Pendelamplitude

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Uhrmacher 19
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Pendelamplitude

Beitrag von Uhrmacher 19 »

Hallo Forumskollegen,

mich hat heute den ganzen Tag ein mathematisches Problem geplagt.
Also …. Die Pendelgesetze sind mir ja weitestgehend bekannt.
Ich meine damit die Abhängigkeit der Schwingdauer von der Pendellänge; aber auch wie sich Luftdruck und Temperatur auf die Schwingdauer auswirken. Das die Pendelmasse keine Auswirkung auf die Schwingdauer hat, jedoch die Entfernung vom Drehpunkt zum Massenschwerpunkt. Das ist mir soweit alles klar.

Die Frage, die mir heute keine Ruhe gelassen hat, ist:
Wie lässt sich die Amplitude oder maximale Elongation für ein Sekundenpendel berechnen?
Anders formuliert:
Wie groß ist der Auslenkungswinkel bei einem Sekundenpendel in Winkelgraden?
Einige Hinweise im Internet haben mich immer wieder stutzig gemacht:
So wurde z.B. der Hinweis gegeben, dass die Amplitude keinen oder nur einen sehr geringen Einfluss auf die Schwingdauer hat. Leider fehlte der Hinweis darauf, in welchen Grenzen das gilt.
An anderer Stelle konnte ich lesen, dass die Schwingdauer auch von der Amplitude abhängig ist.
Jetzt kann es natürlich auch sein, dass ich etwas übersehen habe oder einfach nur „Den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehe“ ;-)
Vielleicht hat jemand einen Tipp?

Gruß
Jörg
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Gnomus
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Re: Pendelamplitude

Beitrag von Gnomus »

Uhrmacher 19 hat geschrieben:So wurde z.B. der Hinweis gegeben, dass die Amplitude keinen oder nur einen sehr geringen Einfluss auf die Schwingdauer hat. Leider fehlte der Hinweis darauf, in welchen Grenzen das gilt.
Bin leider kein Fachmann, aber soviel kann ich schon mal sagen, daß die Amplitude sehr wohl Einfluß hat, sonst hätte Huygens nicht das Zykloidenpendel entwickelt.
Im BI-Lexikon "Uhren und Zeitmessung" steht bei "Amplitude" bei Pendeluhren etwa 10° und bei PPU weniger als 1°.
Gruß
Micha
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Uhrmacher 19
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Re: Pendelamplitude

Beitrag von Uhrmacher 19 »

@Gnomus
Ja ... dazu habe ich auch etwas gefunden:

"Die Tautochrone beschreibt eine Kurve, auf der, einzig angetrieben durch die Schwerkraft, ein Körper stets in der selben Zeit den Nulldurchgang erreicht.
Grundlage dieses Pendels ist die Tautochrone.
Für ein Pendel bedeutet das, dass wenn der Schwerpunkt des Pendels eine solche Bahn beschreibt, unabhängig von der Amplitude jede Schwingung gleich lange dauern würde.
Damit kann man theoretisch eine Pendeluhr bauen, die höchstgenau geht und trotzdem nicht ortsgebunden ist.
Bei der Umsetzung dieses Prinzips durch Huygens waren die Reibungsverluste jedoch so erheblich, dass das neue Pendel keine wirkliche Verbesserung erkennen lies.
1839 setzte Stampfer dieses Prinzip bei der Konstruktion der Rathausuhr in Lemberg erfolgreich um."


Gruß
Jörg
winne
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Re: Pendelamplitude

Beitrag von winne »

@ Uhrmacher 19

Hallo Jörg

Hier wirst Du fündig.

http://www.yellys.ch/service/tech4.html#3.3.2.


Gruß Winne
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praezis
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Re: Pendelamplitude

Beitrag von praezis »

Ich habe es durchgelesen, der Artikel ist eine wahre Fleissarbeit. Bei einigen Sätzen war ich mir aber nicht so sicher, ob der Verfasser nur fleissig war oder auch alles verstanden hat.

Die zukünftige Amplitude lässt sich sicher berechnen, das wäre aber umständlich, mit vielen Unwägbarkeiten behaftet und für die Praxis wenig hilfreich. Daher steht nichts in den meisten Fachbüchern.
Sie stellt sich bei einem Gleichgewicht von zugeführter Energie und Verlusten durch Widerstände ein. Letzteres ist im Wesentlichen der Luftwiderstand des Pendels. Da er mit der Geschwindigkeit nicht nur einfach sondern im Quadrat zunimmt, stellt sich eine recht stabile Endamplitude ein.

Ich würde mich an üblichen Werten orientieren sowie an den von der Hemmung geforderten Winkeln.

Die Schwingungsdauer des Pendels ist immer amplitudenabhängig. Auch beim "idealen Pendel", im Gegensatz zur Ansicht des Schreibers von obigem Artikel.
Feder/Masse Schwinger (z.B. Unruh) sind es nicht, da sie eine "harmonische Schwingung" ausführen. Ihr Merkmal ist, daß die Rückstellkraft linear mit der Auslenkung wächst. Beim Pendel wächst sie nicht mit dem Winkel der Auslenkung, sondern mit dessen Sinus. Winkel und sein Sinus sind bei sehr kleinen Winkeln identisch (Winkel im Bogenmass, mal am Taschenrechner ausprobieren!), der Unterschied wächst aber schnell an.

Selbst das beste Präzisionspendel hat einen Amplitudenfehler, da es ja ausgelenkt werden muss. Das macht aber garnichts, da er beim Längenabgleich mit der Pendelmutter automatisch ausgeglichen wird. Erst bei Änderungen der Amplitude (wechselnde Widerstände im Getriebe, Luftdruck etc.) wird er wieder sichtbar.

Wer es genau wissen will, hier die Formel:

T = Pi * sqr(L/g (1 + (1/2 * sin(W/2) )^2 + (1/2 * 3/4 * sin^2(W/2) )^2 +...))

Bei kleinen Winkeln reicht es, nur die ersten 2 Glieder der Reihe zu verwenden, und die Formel zur Berücksichtigung der Amplitude vereinfacht sich zu:

T = Pi * sqr(L/g (1 + W^2 /16) )

T= Dauer der Halbschwingung [s]
L= Pendellänge [m]
g= Erdbeschleunigung 9,81 m/s^2
W= Winkel der Auslenkung im Bogenmass
sqr= Wurzel aus...
:P

Gruß,
Frank
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steffl62
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Re: Pendelamplitude

Beitrag von steffl62 »

Hallo Frank,
Danke für die ausgesprochen interessante und sehr gut recherchierte Abhandlung. :P
Ich dachte bis jetzt auch das die Amplitude des Pendels keinen Einfluss auf die Frequenz hat. Wäre es da nicht vernünftiger gewesen Präzisionsuhren mit Unruhen anstatt Pendeln zu bauen? Wo liegt denn das Problem mit den Feder/Masse Schwingern?

lg Christian
.
Fragen, Korrekturen und Ergänzungen zu meinen Beiträgen sind ausdrücklich erbeten und gewünscht!
Wynen
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Re: Pendelamplitude

Beitrag von Wynen »

steffl62 hat geschrieben:Wäre es da nicht vernünftiger gewesen Präzisionsuhren mit Unruhen anstatt Pendeln zu bauen?
Die Direktionskraft, also die Rückstellkraft der Feder bei Auslenkung ist auch nicht konstant,d.h. von der Auslenkung (Amplitude) abhängig. Den "Isochronismus-Fehler" gibt es also auch bei Unruhschwingern.

Gruß
Hartmut
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Typ1-2-3
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Re: Pendelamplitude

Beitrag von Typ1-2-3 »

Bei Unruhen kommen noch mehr Fehlerquellen des Isochronismus dazu, im Verhältnis zum Pendel. Denn die Spirale hat selbst noch Fehler: Innerer, äußerer Ansteckpunkt, Wärmefehler usw. Dazu kommt die Schwungmasse, der Unruhreif. Und die Lagerung, die nie konstant ist, denn sie ist vom Öl und der Oberflächengüte von Lager und Zapfen abhängig. Außerdem lässt sich ein Schwingsystem am meisten aus dem Isochronismus bringen bei kleiner Masse. Deshalb sind Präzisionspendel schwer. Man stelle sich zum Vergleich mal eine 5kg schwere Unruh vor...

Daher ist es auch sehr viel schwieriger, einen genauen Unruhschwinger zu bekommen zur Güte eines Pendels.

Frank
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Uhrmacher 19
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Re: Pendelamplitude

Beitrag von Uhrmacher 19 »

@praezis

Hallo Frank,
zunächst einmal Danke für Deine verständliche Antwort.
Ich habe mir inzwischen auch den Internettext durchgelesen ... ja ... war wohl eine Fleißarbeit ;-)
Mein Verständnis für die Pendelbewegung ist etwas besser geworden (hoffe ich zumindest).
Ich denke eine wirklich genaue Berechnung ist nur mithilfe des Energieerhaltungssatzes möglich.
Aber das führt dann wohl zu weit (zumindest für mich).
Mir ging es mehr um ein "Verständnisproblem".
Um ein Gefühl dafür zu bekommen, habe ich einfach mal verglichen, was eine Amplitudenänderung von 0,5° auf 1° bedeutet.
Nach meinen Berechnungen ändert sich dadurch der tägliche Gang (24h) um 0,617 Sekunden.
Das wiederum entspricht der Längenänderung einer Stahlpendelstange, die bei einer Temperaturänderung von 1°C auftritt.
Was ich damit sagen will: durch die mathematischen Hintergründe wird das Gefühl für die Veränderungen am genauen Gang einer Uhr unterstützt.
Du hast in Deiner Nachricht folgendes geschrieben:
"Sie stellt sich bei einem Gleichgewicht von zugeführter Energie und Verlusten durch Widerstände ein."
Ich denke das ist die wichtigste Aussage und Erkenntnis !!!
Ich werde mich dem Thema wohl erst wieder mehr nähern, wenn ich mal über den Bau einer PPU nachdenke.
Aber eine Frage für die Praxis habe ich dennoch:
Gibt es Erfahrungswerte für den Pendelausschlag bei verschiedenen Pendellängen?
Vielleicht ist diese Frage zu allgemein, daher der Grund warum ich frage:
Ich habe in einem Fachbuch (Reutebuch, Der Uhrmacher) unterschiedliche Skalen für die Schwingungsmaße von unterschiedlichen Pendellängen gefunden.
Die Beschriftung der Skalen ist gleich (Angabe in Minuten, z.B.: 30´, 60´, 90´, 120´ jeweils in beide Richtungen), aber die Skaleneinteilung ist unterschiedlich.
Was bedeuten diese Angaben?
Sind das Zeit-Minuten, Winkel-Minuten oder Minuten im Bogenmaß?

Ich denke das wird meine letzte Frage zu diesem Thema sein, sonst gehen hier noch die Brandmelder an, weil mir der Kopf qualmt ;-)

Gruß
Jörg
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praezis
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Re: Pendelamplitude

Beitrag von praezis »

Uhrmacher 19 hat geschrieben:@praezis
Aber eine Frage für die Praxis habe ich dennoch:
Gibt es Erfahrungswerte für den Pendelausschlag bei verschiedenen Pendellängen?
:P eine mutige Frage. Der Weg der Pendelspitze ist natürlich umso größer, je länger das Pendel (nach meiner langjährigen Erfahrung).
Weg = Radius (=Pendellänge) * Gesamtwinkel
Vielleicht ist diese Frage zu allgemein, daher der Grund warum ich frage:
Ich habe in einem Fachbuch (Reutebuch, Der Uhrmacher) unterschiedliche Skalen für die Schwingungsmaße von unterschiedlichen Pendellängen gefunden.
Die Beschriftung der Skalen ist gleich (Angabe in Minuten, z.B.: 30´, 60´, 90´, 120´ jeweils in beide Richtungen), aber die Skaleneinteilung ist unterschiedlich.
Was bedeuten diese Angaben?
Sind das Zeit-Minuten, Winkel-Minuten oder Minuten im Bogenmaß?
Jörg
Gradminuten (Bogenmass hat keine Einheit)

Gruß,
Frank
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