 230 V läuft. Also Spule abgewickelt und den inneren Anschluss neu angefertigt und wie original festgenietet. Es musste auch noch ein Pertinaxteil gebaut werden, aber das ging schnell. Die leere Spule mit dem inneren Anschluss sah dann so aus:

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Vor dem Abwickeln habe ich den Durchmesser des Wickels, den Drahtdurchmesser, den Widerstand der anderen, identischen Spule und die Wickelrichtung ermittelt. Vor dem Abwickeln habe ich den äußeren Stoffschutz abpräpariert, damit man den am Ende wieder festkleben kann. So merkt man nicht sofort, dass an der Spule etwas geändert werden musste. Die Windungszahl zu ermitteln (wohl mehrere 1000) habe ich nicht für nötig gefunden. Denn wenn Drahtdurchmesser und der Spulendurchmesser stimmen, kann das gar nicht so verkehrt sein. Anschließend kann man auch noch den Widerstand messen, um alles zu kontrollieren.

Weil die Spule innen einen eckigen Kern hat, musste ich (aus einem Rest-Besenstil) einen Adapter fertigen. Das musste nicht sehr genau sein, also reicht die Feile und Augenmaß. Fräsen wäre wirklich unnötig gewesen:

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Die Drehbank wurde dann auf die langsamste Geschwindigkeit gestellt, das innere Drahtende entlackt und festgelötet, und das Wickeln konnte beginnen:

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Mit der Hand kann man den Draht gut führen, wenn die Drehbank nicht zu schnell läuft. Ansonsten würde es warm...

Der Rohwickel stand am anderen Ende des Raumes. Da ich nicht unbedingt noch etwas basteln wollte, um die Spule unterzubringen, war Improvisationstalent gefragt. Wohl jeder wird die Maschine erkennen, die hier doch etwas zweckentfremdet wurde. Aber es ging gut.

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Nachdem Widerstand und Durchmesser der Spule stimmte, lötete ich noch auf den Wickel eine Thermosicherung ein, alles wurde wieder montiert, und der Stoffschutz wurde wieder festgeklebt. Da der Kleber noch nicht hart ist, kann man noch das Gummiband bewundern, das am nächsten Tag einfach aufgeschnitten werden kann.

Bild

Es handelt sich hier um ein Optima-Werk von Jauch und Schmidt. Früher häufig, heute selten geworden. Wie die Uhr komplett aussieht, davon später mehr. Dem Gehäuse nach sollte die Uhr aus den 20ger oder 30ger Jahren sein. Sie könnte in einem Flur einer Schule gehangen haben, aber das ist nur Spekulation.

Frank
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Typ1-2-3
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Re: Viel hilft viel

Beitrag von Typ1-2-3 »

Jetzt ist die Uhr fertig:

Das Werk gereinigt,
die Spule gewickelt,
die Rückwand hergestellt
Gehäuse poliert.

Bild

Hier noch ohne Rückwand für das Innengehäuse.

Um die Größenverhältnisse klar zu machen, habe ich mal eine normale Küchenuhr daneben gelegt.

Bild

Frank
KleineSekunde
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Re: Viel hilft viel

Beitrag von KleineSekunde »

Hallo Frank,

vielen Dank für den tollen Bericht und die separaten Informationen zur Anfertigung des Staubdeckels.

Ich gebe aber gerne zu, dass die Uhr für mich mit den "inneren Werten" überzeugen müsste...

Wie genau funktioniert denn der Aufzug bei der Uhr?

Vermutlich bewegt sich das bogenförmige Bauteil / das Gewicht bei dem Ablauf der Uhr nach unten (roter Pfeil) und bewegt dabei durch den mittig angeordneten Mitnehmerstift in der schlitzförmigen Aussparung in der runden, braunen Scheibe, den rot umrandeten Kontaktstift auf der runden Platte nach links (grüner Pfeil) bis das beweglich gelagerte, hufeisenförmige Bauteil durch die Federkraft dann nach links umspringt und den Kontakt auslöst, weil der längliche Gegenpol in dem rot umrandeten Bereich dann auf den runden Kontaktstift trifft.

Der Aufzug erfolgt dann wohl durch einen Motor und die genannten Bauteile bewegen sich dann in der entgegengesetzten Richtung. So lange, bis das hufeisenförmige Bauteil, bewegt durch die obere Feder, wieder zurück schnappt und den Kontakt dann wieder öffnet. Somit also prinzipiell eventuell ähnlich zu den entsprechend gelagerten Quecksilberschaltern in den Bürk-Uhren. Ist das so halbwegs richtig?
Aufzug 1.jpg
Was ist denn in dem blau umrandeten Bereich zu sehen? Ich hätte hier ja eventuell einen gewickelten Widerstand vermutet, aber wozu dient dann die Einstellschraube im linken Bereich?

Vielen Dank!

Schöne Grüße

Guido
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Typ1-2-3
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Re: Viel hilft viel

Beitrag von Typ1-2-3 »

Genau so, wie Du, Guido, das vermutet hast. Der "Widerstand" ist eine Sicherheitseinrichtung. Sie soll bei langem, hohem Stromfluss den Stromkreis unterbrechen, weil es ein Bimetall ist, welches durch die Wendel dann aufgeheizt wird. Das soll ein Brummen ergeben, sodass man gewarnt wird, dass mit der Uhr was nicht stimmt.

Erklärt ist das in:

F. Thiesen: Band 1: Die elektrischen Einzeluhren. Deutschland ca. 1936. Es gibt noch die beiden Bände: Die Haupt- und Nebenuhren und die Synchronuhren.

Diese Literatur lohnt sich, zu besorgen, bevor die Preise doch immer höher werden.

Frank
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