Standuhrgehäuse lohnt Restauration?

Welche Uhr, welches Werk ist das ?
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Minzbonbon
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Standuhrgehäuse lohnt Restauration?

Beitrag von Minzbonbon »

Moinsen zusammen,

am Montag habe ich das abgebildete Standuhrgehäuse vorerst mal vor dem Spermüll gerettet. Es ist zweifellos arg ramponiert und unvollständig, aber es scheint mir ein doch ein historisches Teil zu sein. Das obere Gehäuseteil, worin sich sonst das Werk befindet, fehlt. Der frühere Besitzer hat es und das Werk selber vor vielen Jahren getrennt weggegeben, weitere Info zum Verbleib gab es leider nicht. Die Uhr wurde von ihm vor etwa 30-35 Jahren von einem niederrheinischen Bauernhof in der Gegend von Dinslaken (keine nähere Angabe möglich) erworben, wo sie total verdreckt in einer Scheune vor sich hin gammelte. Die jetzt von mir gesicherten Reste haben dann in seinem Keller nochmal einen Wasserschaden durchlitten, so dass das Sockelteil einige größere verfaulte Stellen hat. Einige Stücke der Profilleisten fehlen ebenfalls.
Das Gehäuse ist (einschließlich dem fehlenden Teil) ca. 2,20 m hoch, gefertigt aus massiver Eiche, teilweise mehrere cm dick, dunkelbraun gebeizt. Die Verbindung der Einzelteile ist offenbar durch Eisennägel hergestellt, es sind aber auch einige Holznägel sichtbar. Die Scharniere sind aus Eisen, der Drehknopf in der Tür ist vermutlich vernickelt. Die Rückwand ist ein komplett durchgehendes dickes Eichenbrett, die Seitenwände und die Tür sind ebenfalls aus einem Stück, nicht Rahmen mit Füllung, sondern geschnitzt. Insgesamt muss man die Tischlerarbeit als recht grob zu bezeichnen, was man im Inneren des Gehäuses, besonders im Sockelbereich, sehr deutlich sehen kann. Irgendwelche Kennzeichen oder Markierungen gibt es nicht.
So, jetzt meine Fragen:
Kann man annehmen, dass das Gehäuse aus dem frühen 19. Jhdt ist (wenn man davon ausgeht, dass es original ist, was ich sicher annehme)?
Oder könnte es ein späterer Nachbau sein?
Lohnt eine Restauration? Oder ist das ein Fall für den Ofen? Dazu die Anmerkung, ich bin gelernter Orgelbauer, und habe daher gute Kenntnisse in der Tischlerei.
Kann man das Aussehen / die Bauart des fehlenden Gehäuseoberteils stilistisch halbwegs einwandfrei ermitteln? Wer kann so etwas? An wen kann ich mich damit wenden?
Hatte ein solches Gehäuseoberteil eine Fronttür mit einem Glas?
War die Fronttür / Glasausschnitt wohl eher mit gerader oder mit geschwungener Oberseite?
Waren seitlich auch Türen oder Klappen?
Hat es Sinn, in das Gehäuse eine schlichte Comtoise von ca. 1860-1870 einzusetzen, die bei mir im Moment als Wanduhr läuft? Oder ist das ein unmöglicher Stilbruch?

Liebe Grüße - Minzbonbon
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karlo

Re: Standuhrgehäuse lohnt Restauration?

Beitrag von karlo »

Wenn Du das Gehaeuse aufarbeitest, wirst Du eine vermutlich sehr schoene Uhr haben.
Aber jeder Kenner der Scene wird sich fragen: Was soll das denn sein.
Comtoisegehaeuse sahen nun mal total anders aus.
Einige Imressionen wie das Oberteil mal ausgesehen haben koennte, bringt vielleicht eine google Suche nach "bergische Uhren".
Ob sie wirklich da einzuordnen ist, ist ohne das Werk schwierig.

Karlo
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soaringjoy
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Re: Standuhrgehäuse lohnt Restauration?

Beitrag von soaringjoy »

Hallo Minzbonbon, willkommen beim DGC Uhrenforum.

Deine Anfrage lässt sich ganz sicher nicht aus dem Handgelenk heraus
beantworten.
Wie Karlo schon anmerkte, könnte es sich um ein Bergisches Gehäuse handeln,
oder um eine "Westfälin". Man muss Bücher wälzen und abgleichen. Das dauert seine Zeit.
Sicher sind solche alten Stücke erhaltenswert und sie entwickeln dann auch einen
ziemlichen eigenen Reiz.
Comtoisen wurden sehr oft in Standuhrgehäusen verschiedener Art verbaut, da
sähe ich kein Problem.

Jürgen
"tempus nostrum"
petsch
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Re: Standuhrgehäuse lohnt Restauration?

Beitrag von petsch »

Hallo Minzbonbon,
das ist ein schönes Gehäuse und zeitlich würde ich es vor 1800 einordnen. Allerdings kann man da nicht ganz sicher sein, weil in vielen Regionen die ortsansässigen Tischler die Gehäuse gemacht haben, dabei aber nicht immer auf Höhe der neuesten Mode in den großen Städten waren. Wenn das Werk dabei wäre und man beides zusammen beurteilen könnte, wäre das leichter. Allein aus Büchern kann man auch nicht hundertprozentig schlau werden, denn es gibt ungeahnte kleine regionale oder von Tischler zu Tischler unterschiedliche Varianten, die einen auf die falsche Fährte bringen können.

Karlos Tip, nach bergischen Uhren in der Bildersuche bei google zu suchen, ist aber goldrichtig. Vom Typ stimmt das.

Westfälisch könnte sie auf jeden Fall sein. Zuerst habe ich, wie Karlo, auch sofort an bergisch gedacht, schon allein wegen Deiner Aussage :
Das obere Gehäuseteil, worin sich sonst das Werk befindet, fehlt. Der frühere Besitzer hat es und das Werk selber vor vielen Jahren getrennt weggegeben,
, allerdings ist die durchgehende Rückwand nicht typisch bergisch.

Bei bergischen Uhren sitzt die Rückwand üblicherweise am Kopf und das Werk ist im Kopf an den Seiten gelagert. Das heisst, man kann den Kopf abnehmen und als komplette Uhr mit Rückwand und Boden als Wanduhr an die Wand hängen. Diese Köpfe wurden von den ursprünglichen Uhrmachen verkauft und später wurde dann oft nachträglich vom Dorftischler ein Korpus dazu gemacht. Das ist eine Besonderheit bei bergischen Uhren und deshalb haben diese meist oben am Kopf zwei stabile Aufhängungen an denen sie ursprünglich an der Wand hingen.

Trotzdem denke ich weiterhin an den bergischen Uhrentyp, schon allein deshalb, weil bei fast allen anderen Standuhren das Werk auf dem Korpus sitzt und der Kopf nur als "Haube" von vorne aufgeschoben wird. Bei Deiner Uhr sieht es aber so aus, als wenn Kopf und Werk eine Einheit waren, eben mit Ausnahme der Rückwand.
Nur dann machte es Sinn, das Werk mit dem Kopf anderweitig zu verkaufen oder wegzugeben. Manche auf bergische Uhren spezialisierte Händler trennen die Köpfe sowieso von später (also vom Dorftischler) gemachten Korpora (oder wie auch immer die Mehrzahl von Korpus ist ;-) ), weil sie eindeutig anders aussehen und obwohl sie Jahrzehnte/Jahrhunderte zusammengehörten, vom nächsten Käufer nicht als original angesehen werden.

Gruß
Peter

PS: es gibt natürlich noch andere Gegenden und Länder, in denen die Gehäuse ähnlich aussehen können, z.B. sehen auch manche Standuhren in Dänemark / Jütland so aus, die sind dann aber meist aus dickem Weichholz und angemalt und wie oben schon geschrieben gehört dann eine aufgeschobene Haube als Kopf dazu
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Minzbonbon
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Re: Standuhrgehäuse lohnt Restauration?

Beitrag von Minzbonbon »

Hallo Kollegen,

danke erstmal für die guten Antworten. Ich habe mal von oben die Lagerung des Werks fotografiert, da sieht man die Stellen, wo anscheinend zwei Leisten eingelegt/eingesteckt wurden, die dann wohl das Werk trugen. Könnte es sein, dass das frühere Werk nicht im Kopf fest war und damit sozusagen eine Einheit bildete, sondern auf die beiden Träger gesetzt und dann der Kopf davorgeschoben wurde? Was noch auffällt, ist, dass die oben überstehende Rückwand keinerlei Spuren von Befestigungen hat, also keine Nagellöcher, Holzdübellöcher oder sonst etwas. Außerdem ist sie oben sehr unordentlich abgeschnitten, der Schnitt ist on beiden Richtungen sehr schief ausgeführt. Kann das original sein, oder hat da evtl. jemand beim Abbauen des Kopfes mit Werk vor 30 Jahren einfach eine Säge angesetzt???
Habt Ihr Literaturempfehlungen für diese Art Uhren?

LG - Minzbonbon
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petsch
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Re: Standuhrgehäuse lohnt Restauration?

Beitrag von petsch »

Hallo Minzbonbon
,
für eine Werkshalterung ist das eigentlich zu tief. Gewöhnlich werden Werke , die vom Gehäuse getragen werden auf von innen an den Seitenwänden angebrachten höherstehenden Haltebrettern gehalten.
Ich denke deshalb, dass die eingelegten Streben bei Deinem Gehäuse als zusätzliche Auflage für den Kopf dienten. Ich kenne das so in der Ausführung nicht.

Die Streben bieten sich allerdings als Auflage für Deine Comtoise an, wenn Du sie als Werk benutzen willst, denn die haben ja durch ihre Bauweise einen tiefergelegenen Boden.

Rückwände sind manchmal nicht so exakt ausgeführt. Bei auf dem Werk aufgebrachten Glocken dient die Lücke dann auch dem Schallaustritt. Westfälische und bergische Uhren haben allerdings meist die Glocke auf dem Kopf und eine ganz geschlossene Rückwand.

Wenn eine Standuhrrückwand Löcher hat, was in der Tat oft vorkommt, dann diente das nicht der Werksbefestigung sondern die Uhren wurden damit an der Wand befestigt, damit sie gut standen. Ich habe schon Standuhren gehabt mit etlichen unterschiedlichen Löchern an undefinierbaren Stellen der Rückwand. Wahrscheinlich waren die oft umgezogen und es wurde immer ein anderes Loch zum Befestigen benutzt.

Es gibt einige Bücher speziell auch über Standuhren, aber ich kenne keins, wo Du sozusagen nur reinschauen brauchst um Dein Gehäuse einzuordnen. Meist sind sie speziell Standuhren aus irgendwelchen Ländern oder Regionen gewidmet und zeigen zwar etliche Uhren, aber oft jeweils mit nur einem frontalen Foto. Also keine großartigen Detailfotos die Dir weiterhelfen.

Gruß
Peter
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soaringjoy
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Re: Standuhrgehäuse lohnt Restauration?

Beitrag von soaringjoy »

Peter bringt es schön auf den Punkt.

Was eventuell erschwerend hinzukommt, ist die besondere geographische Lage
Dinslakens, denn hier gab es durchaus Schnittpunkte von Bergischen, Westfälischen
und auch Flämischen Einflüssen.
Na ja, hypothetisch.
"tempus nostrum"
Minzbonbon
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Re: Standuhrgehäuse lohnt Restauration?

Beitrag von Minzbonbon »

Moinsen,

ich habe intensiv Bilder gegurgelt, und ich denke inzwischen, das Gehäuse ist eine bergische oder westfälische Dorftischlerarbeit von 1780 bis 1800.
Dann habe ich mich mal etwas intensiver um das Gehäuseunterteil gekümmert, da ist die meiste Arbeit dran. Die Eisennägel scheinen mit übrigens inzwischen irgendwann mal nachgenagelt worden zu sein, als das Gehäuse wacklig wurde, denn nach Säubern und bei näherer Betrachtung gibt es doch an allen einschlägig verdächtigen Stellen Holzdübel, ich denke, das Gehäuse war ursprünglich nur damit zusammengehalten. Leimspuren kann ich nicht finden, ob man die allerdings nach der Zeit und Feuchtigkeitseinflüssen noch finden kann, kann ich nicht einschätzen.
Spricht übrigens etwas dagegen, das mit ganz normalem Kaltleim (Ponal oder so) zu verleimen?
Vorhin dann kurzer Besuch bei der Tischlerei meines Vertrauens, die schneiden nächste Woche einen größeren Posten Eiche zu, da wird wohl das eine oder andere Stück für mich abfallen. Mal schauen.
Wegen dem nachzubauenden Kopf habe ich mal etwas skizziert, passend für meine Comtoise, eine Version mit gerader Verbindung der Ecken und einmal mit einer schrägen Eckleiste. Schaut mal drauf und sagt mal etws dazu, ich bin da nicht so empfindlich, also wenn's stilistisch daneben ist, bitte klar ausdrücken. Ich habe den Kopf etwas breiter gemacht als das Gehäusemittelteil, weil mir das von den Proportionen her besser gefiel. Wenn das unpassend ist, bitte auch hier Laut geben.

LG - Minzbonbon
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karlo

Re: Standuhrgehäuse lohnt Restauration?

Beitrag von karlo »

Aus stylistischen Fragen halt ich mich grundsaetzlich raus, aber:

Diese Uhren hatten meist einen sehr kleinen Pendelwinkel.
Bist Du sicher, dass die Comtoise mit dem Weg an der Pendellinse hin kommt?

Karlo
Minzbonbon
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Re: Standuhrgehäuse lohnt Restauration?

Beitrag von Minzbonbon »

Das passt schon, sie hat eine kleine ca. 130 mm Durchmesser Linse, nicht so ein Pracht-Lyra-Monster-Pendel. Die Schwingweite (außen bis außen) ist ca. 240 mm, und das Gehäuse innen 295 mm lichte Weite. Also kein Problem.
Wenn sich jemand anders zu den Skizzen äußern möchte, bitte nur zu.
Und zum Ponal, ist das o.k. oder eher davon abzuraten?
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