Fingerstellungen bei einem Großuhrwerk

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Falls hier theoretische Hilfen angeboten werden, so sollen und können sie keinen Uhrmacher ersetzen. Sie sind ohne jede Garantie oder Gewähr und jeder muss selbst wissen, was er sich zutrauen kann und dass man mit einem Selbstversuch evtl. leichtfertig die Uhr zerstören könnte. Vor allen Dingen wertvolle Uhren gehören in die Hand eines Fachmanns. Vielleicht sogar eines Fachmanns hier aus dem Forum. Laien sollten unbedingt den oben angepinnten Hinweis über Uhrenfedern lesen.
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gegensatz
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Registriert: Mo 21. Apr 2014, 00:09
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Fingerstellungen bei einem Großuhrwerk

Beitrag von gegensatz »

Hallo liebe Uhrenfreunde,

auch in diesem Forum möchte ich meinen Beitrag einstellen, weil er vielleicht für andere User auch interessant sein könnte. Es geht um das Zerlegen von Uhrwerken, die eine sog. Fingerstellung haben (kein Malteserkreuz). Nachfolgend ein Foto eines alten Werkes, auf dem die beiden Fingerscheiben unten zu sehen sind; allerdings fehlen hier die Finger. Entschuldigung, daß das Bild etwas unscharf ist, aber die Art der Fingerscheiben ist gut zu sehen.
DSCF1566.JPG
Nun zum Thema: Ich weiß, daß diese Fingerstellungen verhindern sollen, daß die Federn ganz ablaufen. Selbst wenn nach dem Abbau der Kadratur sämtliche Laufräder der Schlagwerke stehen, ist durch die Fingerstellungen noch eine Restspannung der Federn vorhanden. Damit mir beim Zerlegen des Werkes nicht alle Zahnräder um die Ohren fliegen, bitte ich Euch, mir als Laien Schritt für Schritt aufzuzeigen, wie ich vorgehen muß, daß die Federn wirklich komplett ! entspannt sind incl. der sog. Restspannung.

Meine Fragen hierzu:

1. Wie muß ich bei dieser Fingerstellung vorgehen, damit auch die restliche Federspannung ablaufen kann und wie prüfe ich dann, daß die Feder wirklich entspannt ist?

2. Eines der Werke hat diese Fingerstellung außen angebracht, beim anderen Werk ist sie innen. Funktioniert das Entspannen bei der inneren Fingerstellung genauso wie bei der Äußeren, da ich hier die Fingerscheiben vorher nicht abschrauben könnte, falls notwendig?

3. Beim Zusammenbau des Werkes muß ich die Vorspannung der Federn mittels Fingerstellung wieder aufbauen. Wie geht das und wieviele Umdrehungen mit dem Schlüssel sind dann zu machen und in welchen Eingriff der Fingerscheibe (rechts, mitte oder links) kommt dann der Finger?

4. Laufen die Federn eigentlich komplett ab, wenn ich die Fingerscheibe soweit drehe, daß der Finger in keine Kerbe mehr eingreift oder bleibt die Vorspannung trotzdem erhalten?

Viele Fragen eines Laien, denn für mich ist es das erste Mal, daß ich ein Werk mit Fingerstellung Zerlegen und Reinigen möchte. Vielleicht ist die Lösung auch ganz einfach und ich stelle es mir zu kompliziert vor. Normalerweise habe ich mit solchen Werken keine Probleme, aber diese Vorspannung bereitet mir doch etwas Sorgen und ich möchte daher auch nichts falsch machen.

Danke im voraus für Eure Hilfestellungen und Ratschläge.

Viele Grüsse

Norbert
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gegensatz
Beiträge: 71
Registriert: Mo 21. Apr 2014, 00:09
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Re: Fingerstellungen bei einem Großuhrwerk

Beitrag von gegensatz »

gegensatz hat geschrieben:Hallo liebe Uhrenfreunde,

auch in diesem Forum möchte ich meinen Beitrag einstellen, weil er vielleicht für andere User auch interessant sein könnte. Es geht um das Zerlegen von Uhrwerken, die eine sog. Fingerstellung haben (kein Malteserkreuz). Nachfolgend ein Foto eines alten Werkes, auf dem die beiden Fingerscheiben unten zu sehen sind; allerdings fehlen hier die Finger. Entschuldigung, daß das Bild etwas unscharf ist, aber die Art der Fingerscheiben ist gut zu sehen.
DSCF1566.JPG
Nun zum Thema: Ich weiß, daß diese Fingerstellungen verhindern sollen, daß die Federn ganz ablaufen. Selbst wenn nach dem Abbau der Kadratur sämtliche Laufräder der Schlagwerke stehen, ist durch die Fingerstellungen noch eine Restspannung der Federn vorhanden. Damit mir beim Zerlegen des Werkes nicht alle Zahnräder um die Ohren fliegen, bitte ich Euch, mir als Laien Schritt für Schritt aufzuzeigen, wie ich vorgehen muß, daß die Federn wirklich komplett ! entspannt sind incl. der sog. Restspannung.

Meine Fragen hierzu:

1. Wie muß ich bei dieser Fingerstellung vorgehen, damit auch die restliche Federspannung ablaufen kann und wie prüfe ich dann, daß die Feder wirklich entspannt ist?

2. Eines der Werke hat diese Fingerstellung außen angebracht, beim anderen Werk ist sie innen. Funktioniert das Entspannen bei der inneren Fingerstellung genauso wie bei der Äußeren, da ich hier die Fingerscheiben vorher nicht abschrauben könnte, falls notwendig?

3. Beim Zusammenbau des Werkes muß ich die Vorspannung der Federn mittels Fingerstellung wieder aufbauen. Wie geht das und wieviele Umdrehungen mit dem Schlüssel sind dann zu machen und in welchen Eingriff der Fingerscheibe (rechts, mitte oder links) kommt dann der Finger?

4. Laufen die Federn eigentlich komplett ab, wenn ich die Fingerscheibe soweit drehe, daß der Finger in keine Kerbe mehr eingreift oder bleibt die Vorspannung trotzdem erhalten?

Viele Fragen eines Laien, denn für mich ist es das erste Mal, daß ich ein Werk mit Fingerstellung Zerlegen und Reinigen möchte. Vielleicht ist die Lösung auch ganz einfach und ich stelle es mir zu kompliziert vor. Normalerweise habe ich mit solchen Werken keine Probleme, aber diese Vorspannung bereitet mir doch etwas Sorgen und ich möchte daher auch nichts falsch machen.

Danke im voraus für Eure Hilfestellungen und Ratschläge.

Viele Grüsse

Norbert
P.S. Noch ein kleiner Nachtrag: ich habe mal ein Werk zerlegt, bei dem ich aus Unwissenheit diese Fingerstellungen überhaupt nicht beachtet habe mit dem Erfolg, daß mir sämtliche Zahnräder um die Ohren geflogen sind. Deshalb frage ich hier so genau nach, damit mir sowas nicht nochmal passiert.

Viele Grüsse

Norbert
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wahli76
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Re: Fingerstellungen bei einem Großuhrwerk

Beitrag von wahli76 »

Hallo Norbert,

ich versuche mal, alle deine Fragen zu beantworten. wenn etwas nicht klar wird, bitte einfach nachfragen.

vorweg:
bei den Uhrwerken mit festen Federhäusern (z.B. Wiener 4/4-Schlagwerk) immer die Uhr erstmal ablaufen lassen, d.h. Anker ausbauen und Kadratur abbauen (wenn die Uhr grundüberholt werden soll). Sind die Lagerstellen verharzt, kannst du das Werk ruhig großzügig mit WD40 einsprühen und ein wenig einwirken lassen. WD40 auf keinen Fall zum Betrieb der Uhr verwenden!! Die 3 Werke nacheinander ablaufen lassen, ggf. mit einem Putzholz oder einer Pinzette die Ablaufgeschwindigkeit regulieren (nicht zu schnell laufen lassen)

zu 1:
wenn Stellungsfinger UND Stellungsscheibe noch vorhanden und korrekt eingestellt sind, sollte der Stellungsfinger auf dem Kopfkreis der Stellungsscheibe zur Ruhe kommen. Ist die Stellung außen am Werk, einfach die Stellungsscheibe abschrauben und ganz ablaufen lassen. Evtl. mit dem Aufzugschlüssel ein wenig in Ablaufrichtung nachhelfen.......

zu 2:
ist die Stellung innen angebracht, wird es etwas schwieriger. Du kannst vor dem Ablaufenlassen mit einem dünnen, vorne abgebogenen Draht die Stellungsscheibe bewegen, wenn der Stellungsfinger nicht im Eingriff ist. Zur Not auch hier mit WD40 nachhelfen. Wenn bei abgelaufenen Uhrwerk der Stellungsfinger auf dem Kopfkreis ruht, wieder 1/4 Umdrehung aufziehen, das Werk blockieren und mit dem Draht die Stellungsscheibe in eine Stellung bringen, daß der Stellungsfinger noch einmal eingreifen kann. Das so oft wiederholen bis der Stellungsfinger bei abgelaufenem Werk nicht mehr auf dem Kopfkreis zur Ruhe kommt, sondern vorher. Auch hier gilt: Evtl. mit dem Aufzugschlüssel ein wenig in Ablaufrichtung nachhelfen.......

zu 3:
Beim Zusammenbau in umgekehrter Richtung vorgehen. Den Stellungsfinger so am Federkern anbringen, daß man die Feder ca. eine 3/4 bis 1 Umdrehung aufziehen muß, bis er auf dem Kopfkreis aufsitzt. Stellungsscheibe auch hier mit dem Draht bewegen. Wenn die Feder ganz aufgezogen ist, die Stellungsscheibe noch eine Kerbe zurückbewegen und überprüfen wie weit sich die Feder noch aufziehen läßt (ca. noch 1 Umdrehung). Dan die Stellungscheibe wieder zurückdrehen.

zu 4:
siehe 1

Viele Grüße

Kurt
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gegensatz
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Registriert: Mo 21. Apr 2014, 00:09
Wohnort: Bayern

Re: Fingerstellungen bei einem Großuhrwerk

Beitrag von gegensatz »

wahli76 hat geschrieben:Hallo Norbert,

ich versuche mal, alle deine Fragen zu beantworten. wenn etwas nicht klar wird, bitte einfach nachfragen.

vorweg:
bei den Uhrwerken mit festen Federhäusern (z.B. Wiener 4/4-Schlagwerk) immer die Uhr erstmal ablaufen lassen, d.h. Anker ausbauen und Kadratur abbauen (wenn die Uhr grundüberholt werden soll). Sind die Lagerstellen verharzt, kannst du das Werk ruhig großzügig mit WD40 einsprühen und ein wenig einwirken lassen. WD40 auf keinen Fall zum Betrieb der Uhr verwenden!! Die 3 Werke nacheinander ablaufen lassen, ggf. mit einem Putzholz oder einer Pinzette die Ablaufgeschwindigkeit regulieren (nicht zu schnell laufen lassen)

zu 1:
wenn Stellungsfinger UND Stellungsscheibe noch vorhanden und korrekt eingestellt sind, sollte der Stellungsfinger auf dem Kopfkreis der Stellungsscheibe zur Ruhe kommen. Ist die Stellung außen am Werk, einfach die Stellungsscheibe abschrauben und ganz ablaufen lassen. Evtl. mit dem Aufzugschlüssel ein wenig in Ablaufrichtung nachhelfen.......

zu 2:
ist die Stellung innen angebracht, wird es etwas schwieriger. Du kannst vor dem Ablaufenlassen mit einem dünnen, vorne abgebogenen Draht die Stellungsscheibe bewegen, wenn der Stellungsfinger nicht im Eingriff ist. Zur Not auch hier mit WD40 nachhelfen. Wenn bei abgelaufenen Uhrwerk der Stellungsfinger auf dem Kopfkreis ruht, wieder 1/4 Umdrehung aufziehen, das Werk blockieren und mit dem Draht die Stellungsscheibe in eine Stellung bringen, daß der Stellungsfinger noch einmal eingreifen kann. Das so oft wiederholen bis der Stellungsfinger bei abgelaufenem Werk nicht mehr auf dem Kopfkreis zur Ruhe kommt, sondern vorher. Auch hier gilt: Evtl. mit dem Aufzugschlüssel ein wenig in Ablaufrichtung nachhelfen.......

zu 3:
Beim Zusammenbau in umgekehrter Richtung vorgehen. Den Stellungsfinger so am Federkern anbringen, daß man die Feder ca. eine 3/4 bis 1 Umdrehung aufziehen muß, bis er auf dem Kopfkreis aufsitzt. Stellungsscheibe auch hier mit dem Draht bewegen. Wenn die Feder ganz aufgezogen ist, die Stellungsscheibe noch eine Kerbe zurückbewegen und überprüfen wie weit sich die Feder noch aufziehen läßt (ca. noch 1 Umdrehung). Dann die Stellungscheibe wieder zurückdrehen.

zu 4:
siehe 1

Viele Grüße

Kurt
Hallo Kurt,

herzlichen Dank für Deine tollen und detaillierten Beschreibungen. Letztendlich weiß ich natürlich auch nicht, ob die Fingerstellung korrekt eingestellt ist. Ich gehe einfach mal davon aus, daß es so ist. Nur zum Verständnis für mich:

- der Kopfkreis der Stellungsscheibe ist der genau den Eingriffen gegenüber liegende Teil?
- Ganz klar ist mir unter Punkt 3. der 2. und 3. Satz noch nicht. Wie oft muß ich denn die Feder mit dem Verschieben des Fingers in den Eingriffen aufziehen, bis ich diese Vorspannung wieder aufgebaut habe oder muß ich die Feder ganz aufziehen, um dies zu erreichen?
- vielleicht hilft es mir auch weiter, wenn ich weiß, wie diese Stellungen überhaupt funktionieren.

Vermutlich werden die Laienfragen erst dann auch noch kommen, wenn ich beim Zerlegen oder Zusammenbau bin und wahrscheinlich ist das Ganze auch ganz einfach, wenn man es einmal richtig gemacht hat.

Vielen Dank nochmals im voraus und viele Grüsse

Norbert
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wahli76
Beiträge: 399
Registriert: Di 17. Jan 2012, 13:08
Wohnort: bei München

Re: Fingerstellungen bei einem Großuhrwerk

Beitrag von wahli76 »

Hallo Norbert,

der Kopfkreis ist ganz einfach der größte Durchmesser der Stellungsscheibe, das gilt für die Spitzen der "Zähne" (Einschnitte) genauso wie für den Teil der Scheibe ohne Einschnitte.

Wenn der Stellungsfinger nicht im Eingriff ist, kannst du die Stellungsscheibe frei drehen!

Du kannst das ja mal nur mit dem Gehwerk ausprobieren. Bau das Gehwerk komplett zusammen incl. Anker. Dann schau mal wo der Stellungsfinger bei völig entspannter Zugfeder steht. Zieh´ das Werk soweit auf, bis der Stellungsfinger einmal die Stellungsscheibe weiterbewegt hat. Wenn das Gehwerk ganz normal abläuft, würde der Stellungsfinger die Stellungsscheibe wieder zurückdrehen. Wenn du die Stellungsscheibe vorher zurückdrehst, kommt der Stellungsfinger am Umfang der Scheibe neben dem ersten Einschnitt auf. Das ist dann die "Grundfedervorspannung"

Probiere ruhig ein wenig herum, dann verstehst du es schon.

Viele Grüße

Kurt
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