Es hat nicht nur bei den klassischen Uhren Besonderheiten und Komplikationen gegeben. Auch bei den Elektrouhren war dies der Fall. Ich möchte die Gelegenheit benutzen und in dieser Galerie auch gleich einen solchen Exoten vorzustellen.
Hintergrund: Die Deutsche Reichsbahn hatte großes Interesse daran, auf allen Bahnhöfen eine genaue und übereinstimmende Zeit anzuzeigen. Wie aber kann man das machen, wenn auf jedem Bahnhof zur Steuerung der elektrischen Nebenuhren eine mechanische Pendeluhr hängt? Eine Möglichkeit wäre, dem Bahnhofskommandanten per Telefon die richtige Zeit durchzugeben, der dann seine Stationsuhr entsprechend korrigiert. Die Folge davon wären vermutlich verbogene Pendelfedern, defekte Werke und unterschiedlich anzeigende Nebenuhren gewesen.
Es musste also eine andere Möglichkeit gefunden werden, eine Pendeluhr ferngesteuert und ohne menschlichen Eingriff vor- oder nachzustellen. Das wurde so realisiert, indem zu einem bestimmten Zeitpunkt die Mutteruhr einmal am Tag zwangsweise auf eine genaue Zeit eingestellt wurde. Hierzu war es erforderlich, das schwingende Pendel auszukuppeln, den Sekundenzeiger auf „Null“ zu stellen, und pünktlich alles wieder einzukuppeln. Ganz „einfach“ also. Dies geschah morgens um 8 Uhr; einige Sekunden vorher kam von der Zentrale in Berlin bzw. später in Frankfurt ein Signal, welches die Regulierung einleitete. Durch geeignete Einrichtungen wurde der Sekundenzeiger, wenn er nicht mehr als 15 Sekunden vor- oder nachging, auf „Null“ gedreht. Das Pendel schwang dabei leer weiter. Um Punkt 8 Uhr wurde die Uhr wieder freigegeben und lief dann eigenständig wie vorher.
Um dies zu erreichen mussten sich die Uhrenfirmen etwas einfallen lassen. Hauptsächlich galt das für T&N, Wagner und Siemens. Während die ersten beiden Firmen bei der Eisenbahn gut im Geschäft waren hatte Siemens offenbar hauptsächlich bei der S-Bahn in Berlin den Fuß in der Tür. Ich besitze von allen Fabrikaten solche Uhren, möchte aber die wesentlich seltenere Siemens-Variante vorstellen.
Es handelt sich hierbei um das „normale“ HU-10-Werk, welches mit einiger Mechanik und einer Magnetspule erweitert wurde. Außerdem waren einige Relais zur Steuerung erforderlich. Ich erhielt ein Werk mit Zifferblatt, bei dem der Vorbesitzer den vermeintlich „überflüssigen Kram“ entfernt hatte – schließlich lief die Uhr als eigenständige Mutteruhr auch ohne Fernsteuerung. Es fehlte aber nur die Magnetspule für die Nullstellung, natürlich mitsamt den zugehörigen Hebeln. Die Mechanik, die innerhalb der Werkplatinen lag, war noch vorhanden.
Nun gibt es zum einen eine gute Dokumentation von diesen Werken und zum anderen einige wenige Sammler, die Originalstücke ihr Eigen nennen. Hier habe ich mich sachkundig gemacht und die Fehlteile nachgebaut. Der Vorteil bei Siemens-Uhren ist, dass man nach Möglichkeit Standard-Fernmeldeteile verwendet hat. Die fehlende Spule entsprach daher auch dem Exemplar, welche in Vorwählern bei Telefonanlagen zum Einsatz kam. Die restlichen Teile mussten nach den Gegebenheiten angefertigt werden.
Für die Relaissteuerung hat man in den Uhren noch lange die Bauform der Rundrelais gewählt, obwohl es schon längst die preiswerteren Flachrelais gab. Auch diese konnten besorgt werden. In den folgenden Bildern ist die Komposition zu sehen.
Die genaue Beschreibung der Gleichstellvorgänge umfasst mehrere Seiten im Handbuch von 1942 und soll daher hier nicht aufgeführt werden. Wer weitere Informationen wünscht kann die gerne bekommen.
R. Helsper
Hauptuhr mit Gleichstelleinrichtung
Hauptuhr mit Gleichstelleinrichtung
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Re: Hauptuhr mit Gleichstelleinrichtung
Stimmt, ich erinnere mich noch. Noch Mitte der 80er Jahre, als ich in der Dispatcherleitung arbeitete, war 8:00 auf der Wechselsprechanlage so ein Ton zu hören, wenn die Uhren ferngestellt wurden.
Gruß
Micha
Micha
Re: Hauptuhr mit Gleichstelleinrichtung
In Furtwangen ist eine solche Ueber-Mutteruhr zu sehen.
Man weiss dort nicht all zu viel darueber ausser, dass sie ihre Kinder wohl ueber Telefonleitung dressiert hat.
Karlo
Man weiss dort nicht all zu viel darueber ausser, dass sie ihre Kinder wohl ueber Telefonleitung dressiert hat.
Karlo
Re: Hauptuhr mit Gleichstelleinrichtung
Interessantes Teil. Ich denke, ohne Anleitung kommt man damit nicht recht weiter. Daher ist die Dokumentation mindestens genau so wichtig wie die Uhr. Ohne die Doku wird der nächste das mühevoll hergestellte "Gerümpel" wieder rausschmeißen. Und das wäre schade...
Frank
Frank
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Re: Hauptuhr mit Gleichstelleinrichtung
Hallo,
eine wirklich interessante Uhr. Respekt vor dem Eigenbau der benötigten Bauteile.
Es ist schon beeindruckend, zu sehen, welcher Aufwand betrieben wurde, um überall über die korrekte Zeit zu verfügen.
Wie wurde denn die Gleichstellung ausgelöst? Durch Stromimpulse? Lässt sich dieser Vorgang automatisiert realisieren? Wäre doch klasse, wenn wirklich jeden Tag die Gleichstellung, angesteuert durch eine Referenzuhr (eine eventuell vorhandene Sekundenpendeluhr, Funkuhr,...), ausgelöst werden würde.
Schöne Grüße
Guido / KleineSekunde
eine wirklich interessante Uhr. Respekt vor dem Eigenbau der benötigten Bauteile.
Es ist schon beeindruckend, zu sehen, welcher Aufwand betrieben wurde, um überall über die korrekte Zeit zu verfügen.
Wie wurde denn die Gleichstellung ausgelöst? Durch Stromimpulse? Lässt sich dieser Vorgang automatisiert realisieren? Wäre doch klasse, wenn wirklich jeden Tag die Gleichstellung, angesteuert durch eine Referenzuhr (eine eventuell vorhandene Sekundenpendeluhr, Funkuhr,...), ausgelöst werden würde.
Schöne Grüße
Guido / KleineSekunde
Re: Hauptuhr mit Gleichstelleinrichtung
Zur Gleichstellung aller Uhren im Eisenbahnnetz wurde keine eigene Leitung benutzt, sondern eine ohnehin vorhandene Telegraphieleitung. Diese wurde kurz vor 8 Uhr für den Telegraphieverkehr gesperrt und mit dem Gleichstellsignal belegt. Das kann man heute natürlich mithilfe einer DCF77-Signaluhr simulieren. Die muß sich dann aber auf Sekunden einstellen lassen.
Zu der oben beschriebenen Uhr ist ja noch nicht alles gesagt. Es gab die Ausführung "für tägliche Gleichstellung" und für "stündliche Gleichstellung". Die vor der Platine sichtbaren Kontakte an der Sekundenwelle bereiten den Gleichstellvorgang vor. Das bedeutet, daß nur Korrekturimpulse angenommen werden, die 20 Sekunden vor oder nach der 60. Sekunde kommen, und dann auch nur nach 24 Stunden oder 60 Minuten. Irgendwelche Zufalls- oder Störimpulse dazwischen werden nicht berücksichtigt. Geht die Pendeluhr zufällig genau wird ebenfalls kein Korrekturvorgang ausgelöst.
Beim genauen Betrachten des Werkbildes kann man erkennen, daß das Excenterrad auf der Sekundenwelle zwei Höcker hat, ein sog. Doppelexcenter. Das bedeutet, es handelt sich um einen Halbminutenspringer. Entsprechende Nebenuhren müssen dann auch angeschlossen sein. Man kann übrigens eine normale HU-10 mit Minutenauslösung nicht zum Halbminutenspringer umbauen, indem man nur das Excenterrad auswechselt. Die Aufzugübersetzung muß auch geändert werden, weil sonst das Gewicht in das Werk hineingezogen wird.
R. Helsper
Zu der oben beschriebenen Uhr ist ja noch nicht alles gesagt. Es gab die Ausführung "für tägliche Gleichstellung" und für "stündliche Gleichstellung". Die vor der Platine sichtbaren Kontakte an der Sekundenwelle bereiten den Gleichstellvorgang vor. Das bedeutet, daß nur Korrekturimpulse angenommen werden, die 20 Sekunden vor oder nach der 60. Sekunde kommen, und dann auch nur nach 24 Stunden oder 60 Minuten. Irgendwelche Zufalls- oder Störimpulse dazwischen werden nicht berücksichtigt. Geht die Pendeluhr zufällig genau wird ebenfalls kein Korrekturvorgang ausgelöst.
Beim genauen Betrachten des Werkbildes kann man erkennen, daß das Excenterrad auf der Sekundenwelle zwei Höcker hat, ein sog. Doppelexcenter. Das bedeutet, es handelt sich um einen Halbminutenspringer. Entsprechende Nebenuhren müssen dann auch angeschlossen sein. Man kann übrigens eine normale HU-10 mit Minutenauslösung nicht zum Halbminutenspringer umbauen, indem man nur das Excenterrad auswechselt. Die Aufzugübersetzung muß auch geändert werden, weil sonst das Gewicht in das Werk hineingezogen wird.
R. Helsper