Restaurationsbeschreibung sehr frühe Elektrouhr (ca. 1900)

Vorstellung von Uhren und Uhrensystemen
Antworten
Benutzeravatar
Typ1-2-3
Beiträge: 1285
Registriert: So 22. Aug 2010, 19:10

Restaurationsbeschreibung sehr frühe Elektrouhr (ca. 1900)

Beitrag von Typ1-2-3 »

Habe mich ja schon lange nicht mehr ausführlich hier gemeldet. Kein Wunder: Von der Arbeit her viel zu tun, und ich beschäftige mich halt mehr am Werktisch als am PC. Ein Ergebnis ist diese Uhr, die ich wieder zum Leben erwecken will.

David Perret war ein Hersteller von Elektrouhren in La Chaux-de-Fonds. Diese Firma stellte um 1900 (Patentdatum) sehr hochwertige Elektrouhren mit Pendel und auch Echappements her. Diese Echappements hatten die Qualität einer hochwertigen Kleinuhr. Es geht in diesem Falle um folgende Uhr:

http://www.electricclockarchive.org/Clo ... ?moid=7579

Auf dieser Seite stehen noch mehr Bilder des Fundzustandes.

Gehäuse und Zifferblatt waren in einem guten Zustand, während das Uhrwerk in den letzten 100 Jahren seines Bestehens ziemliche Schäden bekommen hatte. Hauptsächlich liegt das daran, dass 3 Teile des Uhrwerks in Zinkguss hergestellt worden waren. Dieses Material ist nicht beständig, dementsprechend waren die Teile mehr oder weniger zerfallen oder sogar schon komplett durch schlecht angefertigte Teile ersetzt worden. Zunächst das Bild des Uhrwerkes komplett:

Bild

Der Minutenradkloben ist durch ein Schmiedeteil aus Stahl ersetzt worden, sehr grob. Aber das Teil hatte dadurch wieder Funktion, und ansonsten wäre die Uhr wohl weggeworfen worden. Weil alle Uhren diesen Fehler hatten, sind diese Werke sehr selten geworden. Oder es sind Teile aus Messing mehr oder weniger gut hergestellt worden. Unbeschädigte Originale sind fast unmöglich zu bekommen. Außerdem ist der Ankerhebel oben im Uhrwerk durch „Basteleien“ mehr oder weniger wieder funktionstüchtig gemacht worden. Außerdem – kaum sichtbar bei diesem Bild – ist zwischen den Spulen das Ankerlager sehr brüchig, wenn auch noch funktionstüchtig. Außerdem muss noch eine Kontaktfeder ersetzt werden, denn sie hat schon einen Riss und ist mit Lötzinn geflickt worden.

Um die Uhr wieder in einen funktionstüchtigen und möglichst originalen Zustand zu bekommen, habe ich mich entschlossen, die Teile nachzubauen. Aber nicht aus Zinkguss, welches ja nicht beständig ist, sondern aus Aluminium. Denn dieses Material sieht von außen ähnlich aus, besonders wenn die Oberflächen sandgestrahlt sind. Außerdem ist Aluminium leicht zu bearbeiten.

Der Nachteil dieses Materials: Für mich ist es nicht möglich, Aluminium zu schweißen, also muss alles spanend gefertigt werden.

Als erstes habe ich mir das schwierigste Teil vorgenommen: Der Anker war sehr oft geflickt worden, und da das Material immer weiter zerfallen ist, ist vom ursprünglichen Ankerkörper kaum noch etwas übrig geblieben, sogar mit Bindedraht ist gearbeitet worden.

Die Bilder zeigen den ursprünglichen Zustand:

Bild

Bild

Es war äußerst schwierig, hier noch Maße abzunehmen. Das konnte zum großen Teil nur anhand der übrigen Teile des Uhrwerkes passieren.

Gefertigt wurde das Teil auf einer Dreh- und Fräsbank aus einem Alu-Rundmaterial, welches sehr gut spanend zu bearbeiten ist. Das Rundmaterial hatte 60mm Durchmesser, davon sind vielleicht 5% des Materials übrig geblieben. Kleiner durfte das Rundmaterial aber nicht sein.

Bild

Um die Winkel einzuhalten, habe ich das Teil zuerst grob abgedreht und dann eingespannt gelassen und mit Hilfe eines Teilapparates und einem recht großen Fräser von 6mm Durchmesser ausgefräst.

Das Rohteil sah dann – im Vergleich zum Altteil - so aus:

Bild

Anschließend wurden die technisch wichtigen Teile abgeklebt, in die Gewinde Schrauben eingedreht und alles gestrahlt.

Bild

Das Endergebnis:

Bild

Ähnlich wurde auch beim Unruhkloben vorgegangen, wobei ich die Lagerbohrung erst nach kompletter Fertigstellung gesetzt habe – nach der unteren Bohrung. Dadurch konnte ich mir ersparen, allzu genau fertigen zu müssen, ohne dass es an Präzision fehlte.

Das Endergebnis:

Bild

Auch dieses Teil wurde anschließend noch gestrahlt. Die Oberseite des Klobens habe ich aber – der Optik zuliebe – noch mit einem Strichschliff versehen. Das Minutenradlager musste aus Messing gefertigt werden, damit die Materialpaarung stimmte. Besondere Schwierigkeiten machte der Klobenfuß. Nicht, weil er so besonders problematisch zu fertigen gewesen wäre, sondern weil er in seiner Form dem Original möglichst entsprechen sollte. Das war aber nicht mehr vorhanden. So habe ich mich nach Bildern im Internet und den Zeichnungen des alten Patentes orientiert.

Ähnlich wurde das Ankerlager gefertigt, diesmal aber nur aus 40mm Rundmaterial. Auch hier wurde zunächst grob gedreht, dann gefräst.

Bild

Bild

Der Vergleich des Altteiles mit dem Neuteil zeigt gut den Zerfall des alten Materials. Hier hat sich schon der Ansatz mit dem Befestigungsgewinde verabschiedet. Es war gequollen und konnte nur mit einer Säge aus der ursprünglichen Bohrung entfernt werden. Daher die 2 Hälften. Ich befürchte, dass man das Altteil wie einen alten Keks zerbrechen könnte, habe das aber nicht versucht.

Bild

Nach dem Zusammenbau und der Stromversorgung lief die Uhr sofort an, ohne Reinigung und mit etwas Nachölen. 3 Volt waren die ursprüngliche Spannung, und damit funktioniert das Werk wieder tadellos. Jetzt erfolgt noch die Anfertigung der Kontaktfeder – bevor sie ganz durchbricht – und eine Reinigung von Gehäuse und Uhrwerk. Dann ist die Uhr wieder fertig.

Bild
Benutzeravatar
droba
Beiträge: 839
Registriert: So 22. Aug 2010, 21:39

Re: Restaurationsbeschreibung sehr frühe Elektrouhr (ca. 190

Beitrag von droba »

Hallo Frank,

ganz große Klasse der Bericht- und vor allem auch Hut ab vor Deinen Fahigkeiten! So eine umfassende Reparatur verlangt neben der entsprechenden Ausstattung auch sehr hohes Können! Aber das hast Du in der Vergangenheit schon hinreichend bewiesen. Gratulation und danke für´s Zeigen!

Mich würde noch folgendes interessieren:

Für welchen Zweck kamen diese Uhren zum Einsatz? Da sogar Zink-Spritzgussteile angefertigt worden sind, lässt das auf eine gewisse Sereinfertigung schließen. Und wie lange wurden diese Uhren hergestellt? Lässt sich dazu etwas sagen?


droba
karlo

Re: Restaurationsbeschreibung sehr frühe Elektrouhr (ca. 190

Beitrag von karlo »

Hallo Frank,

toll hingekriegt.
Ist das ne Kombimaschine?
Der Farbe nach Emco?

Man sieht immer nur einen Schlichtfraeser, Zufall? Oder machst Du alles damit?
So unglaublich das klingt, solche weichen Konstruktionen arbeiten mit Schruppfraesern ruhiger.

Karlo
Benutzeravatar
Typ1-2-3
Beiträge: 1285
Registriert: So 22. Aug 2010, 19:10

Re: Restaurationsbeschreibung sehr frühe Elektrouhr (ca. 190

Beitrag von Typ1-2-3 »

Zur ersten Frage:

Die Uhr ist ganz klar eine Serienuhr. Diese ist ein relativ frühes Exemplar, denn in den späteren Uhren wurden die Spulen geändert: Es gab dann nur eine Spule in einem Topf aus Weicheisen. Außerdem kann man die Seriennummer erkennen: Nr. 1837 ist sowohl auf der schwarzen Grundplatte als auch auf dem Echappement zu erkennen. Das Gehäuse - man sieht es auf dem Link - ist wohl als Bürouhr oder Kontoruhr gedacht gewesen: Rund gedrechselter Rand, 8-eckiges Gehäuse dahinter, in dem sowohl das Uhrwerk als auch die 2 Batterien verschwanden. Vorteil: Die Uhr konnte ohne weiteres sehr hoch hängen, denn sie brauchte ja nicht aufgezogen zu werden. Außerdem liefen die Uhren sehr genau, denn sie wird minütlich aufgezogen. Einen Kraftabfall gibt es also nicht, und die Hemmung läuft annähernd immer mit konstanter Kraft.

Uhren mit diesem Aufzug gab es auch als Pendeluhren mit Grahamhemmung. Sogar mit Steinen in der Hemmung. Daran kann man schon sehen, dass das kein Billigheimer war! Heute selten wohl wegen der Zinkteile, denn wer machte sich schon die Mühe, diese Sachen nachzufertigen... Damals war die Herstellung der Zinkgussteile wohl wesentlich billiger als alle anderen Verfahren. Ich kenne das Problem der unbeständigen Teile aus Zinkguss auch im Oldtimerbereich: So ist mir mal bei meinem Bulli der Türgriff mitten durchgebrochen, einfach beim Zuschlagen der Türe. Und dass verchromte Zinkteile von innen blühen, ist alt bekannt.

Zu der 2. Frage: Die Maschine ist eine ganz einfache: Proxxon. Ich hätte wohl auch gerne was Präziseres und vor allem Standfesteres. Aber ich kann es mir einfach nicht leisten, eine bessere Maschine zu kaufen. Aber immerhin habe ich dazu einen Teilapparat. Und das hat bei der Anfertigung nicht nur dieser Teile gewaltig geholfen. Der Fräser ist eine recht grobe Angelegenheit. Ich bin sogar hingegangen und habe den Freiwinkel vergrößert und damit den Keilwinkel verkleinert, indem ich den Fräser für diese Aufgabe umgeschliffen habe. Das hat mir nicht weh getan, denn er war sowieso stumpf. Auch dazu konnte man den Teilapparat gut gebrauchen. Denn nur so werden alle Schneiden gleichmäßig und gleich hoch. Vor dem Fräsen und nach dem Drehen habe ich auch noch alles grob überflüssige Material mit einer Säge abgesägt, damit man nicht zu viel fräsen muss. Entgegen aller Erfahrung habe ich das Alu auch trocken gefräst. Hatte keine Lust auf die Schweinerei mit Petroleum oder ähnlichem Zeug. Schon die Späne waren genug!!!

Übrigens habe ich mit dem jetzt auf Alu geschliffenen Fräser versucht, Messing zu fräsen: Man merkt sofort, dass die Winkel jetzt für Alu wie geschaffen sind, für härtere Materialien eher nicht.

Frank
Benutzeravatar
unnnamed
Beiträge: 184
Registriert: Sa 14. Aug 2010, 21:33

Re: Restaurationsbeschreibung sehr frühe Elektrouhr (ca. 190

Beitrag von unnnamed »

Ausgezeichnet, so viel Enthusiasmus sieht man nicht oft!! ;)
Gruß Bernd
karlo

Re: Restaurationsbeschreibung sehr frühe Elektrouhr (ca. 190

Beitrag von karlo »

Hallo Frank,

versuch mal sowas:
fraeser.jpg
Auf den ersten Blick wirst Du vermutlch sage: "Au Gott, viel zu grob fuer meine kleine",
Hab ich auch gesagt.
Aber nachdem ich viel Fraeserschrott und Ausschuss produziert hatte, hab ich mir mal nen Profi eingeladen.
Der hat mir beigebracht, dass mit meinem Klapperkasten (HBM16) nichts anderes vernuenftig geht.
Und immer im Gegenlauf fraesen, nie Gleichlauf. Wegen des Umkehrspiels.
Nie Hartmetall, wie ich zuerst dachte, immer HSS. Auch da gibts toll beschichtete.

Karlo
Du hast keine ausreichende Berechtigung, um die Dateianhänge dieses Beitrags anzusehen.
Benutzeravatar
Typ1-2-3
Beiträge: 1285
Registriert: So 22. Aug 2010, 19:10

Re: Restaurationsbeschreibung sehr frühe Elektrouhr (ca. 190

Beitrag von Typ1-2-3 »

Von Hartmetall bin ich auch schon lange weg. Und ich habe demnächst auch einen Termin mit einem Freund, der eine ganze professionelle Werkstatt hat, CNC, CAD und alles, was man sich so gerne vorstellt. Der hat mir auch den Tipp mit den HSS-Fräsern gegeben und meinte: Hartmetall wäre für meine Maschine Käse. Recht hatte er!

Mein Fräser ist auch eher ein Schruppfräser, ähnlich grob wie Deiner. Meine kleine Erfahrung sagt mir das Gleiche, was Du meinst.

Frank
Benutzeravatar
droba
Beiträge: 839
Registriert: So 22. Aug 2010, 21:39

Re: Restaurationsbeschreibung sehr frühe Elektrouhr (ca. 190

Beitrag von droba »

Frank, mir erschließt sich die Funktion noch nicht vollständig. Die Spule bewegt über die Ratsche das große Zahnrad unter dem Kloben. Aber wie geht der Kraftfluß weiter zum Échappement?


droba
Benutzeravatar
Typ1-2-3
Beiträge: 1285
Registriert: So 22. Aug 2010, 19:10

Re: Restaurationsbeschreibung sehr frühe Elektrouhr (ca. 190

Beitrag von Typ1-2-3 »

Unter der großen "Ratsche" ist das Minutenrad, welches in das große Echappement eingreift. Dieses hat ein Kleinbodenrad, ein Sekundenrad (mit Sekundenzeiger (!), der anders herum läuft, aber eine gute Kontrolle bietet) und ein Ankerrad, natürlich auch Hemmung und Unruh.

Auf diese Frage der Funktion habe ich wirklich schon gewartet, denn alleine durch Betrachtung des Bildes ist die Aufzugfunktion nicht zu verstehen. Ich hatte sogar den Vorteil, das Buch: „Elektrotechnik für Uhrmacher“ von Zacharias zu besitzen, in dem die Funktion auf S. 76ff. beschrieben ist. Und selbst damit ist es noch schwierig gewesen. Wenn man sich die Sache in Funktion betrachtet, ist es allerdings ganz einfach und logisch. Trotzdem will ich es mal versuchen. Dazu zuerst mal dieses Bild aus dem Zacharias. Die Buchstaben aus dem Bild will ich verwenden.

Bild

Vergleicht man die Zeichnung mit dem Realbild, erkennt man übrigens das frühere Werk und die spätere Zeichnung. Die Funktion ist aber gleich.

Die Uhr wird mit Schwachstrom 3 Volt betrieben, die Batterien sieht man unten rechts noch angedeutet. Die Uhr zieht sich jede Minute einmal auf, die Antriebsfeder ist die Drahtspirale R ganz oben am Uhrwerk. Sie zieht am Anker H und drückt damit den Arm C nach unten. Über den Gelenkhebel C2 wird die Kraft auf das Minutenrad übertragen. Das dreht sich in Pfeilrichtung, also gegen den Uhrzeigersinn, denn das Werk wird von hinten betrachtet.

Einmal in der Minute wird die Spule A von Strom durchflossen, der Anker H geht dadurch nach unten und am Hebel C2 rastet der Stift g2 in den nächsthöheren Zahn ein. Der Aufzugintervall ist minütlich und dadurch sehr gleichmäßig.

Interessant ist jetzt noch, wie die Spule einmal in der Minute den Stromstoß bekommt. Dazu sind B1 und B2 an der Spannungsquelle angeklemmt, in dem Realbild sind die provisorischen Krokoklemmen zu sehen. An P1 und P2 ist die Spule angeklemmt. Wenn die Kontaktfedern D1 von P1 und D2 von P2 gleichzeitig B1 und B2 berühren, gibt es Kontakt. Das ist nur extrem kurz, vielleicht 1/10 Sekunde. Dann wird der Kontakt geöffnet, die Uhr ist wieder aufgezogen.

Funktion von D1 auf B1: Diese Kontaktfeder ist der Schließer des Stromkreises: Im Laufe der Minute läuft g1 vom Rasthebel über eine Klinke, am Ende der Minute fällt g1 in die Lücke. Der Schwanz des Hebels lässt los und die Feder D1 schnellt gegen B1. Der Kontakt schließt.
Funktion von D2 auf B2: Diese Kontaktfeder ist der Öffner des Stromkreises: Die Uhr zieht also auf, und der Hebel C2 wird nach oben gezogen. Durch die rückseitige Schräge des Hebels C2 wird D2 losgelassen und schnellt zurück: Der Kontakt bei B2 wird geöffnet. Der Strom ist unterbrochen.
Im Laufe der Minute, die jetzt abläuft, wird erst D1 langsam geöffnet, bevor D2 langsam schließt. Es gibt also keinen Kontakt mehr. Dann geht es wieder los: g1 fällt wieder in die Zahnlücke, der Kontakt D1 B1 wird wieder geschlossen, und das Spiel geht wieder von vorne los.

Ich hoffe, man kann das verstehen.

Frank
karlo

Re: Restaurationsbeschreibung sehr frühe Elektrouhr (ca. 190

Beitrag von karlo »

Klingt wie frueher Klappanker.

Karlo
Antworten