Leutmann - Vollständige Nachricht von den Uhren

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walter der jüngere

Leutmann - Vollständige Nachricht von den Uhren

Beitrag von walter der jüngere »

Die DGC hat wieder einmal die Liste der Faksimile-Ausgaben ergänzt - und dabei zwei Büchlein neu zugänglich gemacht, welche ich hier gern mit den Worten von Herrn Dr. Huber, dem Bibliothekar der DGC vorstellen möchte:

Johann Georg Leutmann:

Vollständige Nachricht von den Uhren.
Nebenst Einer Beschreibung eines besonderen Instrumentes allerhand Arten der Sonnen-Uhren leicht zu beschreiben.

Halle a.d. Saale, 1718. XXIV+106 S.+Kupferstich-Frontispiz+ 2 Tabellen+ 8 Tafeln.

Johann Georg Leutmann:

Vollständige Nachricht von Uhren. Zweyter Theil In welcher die Probir- auch Repetir-Uhren und Viatoria mit den vornehmsten Instrumenten, so zu ihrer accuraten Ausarbeitung und Stellung gehören, beschrieben und in vielen Kupfern vorgestellt sind.
Halle a.d. Saale, 1722. XXVIII+142 S.+Kupferstich-Frontispiz+ 22 Tafeln.

2 Bände in einem. Format 7 x 14,5 cm (Schriftblock)

Anmerkungen zu Buch und Autor
Das Buch in zwei Teilen (1718/1722) von Johann Georg Leutmann ist das weltweit früheste gedruckte Uhrenbuch, in dem ein Autor Details der handwerklichen Herstellung von Groß- und Kleinuhren beschreibt. Dass diese Ehre einem deutschen Autor zukommt, ist insofern erstaunlich, als England und Frankreich im wissenschaftlichen Bereich damals führend waren. Das Werk Leutmanns beruht auf einer profunden Kenntnis der Materie und behandelt das gesamte Gebiet lückenlos und umfassend. Erstaunlich sind die Beschreibungen technischer Neuerungen, die sich gerade erst durchzusetzen begannen und die nur von wenigen Meistern beherrscht wurden: Die Anwendung des Pendels und der Zykloide, der Bau einer Sekundenpendeluhr als Zeitnormal, detaillierte Pläne zu Repetitionsmechanismen einschließlich eigener Konstruktionen Leutmanns sowie Äquationsuhren.
1696 war die 1. Auflage des „The Artificial Clockmaker“ vom englischen Kanoniker William Derham erschienen. Dieses Werk fand sehr schnell eine große Verbreitung und wurde bereits 1708 von Doppelmayer als Anhang zur Welperschen Gnomonica ins Deutsche übersetzt. Auch Leutmann kannte das Buch, gab sich aber mit dem simplen Inhalt dieses Werks nicht zufrieden. Sein Ziel waren konkrete Ratschläge und Arbeitsanweisungen. Weil ihm das souverän gelang, ist sein Buch heute so wertvoll.
Leutmann stellt seinen Ausführungen jeweils ein Glossar mit Erläuterung der verwendeten Begriffe voran. Dies war sinnvoll, da in der Zeit um 1720 für Uhrmacher keine einheitliche Nomenklatur existierte und deshalb zum sicheren Verständnis eine Sprachregelung hilfreich war.

Teil 1 des Buchs beginnt mit der Berechnung von Räderwerken. Anschließend werden Pendeluhren behandelt, wobei bereits Details wie der Zusammenhang zwischen Antriebsgewicht und Gewicht der Pendellinse angesprochen werden. Als nächstes folgen die Berechnung und der Aufbau der Schlagwerke sowie Hinweise für praktische Arbeiten. Noch kein Verfasser vor Leutmann hat so detailliert z.B. über Feuervergolden, Löten, Bohrer härten, Polieren, Materialeigenschaften usw. geschrieben. Im Kapitel über Taschenuhren gibt Leutmann Hinweise, um die Qualität einer Uhr beurteilen zu können sowie Ratschläge zur Pflege der Uhren und der letzte Abschnitt hilft bei der Altersbestimmung einer Taschenuhr. Zum genauen Stellen einer Uhr nach dem Stand der Sonne sind die Äquationstabellen von Manley und Buschmann hilfreich, alles Neuerungen, die 50 Jahre vorher noch nicht bekannt waren. Um auch unterwegs seine Uhr unter Kontrolle zu haben, fügt Leutmann auch noch die Konstruktion einer Reisesonnenuhr bei.

Teil 2 des Buchs ist noch mehr der Praxis gewidmet. Es beginnt mit der Beschreibung einer „Präzisionspendeluhr“ (Spindelgang und Zykloidenbacken am Pendel), aber bereits versehen mit einem Aufzugsmechanismus für konstante Kraft. Anschließend beschreibt er die Herstellung einer Räderschneidmaschine nach Bion und speziell die Anfertigung einer Teilscheibe. Für große Räder hat er eine eigene Maschine ersonnen, die ebenfalls in Wort und Bild behandelt wird. Ein großes Thema für Leutmann ist auch die noch relativ neue Zeitgleichung, die den Unterschied zwischen mittlerer und Sonnenzeit angibt. Sein Ehrgeiz ist daher eine Uhr, bei der man auf einem Zifferblatt beide Zeiten ablesen kann. Diese Aufgabenstellung reizt ihn um so mehr, als Sully in seinen „Règle Artificielle du Tems“ von 1714 noch zweifelt, ob man so eine Uhr überhaupt bauen kann. Leutmann findet eine verblüffend einfache Lösung des Problems. Ausführlich erläutert er die Bestimmung der Mittagslinie zur Bestimmung der genauen Sonnenzeit und die Anwendung der Äquationstafeln zur Überprüfung der Ganggenauigkeit einer Pendeluhr. Ergänzend schildert er detailliert die Ursachen für die Zeitgleichung. Danach widmet sich Leutmann den Repetieruhren, für deren Bauweise er bisher nirgends eine entsprechende Beschreibung gefunden hatte. Er schildert ausführlich den kompletten Mechanismus. Auch die Konstruktion einer selbstschlagenden Taschenuhr mit Viertelschlag findet sich hier. Sehr wertvoll sind dann auch die folgenden Kapitel, in denen Leutmann das Ziehen, Härten und Aufwinden der Zugfedern beschreibt sowie das Schneiden einer Schnecke. Als kleine Zugabe fügt Leutmann am Ende des 2. Teils dann noch die Beschreibung eines Wegmessers an einem Wagen bei sowie die Bauanleitung für einen Schrittzähler.

Das zweibändige Werk wird ergänzt um 2 Frontispizes, die in allegorischer Art der Uhrmacherei gewidmet sind *). Insgesamt 31 Kupfertafeln, die Leutmann selbst entworfen hat, illustrieren den Text.

Johann Georg Leutmann wurde 30.11.1667 in Wittenberg geboren. Er studierte Theologie und wirkte zunächst als Pastor und Prediger in Dabrun/Sachsen. 1725 erhielt er eine der hoch dotierten Professuren für Optik und Mechanik an der neu gegründeten Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg, die damals als "Paradies der Gelehrten" galt. In St. Petersburg verstarb er dann auch am 1.1.1736. Heute ist vom Ruhm des Johann Georg Leutmann nichts übrig geblieben. Sein Name findet sich weder in der "Allgemeinen Deutschen Biographie" noch in der "Neuen Deutschen Biographie".
Viele Geistliche waren in der damaligen Zeit auch auf weltlichen Gebieten aktiv. Neben der Technik bot beispielsweise auch die Landwirtschaft, in der bis etwa 1880 die meisten Menschen arbeiteten, ein weites Feld für praktisch veranlagte Geistliche. In vielen Regionen waren sie es, die Kartoffeln, neue Obst- und Gemüsesorten sowie die Stallfütterung einführten. Johann Georg Leutmann zog es aber nicht zur Landwirtschaft. In der Vorrede zum 2. Band seines Werks verteidigt er sich vehement gegen die Ratschläge von Zeitgenossen, die ihm empfahlen, sich anstelle seiner Studien doch um Ackerbau und Feld zu kümmern und dies nicht alleine seiner Frau zu überlassen. Das brächte doch mehr ein. Er meinte jedoch, dass es besser sei, wenn er „die Räder an einem künstlichen automato betrachte als die Räder am Mistwagen“. Er arbeitete laut eigener Aussage jeden Tag bis mindestens um Mitternacht und lebte sehr zurückgezogen, um mit gesellschaftlichem Umgang keine Zeit für seine Studien zu verlieren. Seine Arbeiten auf dem naturwissenschaftlichen Gebiet sind umfangreich und universell. Er verfasste neben seinem Uhrenbuch u.a. Werke über den Bau von Holzsparöfen, Feuerspritzen, Messinstrumenten und Gewehren. Dazu zählen:
Nosce te ipsum et alios; Oder die Wissenschafft, sich selbst und anderer Menschen Gemüther zu erkennen. Wittenberg: 1719; 1724 um die Helffte vermehret nebst einem Anhange Von Physicalischer Betrachtung der Temperamente.
Neue Anmerkungen zum Glasschleifen (Wittenberg 1719)
Vvlcanvs Famvlans oder Sonderbahre Feuer-Nutzung Welche durch gute Einrichtung Der Stuben-Ofen .. und anderer Ofen kan erlanget und auf solche Art Mit wenigem Holtze starcke Wärme und grosse Hitze gemachet Auch Das Rauchen in Stuben verhindert werden. Mit raren Experimentis erkläret. (Wittenberg 1720)
Geometria repetita, Oder Kurtz-gefaste Grund-Lehren Zu der Geometria, Trigonometria plana, und Stereometria Nebst einer Anweisung zur Mechanica und Beschreibung einer richtigen Probier-Waage..(Danzig, 1725)

Dr. Bernhard Huber
Deutsche Gesellschaft für Chronometrie, Bibliothek
Nürnberg, August 2010

*) Übersetzung der Textunterschriften zu den Frontispizes:
bei Teil1: Vielleicht bleibt irgend etwas noch weiter zu verbessern übrig!
bei Teil 2: Vielleicht kann man für die zu verbessernden Dinge eine bedeutende Korrektur
ersinnen!


Soweit die Worte von Herrn Dr. Huber.
Die CD ist für 10 Euro bei der DGC bestellbar. Der Inhalt ist wunderbar aufbereitet und kann so auch für wissenschaftliche Zwecke ausgedruckt werden.

Walter d. J. (Moderator)
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