Hamburger Schweizer Stutzuhr um 1800 zugelaufen!

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Grassi
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Hamburger Schweizer Stutzuhr um 1800 zugelaufen!

Beitrag von Grassi » Sa 23. Nov 2024, 16:22

Damit dieses Forum wieder etwas belebt wird, möchte ich heute einen meiner Neuzugänge vorstellen: eigentlich in der Absicht gekauft, das Uhrwerk aus dieser sehr schlicht und einfach daherkommenden Uhr zu entnehmen und damit endlich ein passendes Uhrwerk für eine werklos gekaufte feine klassizistische Uhr um 1790 gefunden zu haben, habe ich diese Uhr ersteigert. Die Fotos im Internet gaben nicht viel her, das Gehäuse schien aus Massivholz gebaut zu sein, was schon ein Hinweis auf eine eher primitive Kiste war.
So sah das Foto aus, auf das hin ich die Uhr kaufte:
Phil-0.jpg
Das Uhrwerk hingegen war aufgrund einiger technischer Details als Neuchateller Bauart zu erkennen. Das Zifferblatt trug zwar eine Hamburger Signatur eines J,A. vermutlich Johann August, Nachname Philipp, womit schon eine merkwürdige Mischung angezeigt war: Hamburger Uhrmacher, Neuchateller Uhrwerk, primitive deutsche Holzkiste? Meine stille Hoffnung war ja auch, trotz der Hamburger Signatur ein Berliner Uhrwerk zu finden, da in Berlin ja viele Neuchateller Uhrmacher in den Fabriken des Königs arbeiteten, in diesem Fall wäre das Zifferblatt im Konteremail von Buzat mit L.B & Comp. gezeichnet gewesen. Ich habe die Uhr dann für einen moderaten Preis kaufen können und war sehr erstaunt, was ich da gekauft hatte. Das Uhrwerk schien so gut wie makellos, alles andere schien auch tipptopp zu sein, selbst das Zifferblatt hatte keine nennenswerten Abplatzungen.

Die große Überraschung war dann das Gehäuse der Uhr: was auf den Fotos wie eine grobschlächtige Massivholzarbeit aussah, entpuppte sich als sehr fein und kunstvoll gebautes Holzgehäuse. Das schmucklose Gehäuse war tatsächlich aus massivem Honduras-Mahagoni gebaut, darauf mit karibischem Mahagoni furniert und mit feinen messingummantelten Profilleisten dezent gegliedert.
Die Rückwand gleitet in 2 Nuten elegant von oben in den Kasten ein, und im geschlossenen Zustand ist kaum erkennbar, wie das Gehäuse zu öffnen ist.
Phil-2.jpg
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Meine große Freude war, dass das Holzgehäuse noch seine originale allererste Politur besitzt, nie ist irgendetwas geschliffen, neu poliert oder sonst irgendwas Schlimmes damit veranstaltet worden. Sowas ist bei Holzgehäusen extrem selten, ein echter Glücksfall. Nach einer eingehenden Reinigung kann das schöne Furnier wieder hervor und strahlt nun erneut mit einer kleinen Wachspolitur. Dass sogar der originale, mehrfach ränderierte Aufzugsschlüssel noch bei der Uhr war, ist ein weiteres kleines Wunder.
Phil-3.jpg
Nach dem Ausbau des Uhrwerks sah ich ein exzellent gebautes Uhrwerk von höchster Qualität, mit all seinen Merkmalen eindeutig in die Schweiz nach Neuchatel einzuordnen. Ich habe das Werk komplett zerlegt, alles gereinigt, und es ist fast unglaublich, dass alle Lager in sehr gutem Zustand waren, der Anker nicht eingelaufen und die zunächst blockierte Feder des Schlagwerks komplett in Ordnung war. Ursache für die Blockade war eine am Boden des Federhauses angebrachte Stellung. Wie eine Malteserstellung aufgebaut, hatte sich ein Vorsteckstift, der als Mitnehmer fungierte aus der Aufzugswelle gelöst und blockierte so das Federhaus. Ich habe trotzdem die Feder herausgewunden, gereinigt und dann wieder eingewunden, da ich ja meinen neuen Federwinder auch tatsächlich mal einsetzen konnte. Welch ein Traum im Vergleich zu der Würgerei bisher ohne Federwinder!

Ungewöhnlich an dem Uhrwerk ist auch ein in dieser Form noch nicht gesehenes Schlagwerk, das über ein Federhaus und eine kompliziert aussehende Steuerung aus der Stunden- und Viertel steuernde Stundenstaffel und Rechenschlagwerk die Viertelstunden auf zwei Glocken schlägt, die volle Stunde hingegen durch axiale Verschiebung eines der Hämmer nur auf die große Glocke. Diese verschiebbaren Glockenhämmer sind eine typische Spezialität Neuenburger Uhrenbaus. Ich glaube, dass sich das ‚petite Sonnerie’ nennt.
Allein die beiden Glockenhämmer sind beeindruckend fein konstruiert: der Messingdraht der Hämmer ist ca. 1,5 mm dick, zu den Schlagköpfen aber auf 0,5 mm verdünnt, sodass die Hämmer eine leicht federnde Wirkung haben und einen sauberen Klang der Glocken erzeugen, was sonst ja oft eine elende Fummelei erfordert, damit der Schlag gut hörbar ist ohne durch nachwippenden Konatkt zur Glocke zu scheppern. Sowas habe ich bisher noch nicht gesehen, und der Uhrmacher hat da eine tolle Lösung gefunden!
Das Uhrwerk selbst ist von feinster Qualität, konventionell aufgebaut. Sämtliche Wellen sind feinst poliert, alle verwechselbaren Teile mit Punkten oder Strichen markiert, sodass der Zusammenbau wirklich einfach war. Alle Schraubenköpfe sehen sauber aus, nicht vergurkt wie so oft an viel reparierten Uhren.
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Das für mich zunächst sehr kompliziert aussehende Schlagwerk erwies sich während des Zusammenbaus allerdings als sehr einfach: wie bei fast allen Neuchateller Großuhrwerken ist das Wechselrad auf der vorderen Platine mit einer langen Achse durch das Werk durchgeführt. Diese trägt auf der Rückplatine dann das eigentliche Auslöserad mit den 4 Stiften für das Schlagwerk, von denen einer abgeschert war, und treibt dann mit einem kleinen Trieb das große Staffelrad an, mit dem auf einfache Weise die Stunden- und Viertelstundenschläge gesteuert werden. Der Vorlauf lässt sich so einfachst durch Umstecken des Schöpfers richtig einstellen, und im Nu war das Schlagwerk richtig eingestellt.
Das Wechselrad hat auf der Vorderplatine noch einen viertelkreisförmigen Ausschnitt, der durch einen dort einfallenden langen Hebel die Verschiebung einer der Hammerachsen und damit den Stundenschlag auf nur eine Glocke bewirkt.

Das gesamte Schlagwerk ist hinter der Rückplatine aufgebaut und so bei eventuell nötigen Justagen des Schlags ohne Abnahme des Zifferblatts völlig problemlos erreichbar. Auch das eine typische Neuchateller Bauweise, die allerdings so auch bei vielen Berliner Uhren zu finden ist, kein Wunder, bei den vielen Einflüssen aus der Schweiz auf Berliner Uhrmacher. Aber gegen diese Werk sind viele Berliner Uhrwerke aus der Zeit 1800 - 1840 doch recht grobschlächtig finissiert und erreichen wohl nur selten diese hohe Qualität. Unter den vielen Berliner Uhrwerken nach dieser Bauart, die ich bisher gesehen habe, war noch nie ein auch nur annähernd so fein und perfekt gebautes Werk.

Das lässt mich zu dem Schluss kommen, dass dieses Uhrwerk mit seinem Zifferblatt und der eingebrannten Signatur ganz offensichtlich ein in der Schweiz für den Uhrmacher Philippi bestelltes Uhrwerk war, das dort gefertigt und dann nach Hamburg verkauft worden ist. Die französische Schreibweise Hambourg ist ein weiteres Indiz, in Neuchatel schrieb man Hamburg so.
Zudem weiß ich aus dem Buch von Alfred Chapuis: 'Friedrich der Große und seine Uhrmacher' wie intensiv und eingelaufen, zum großen Ärger der Berliner Uhrmacher, die Handelsbeziehungen insbesondere zwischen Berlin und Neuchatel waren, und da war Hamburg sicher nicht außen vor.

In Hamburg wurde dann offensichtlich das Uhrwerk mit einem feinen Mahagonigehäuse versehen, die Verwendung von massiven Mahagoni für das Gehäuse ist eigentlich nur für eine Hafenstadt wie Hamburg vorstellbar, wo im späten 18. und 19. Jahrhundert immer wieder große Ladungen Mahagonis angelandet wurden und von dort aus über den Rest Deutschlands vertrieben wurden. Ein Tischler in der Provinz, selbst in Berlin würde niemals Mahagoni massiv verarbeitet haben. Das war dafür einfach zu teuer und rar.

Ich freue mich also sehr über diese Uhr in ihrem absoluten Originalzustand, und werde wohl weiter nach einem Teilespender für ein Uhrwerk aus dieser Zeit suchen müssen.
Aber es werden jeden Tag hunderte antike Uhren versteigert, und irgendwann wird’s wohl klappen.
Auf jeden Fall habe ich seit dieser Uhr eine Vorliebe für Neuenburger Uhrwerke und werde mich disem Thema weiter widmen.
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Bernhard J
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Re: Hamburger Schweizer Stutzuhr um 1800 zugelaufen!

Beitrag von Bernhard J » Mo 25. Nov 2024, 09:42

Herzlichen Glückwunsch zu diesem "Schnäppchen" und auch zur tollen Aufarbeitung!

Ja, manchmal hat man auch positive Überraschungen bei Auktionen. Mein tiefstes Beileid, dass Du jetzt doch wieder auf die Suche nach einem Werk gehen mußt :D .

Mir gefällt insbesondere auch das "reduzierte" Design des Gehäuses. Das Werk sowieso. Danke für die ausführliche Vorstellung dieser feinen Uhr.

Beste Grüße, Bernhard

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Re: Hamburger Schweizer Stutzuhr um 1800 zugelaufen!

Beitrag von friedrichsthaler » Mo 25. Nov 2024, 18:34

Klasse, da hast Du ja aus einem Aschenputtel ein richtiges Highlight gemacht....
herzlichen Glückwunsch zu dieser Stutzuhr mit dem schönen Neuchateller und dem seltenem Gehäuse.

Die "Hambourg" Signatur liefert einen weiteren Beweis der Beziehungen zwischen Uhrmacher und Uhrwerkhersteller über weit entfernte Regionen...
und das schon im und vor der Biedermeier Zeit.

Bei signierten "Berliner" Uhren dieser Zeit kann man, mindestens bei eingebautem Neuchateller Werk, ähnliche Handelsbeziehungen annehmen.
Beim Zierrat (zb den Marmor Bronze Bekrönungen/ Vasen) hat Berlin einen eigenen Stil hervorgebracht, solche Vasen wurden nach meinen Beobachtungen nur hier verbaut, auch bei Zifferblätter die Rückseitig sehr oft von Buzat signiert wurden lässt sich eine florierende regionale Produktion nachweisen. Bei Buzat lässt sich wiederum ein Handel mit weit entfernt wohnenden Uhrmachern nachweisen, siehe meine signierte "F.W. Piepkorn a Stolpe"Uhr (heute Slupsk in Pommern) die im Forum vorgestellt wurde.

viel Glück und baldigen Erfolg für die weitere Suche nach einem Neuenburger Werk für Dein Gehäuse.

freundliche Grüße, Thomas

Grassi
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Re: Hamburger Schweizer Stutzuhr um 1800 zugelaufen!

Beitrag von Grassi » Di 26. Nov 2024, 12:39

Hallo Thomas, hallo Bernhard, danke für eure Beiträge, und ja, es gibt selten mal solche positiven Ergebnisse, wenn man was mit schlechten Fotos ersteigert.
Übrigens ist schon ein weiteres Uhrwerk gekauft, oder besser eine schraddeliges Gehäuse mit einem sehr schönen Neuchateller Werk drin.
Bin schon jetzt sehr gespannt auf dessen Ankunft.
NCH-3.jpg
NCH-2.jpg
Das besondere ist die Zugrepetition bei dem Uhrwerk, eine schöne Ergänzung solcher Standardwerke.
Ich fürchte, dass sich bei mir gerade eine ausgesprochene Vorliebe für diese Schweizer Uhrwerke nach 1800 entwickelt.
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Re: Hamburger Schweizer Stutzuhr um 1800 zugelaufen!

Beitrag von friedrichsthaler » Di 26. Nov 2024, 20:37

Hallo Robert, ein schönes Neuchateller Werk, bin gespannt es in Deinem Intarsien Gehäuse glänzen zu sehen.

Sehr Interessant finde ich die Form der Zeiger mit dem oval durchbrochenem Loch kurz vor Zeigerende (Biedermeier Stutzuhren haben oft die klassischen Breguet Zeiger mit rundem Loch). Die Ovalis scheinen selten zu sein, mir sind diese jedenfalls sehr selten aufgefallen. Bei meiner Schmetterlings Pendule (von August Wilhelm Schunigk, dem Bruder von Benjamin Friedrich Schunigk) sowie bei der Ravene Stutzuhr sind jedoch genau solche Zeiger montiert. Könnt Ihr meine Annahme bestätigen dass diese Zeigerform ausschließlich an Berliner Uhren verbaut wurde und somit eine regionale Besonderheit darstellt? Wenn dem so wäre dann würde Dein erworbenes Uhrwerk auch aus einer "Berliner" stammen.

Die Ravene Stutzuhr hat zudem die oben genannte Aufsatz Vase, diese Form habe ich ebenfalls ausschließlich an Berliner Uhren gesehen.

beste Grüße und viel Spaß bei der Werksrevision wünscht
Thomas
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Grassi
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Re: Hamburger Schweizer Stutzuhr um 1800 zugelaufen!

Beitrag von Grassi » Di 26. Nov 2024, 21:50

Hallo Thomas,
ich glaube ínzwischen, dass diese Zeigerform eine Neuenburger Spezialität war.
Ich habe eine große, mit sehr prächtigen (vermutlich Wiener) Bronzen geschmückte ebonisierte Pendule in der typischen Berliner Form, die du auch mehrfach hast, die ein Neuchateller Werk mit genau diesen Zeigern hat:
P1140048a.jpg
Und nach meinen guten Erfahrungen mit diesen Uhrwerken werde ich mich demnächst auch an deren Werk herantrauen:
P1140051a.jpg
Dieses Werk Neuchateller Bauweise ist verdreckt und die Schlagfolge stimmt nicht mehr, ich habe mich bisher nicht an dieses Werk herangetraut.
Aber mit meinem Federwinder für Großuhren und der Erfahrung wirds schon klappen. Das Werk hat übrigens einen Spindelgang und ist noch in der traditionellen Bauart der Neuchateller Barockpendulen aufgebaut, die ich schon so oft auf Auktionen für ein paar hundert Euro zugeschlagen gesehen habe. Leider gefällt mir diese barock geschwungene Gehäuseform gar nicht, so dass ich bisher trotz der überaus delikaten und kunstvollen Uhrwerke meine Finger still halten konnte. Oft werden diese Uhrenfür 300 - 400 Euro zugeschlagen, ein so niedriger Preis für solche Meisterwerke der Uhrmacherei.
Protzige Zuhälteruhren fürs Armgelenk, die in tausender Auflage maschinell produziert werden, erreichen dagegen oft spielend 5-stellige Preise- was für eine Perversion.
Noch ein Wort zu den Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und Berlin: Mir fallen immer wieder Gemeinsamkeiten an verschiedensten Uhren auf, so auch hier die Formen der Lünetten:
P1140052a.jpg
Diese Lünette ohne Glas von einer meiner Berliner Herzform-Uhren hat die gleiche Rändelung wie diese neue Uhr, die ich bisher nur von den Fotos kenne:
NCH-2a.jpg
Ich vermute, dass diese Lünetten aus gleicher Neuchateller Produktion stammen, mindestens aber mit gleichen Werkzeugen hergestellt wurden. Die Muster ähneln sich sehr stark.
Das Werk zu dieser Herzform-Uhr ist jedenfall nicht Schweizer Bauart, sondern ein konventionell gebautes Werk mit Spindelgang und Kadratur vor dem Werk, hinter dem Zifferblatt. Bauweise sicher Berliner Art.
All das sind Indizien für einen regen Handel um 1800 zwischen Berlin, der Schweiz und auch Wien. Da sind Werke, Lünetten, Zifferblätter, Beschläge, Federn und andere Wrksteile zwischen diesen Gegenden hin- und her verkauft worden, es gab fliegende Händler für solche Teile, wie auch auf Messen viele Halbzeuge verkauft wurden.
Jedenfalls kann man sich getrost von dem Bild verabschieden, dass ein Uhrmacher, selbst in Großstädten zu dieser Zeit, eine Uhr völlig alleine gerfertigt hat, im Ggegenteil haben diese nach einer Baukastenweise verschiedenste zugekaufte Teile einer Uhr zusammengfügt und noch finissiert, mit einem ebenfalls zugekauften Gehäuse und zugekauften Beschlägen dann komplettiert und dann unter ihrem Namen verkauft.
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Bernhard J
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Re: Hamburger Schweizer Stutzuhr um 1800 zugelaufen!

Beitrag von Bernhard J » Fr 29. Nov 2024, 14:50

Grassi hat geschrieben:
Di 26. Nov 2024, 21:50
Protzige Zuhälteruhren fürs Armgelenk, die in tausender Auflage maschinell produziert werden, erreichen dagegen oft spielend 5-stellige Preise- was für eine Perversion.
Da sagst Du wirklich was. Falls Du Rolex meinst, muss ich Dich korrigieren, nicht "tausender Auflage", Rolex produziert gängigere Modelle nochmals 10-100-fach öfter. Pro Jahr, wohlgemerkt.

Unlängst konnte ich eine "Barraud´s" TU, um 1800, Vollplatine mit Duplex Hemmung, herrlicher Kloben, für insgesamt 600€ bei Crott ersteigern. Niemand interessierte sich dafür, trotz des wirklich feinen Werkes, das zudem in optisch sehr gutem Zustand ist. Warum? Falsches Doppelgehäuse, aber wirklich perfekt passend (Da muss jemand richtig lange gesucht haben). Sekundenzeiger etwas (!) zu kurz und wohl nicht zum Werk gehörend. Stunden- und Minutenzeiger aber original, Zifferblatt signiert, auch mit der Werksnummer, zum Uhrwerk gehörig und in sehr gutem Zustand. Das Ziffernblatt hatte allerdings umlaufende Schleifspuren vom Sekundenzeiger, der zudem lose war und nicht mitlief. Das Reinigen des Ziffernblattes und etwas enger Setzen des Sekundenzeigers war aber in einer Stunde erledigt. Und jetzt habe ich eine wirklich hochfeine Uhr und einen passenderen Sekundenzeiger finde ich sicher auch noch.

Ich hatte einem befreundeten Sammlerkollegen berichtet und er meinte ich hätte die Finger davon lassen sollen, wegen dieser "Mängel". Jetzt vergleiche man mal damit, was für AUen man für 600€ bekommt. Diese 600€ waren m.E. allein schon für das herrliche Werk mit Ziffernblatt mehr als berechtigt...

Beste Grüße, Bernhard

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Re: Hamburger Schweizer Stutzuhr um 1800 zugelaufen!

Beitrag von Grassi » Sa 30. Nov 2024, 23:42

Hallo Bernhard,

ja es ist wirklich eine Schande, wie viel Geld für maschinell produzierte Uhrmachereiprodukte ausgegeben wird, und wie wenig hoch feine Uhrmacherkunst aus vergangenen Jahrhunderten zur Zeit am Markt wert ist.
Ich vermute, dass heute eher wichtig ist, wie teuer und begehrt eine solche AU ist, mit der sich ein Träger dann in der Öffentlichkeit zeigen kann, auch wenn es nur eine billige Fölschung ist.
Die Munich Wrist Busters haben da ja so manchen Prolll enttarnt, der sich mit einer gefälschten vermeintlich teuren (Prollex)-Uhr gezeigt hat.
Leider kann man keine Tompion, Knibb oder Fromanteel-Uhr aus dem 17. Jhdt. am Handgelenk tragen, um Eindruck zu schinden, auch keine Wibral, Fertbauer oder Brändl eignet sich dazu, obwohl sich leider irgendwelche geldgeilen Heinis an die Wiederbelebung solcher Marken wie Suchy, Fomanteel oder gar Breguet gemacht haben, um von deren Namen mit fabrikproduzierten AUs zu profitieren.
Mir ist jedenfalls eine echte Möllinger oder Fertbauer an der Wand tausendmal lieber als eine falsche Rolex, Breitling oder Patek am Handgelenk.

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Bernhard J
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Re: Hamburger Schweizer Stutzuhr um 1800 zugelaufen!

Beitrag von Bernhard J » Mo 2. Dez 2024, 20:35

Ja, bei den "Fromanteel" Armbanduhren hat es mich geschüttelt, und gelacht habe ich auch. Denn offenbar sind diese 08/15 Massenprodukt-AUen kaum verkäuflich, selbst zu "übersichtlichen" Preisen, denn wer kann schon etwas mit dem Namen Fromanteel überhaupt anfangen und zum "Angeben" eignet sich diese "Marke" schon gar nicht :D.

Allerdings gibts bei den alten Uhren nicht weniger "Marketing" und "Imponiergehabe" im Markt. Schau was eine Thompion kostet, im Vergleich zur einer qualitativ gleichen Goode, Higginson, oder Jones. Faktor 3-5, mindestens. Und Fakes gibts bei Thompions daher auch (durch skrupelose heutige Händler), eher unwahrscheinlich bei den weniger bekannten Namen ... 8-). Abgesehen davon, dass "Thompions" seinerzeit auch sozusagen Massenprodukte waren, an den meisten fertiggestellten Uhren mit seiner Signatur ist der Meister selbst allenfalls mal vorbei gelaufen.

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Re: Hamburger Schweizer Stutzuhr um 1800 zugelaufen!

Beitrag von Grassi » Mo 2. Dez 2024, 22:28

Hallo Bernhard,
in meinen Augen ist der Markt für Uhren des 17. und 18. Jahrhunderts solch bedeutender Uhrmacher sicher wieder eine besondere Situation, da wirkt der Name einfach preistreibend. Selbst genausogute Werke unbekannterer Macher sind dagegen oft reativ preiswert, wenn man bedenkt, über wie viele hunderte von Jahren diese Uhren gekommen sind ohne große Schäden. Genau darin liegt für mich der Reiz an diesen Werken der Uhrmacherei, individuelle handwerkliche Fertigung auf hohem Niveau, meist (leider nicht immer) sehr gelungene stilvolle Gehäuse, ob Bronze, Gold, Silber oder Holz, und wenn solche Uhren dann auch noch in ziemlich originalem, unverbasteltem und möglichst unrestauriertem Zustand sind, dann stimmt für mich alles!
Ein Bekannter, der mit teuren französischen Bronzependuen handelt, hat mir schon öfter die Geheimnisse solcher wirklich beeindruckender Bronzekunst gezeigt und erläutert, und ich war mal kurz davor, ihm eine sehr schöne "Pendule a Matelot" zu einem wirklich guten Preis abzukaufen, weil diese Modelle einfach besonders schön und beeindruckend sind, echte Meisterwerke der Gießerei, der Modelleure, der Vergolder usw., doch hat letztlich meine Vorliebe für deutsche Stutzuhren gesiegt.
Und genau hier siegt meisterhafte Handwerkskunst auf höchstem Niveau über die zuvor schon besagten teuren AU, die meist indutriell und in Massen hergestellt werden und die ohne die preistreibenden Marken und Namen einfach nur Massenwaren ohne Individualität darstellen.

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