Einfluss nicht ausgewuchteter Zeiger auf den Gang einer Uhr

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praezis
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Registriert: Sa 21. Aug 2010, 14:01
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Re: Einfluss nicht ausgewuchteter Zeiger auf den Gang einer

Beitrag von praezis »

Im Verlauf vom Feintuning an einem System zum Synchronisieren von Pendeln mit DCF77 hatte ich einige Gangmessungen aufgenommen.
Versuchskaninchen war dieser 7-Tage-Läufer:

Bild

Dabei fiel in den aufgezeichneten Gangwerten eine markante Wellenlinie auf, die sich nach genau einer Stunde wiederholt:

Bild

Verdächtig waren Minutenrad - Eingriffsfehler? Und der Minutenzeiger - der beim Steigen und Fallen entgegengesetzt aufs Laufwerk einwirkt.
Aber dass diese 3,5g bei einem Antriebsgewicht von 2000g bemerkbar wären, konnte ich mir schwer vorstellen.

Da musste ein Versuch her: statt den Zeiger auszuwuchten, habe ich ihn einfach entfernt. Danach sah das Gangdiagramm so aus:

Bild

Die Welle war völlig verschwunden!

Damit war klar, der Minutenzeiger hat deutlichen Einfluss auf den Gang der Uhr.
Für das Ablesen der Zeit ist das aber egal, denn die Schwankungen von ca. 0,1 s sind garnicht sichtbar.

An anderer Stelle ist das aber nicht egal: beim Testen der Uhr mit der Zeitwaage oder anderem elektronischen Gerät.
Mancher glaubt ja immer noch, mit so einer Kurzzeitmessung kennt er auch die Abweichung/Tag der Uhr.
Grob stimmt das auch, aber mehr nicht.

Hier habe ich mal die ungünstigsten möglichen Ergebnisse eingezeichnet, je nach Zeitpunkt der Messung:

Bild

Der wirkliche mittlere Gang in diesen 4 Stunden ist aber:

Bild

Bis zu den vollen 24 Stunden können sich aber noch weitere langwellige Änderungen überlagern.
Diese Gangschwankungen wird man übrigens immer finden, ob nun ein Abschnitt von 60 Sekunden oder 12 Monaten betrachtet wird...
Das macht das Regulieren zu einer unendlichen Geschichte :-)

Gruß,
Frank
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petsch
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Re: Einfluss nicht ausgewuchteter Zeiger auf den Gang einer

Beitrag von petsch »

Hallo Frank,
danke das Du uns an Deinen gefundenen Ergebnissen teilhaben lässt. Und auch, wenn noch niemand bisher geantwortet hat, so zeigt die Zahl der Leser doch, dass das Thema für viele interessant ist.

Für mich als Nichtuhrmacher, der auch nicht mit einer Zeitwaage arbeitet, ist das vielleicht auch nicht so wichtig, aber trotzdem interessant.

Wenn ich es richtig verstehe, kann es Probleme bereiten eine Uhr korrekt anhand der Zeitwaage zu regulieren, wenn man nur eine kurze Zeitspanne misst. Vor allem wohl, wenn man gerade die ungünstigste Zeitspanne erwischt.

Heißen Deine Angaben bei den "ungünstigsten möglichen Ergebnissen", dass man, wenn man die Uhr anhand der Messung der ersten halben Stunde regulieren würde, fälschlicherweise einen Vorgang von 3,6 Sekunden am Tag regulieren müsste oder würde und in der zweiten halben Stunde einen Nachgang von 5 Sekunden am Tag ? Das wäre ja schon durch die Regulierung ein relativ großer Fehler.

Gruß
Peter
KleineSekunde
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Re: Einfluss nicht ausgewuchteter Zeiger auf den Gang einer

Beitrag von KleineSekunde »

Hallo Frank,

vielen Dank für diesen sehr schön dokumentierten Bericht!

Es ist doch sehr interessant, den Einfluß des Minutenzeigers in diesem Beispiel auch einmal sichtbar zu machen. So etwas lässt sich sonst ja nicht wirklich "beobachten"...
praezis hat geschrieben:Im Verlauf vom Feintuning an einem System zum Synchronisieren von Pendeln mit DCF77 hatte ich einige Gangmessungen aufgenommen.
Da scheint es dann ja auch ein "übergeordnetes" Projekt zu geben ;-) Ich kann es nicht genau erkennen, aber ist das graue Kästchen unten in der Uhr ein Teil / die Zeitwaage? Oder Teil der angesprochenen Synchronisierungseinrichtung? Magst du davon berichten?

Vielen Dank!

Schöne Grüße

Guido / KleineSekunde
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droba
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Re: Einfluss nicht ausgewuchteter Zeiger auf den Gang einer

Beitrag von droba »

Danke Frank- ich bin überrascht, dass sich der Minutenzeiger so stark bemerkbar macht! Damit hätte ich wirklich auch nicht gerechnet!


droba
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praezis
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Re: Einfluss nicht ausgewuchteter Zeiger auf den Gang einer

Beitrag von praezis »

Hallo an alle,

es ist doch schön, dass man hier auf jeden Fall mit 2 Antworten rechnen kann, selbst wenn's sonst niemand täte :D .
Heißen Deine Angaben bei den "ungünstigsten möglichen Ergebnissen", dass man, wenn man die Uhr anhand der Messung der ersten halben Stunde regulieren würde, fälschlicherweise einen Vorgang von 3,6 Sekunden am Tag regulieren müsste oder würde und in der zweiten halben Stunde einen Nachgang von 5 Sekunden am Tag ? Das wäre ja schon durch die Regulierung ein relativ großer Fehler.
Genau so ist es.
Da man höchstens wenige Minuten misst, was ja auch der Vorteil einer Zeitwaage ist, ist unsicher, an welchem Teil einer Schwankung man sich gerade befindet.

Das graue Kästchen ist tatsächlich die Synchronisierung. Wenn Interesse am Thema besteht, werde ich später mal einen Beitrag dazu schreiben.

Ich habe übrigens heute die Kräfteverhältnisse in der Uhr überschlagen:
Das 2150g schwere Gewicht dreht an der Walze D=2,1cm mit 1129 gcm .
Untersetzung zum Minutenrad ist 1:12. Als Verlust in Zapfen und Zähnen rechnet man ca. 6% pro Rad.
Dann beträgt das Moment an der Minutenradwelle noch knapp 84 gcm.
Der Zeiger erzeugt ein Moment von ca. +/-12 gcm; also drehen an der Minutenwelle schwankende 72 ... 96 gcm.
Also doch nicht so vernachlässigbar.

Die Physiker mögen mir die "g" statt "N" nachsehen...

Gruß,
Frank
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KleineSekunde
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Re: Einfluss nicht ausgewuchteter Zeiger auf den Gang einer

Beitrag von KleineSekunde »

Hallo Frank,
praezis hat geschrieben:Das graue Kästchen ist tatsächlich die Synchronisierung. Wenn Interesse am Thema besteht, werde ich später mal einen Beitrag dazu schreiben.
Ja, von meiner Seite aus besteht tatsächlich Interesse!

Vielen Dank auch für die weiteren Ausführungen. Doch schon ganz beachtlich, wie sich die Kräfteverhältnisse dann doch ändern.

Schöne Grüße

Guido / KleineSekunde
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wahli76
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Re: Einfluss nicht ausgewuchteter Zeiger auf den Gang einer

Beitrag von wahli76 »

Hallo Frank,

hast du mal einen Versuch mit Ausgleichsgewicht am Minutenzeiger gemacht? Da müßten dann doch die Schwankungen genauso wenig werden wie bei dem Vesuch ohne Minutenzeiger.

Viele Grüße

Kurt
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praezis
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Re: Einfluss nicht ausgewuchteter Zeiger auf den Gang einer

Beitrag von praezis »

wahli76 hat geschrieben:Hallo Frank,

hast du mal einen Versuch mit Ausgleichsgewicht am Minutenzeiger gemacht? Da müßten dann doch die Schwankungen genauso wenig werden wie bei dem Vesuch ohne Minutenzeiger.

Viele Grüße

Kurt
Das wird sicher so sein.
Hatte ich auch erst vor, bis mir einfiel dass es einfacher wäre, den Zeiger abzunehmen.
Da es reine Neugier war und der Effekt sonst nicht stört, hatte ich mir die Arbeit erspart.

Gruß,
Frank
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petsch
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Re: Einfluss nicht ausgewuchteter Zeiger auf den Gang einer

Beitrag von petsch »

praezis hat geschrieben:Also doch nicht so vernachlässigbar.
Dass es auch beim normalen Laufen der Uhr nicht ganz vernachlässigbar ist, zeigt ja auch schon, dass die Präzisionsuhren oft Gegengewichte im Werk eingebaut haben um so eine Beeinflussung auszuschließen. Ich kenne jedenfalls diese oft sichelförmigen Gegengewichte am Minutenrad.
Leicht tragisch wäre es aber, wenn jemand, der das nicht kennt, die Zeiger genau um eine halbe Stunde verkehrt aufsetzt und dann einen noch größeren Effekt hätte :?

Gruß
Peter

PS: Ich würde mich auch freuen, etwas über Deine sonstige Arbeit über die Synchronisierung zu erfahren.
KleineSekunde
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Beiträge: 1281
Registriert: Fr 20. Aug 2010, 22:02

Re: Einfluss nicht ausgewuchteter Zeiger auf den Gang einer

Beitrag von KleineSekunde »

Hallo Peter,
petsch hat geschrieben:Dass es auch beim normalen Laufen der Uhr nicht ganz vernachlässigbar ist, zeigt ja auch schon, dass die Präzisionsuhren oft Gegengewichte im Werk eingebaut haben um so eine Beeinflussung auszuschließen. Ich kenne jedenfalls diese oft sichelförmigen Gegengewichte am Minutenrad. Leicht tragisch wäre es aber, wenn jemand, der das nicht kennt, die Zeiger genau um eine halbe Stunde verkehrt aufsetzt und dann einen noch größeren Effekt hätte :?
Wenn dieser Ausgleich dann im Werk realsiert wurde, wäre es wohl nicht so günstig - auch wenn es sich dann längerfristig wieder egalisiert, im "Sinne des Erfinders" wäre es dann wohl nicht...

Ich denke, ich habe eine solche Ausgleichseinrichtung im Werk schon einmal gesehen - eventuell auch hier im Forum - und ich habe eine Vorstellung davon, wie sie aussehen könnte. Aber hättest du eventuell zufällig ein Foto einer solchen Einrichtung parat?

Aber in diesen Bereich bin ich jedenfalls noch nicht vorgestoßen, meine "präziseren" Uhren haben lediglich ein Ausgleichsgewicht am Minutenzeiger ;-)


Hallo Frank,

übrigens eine wirklich schöne Uhr! Erkennt man unterhalb der Pendellinse der Uhr eine Verlängerung an der Pendelstange, die zur (vermutlich magnetischen) Synchronisation dient?

Wie du siehst, ich wäre jedenfalls sehr an weiteren Berichten interessiert ;-)


Schöne Grüße

Guido / KleineSekunde
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