Kienzle-Electric mit Westminster

Vorstellung von Uhren und Uhrensystemen
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Typ1-2-3
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Kienzle-Electric mit Westminster

Beitrag von Typ1-2-3 » So 17. Mär 2013, 15:13

Habe eine elektrische Großuhr aufgetan, die im Kienzle-Katalog von 1929 steht und auch ungefähr aus dieser Zeit kommen muss.

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Von außen recht unspektakulär, ein schönes Gehäuse, was sich prima polieren ließ. Selbst der Ring von einem Bierglas (wahrscheinlich von irgendeiner Fete von vor 50 Jahren) ging anstandslos und ohne Spuren wieder weg. Die Macke auf dem Zifferblatt lässt sich aber nicht entfernen. Die Verarbeitung ist sehr gut, der Erhaltungszustand des Gehäuses auch.

Die inneren Werte sind sehr nett. Von hinten gibt es eine sehr große Klappe, das Uhrwerk ist gut zugänglich.

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Auf der linken Seite befindet sich ein Trafo, der die Netzspannung auf 3V Gleichspannung heruntersetzt. Dieses Netzgerät wurde im Laufe der Zeit schon einmal ersetzt, denn original sieht das Teil anders aus. Auch die Spuren der Schrauben vom Festschrauben des Netzgerätes zeigen den Ersatz.

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Neu ist die Kiste aber nicht, und die Lüsterklemmen haben auch schon bessere Tage gesehen. Sie sind an den Kanten ausgebrochen, eine musste ersetzt werden.

Sehr praktisch ist folgende Einrichtung, die ich bei anderen Uhren auch noch nicht gesehen habe:

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Auf der Zifferblattseite befindet sich ein Rahmen, auf den man das Uhrwerk aufschrauben kann. Alles - bis auf Zifferblatt und Zeiger - lässt sich so montieren. Netterweise kann man auf diese Art die richtige Funktion des Schlagwerkes von vorne und von hinten kontrollieren, die Schlagwerkhämmer einstellen usw. Wenn dann alles zur Zufriedenheit läuft, schraubt man Glasrand und Zifferblatt mit 2 extra langen Schrauben fest, und die Uhr ist fertig. Das Werk kann dabei auf dem Rahmen befestigt bleiben. Die einzige Tücke an der Sache ist die: Zur Befestigung des Uhrwerks auf dem Rahmen sind zwischen den Platinen 4 Schrauben eingebaut. Das Befestigen geht daher schnell und einfach, aber an die Schrauben muss man natürlich beim Zusammensetzen des Uhrwerks denken. Ich möchte nicht wissen, wie viele Uhrmacher über so eine Einrichtung schon geflucht haben, wenn die 4 Schrauben auf dem Werktisch lagen, und das Uhrwerk tadellos funktionierte.

Der Anblick des Räderwerks zeigt auch 2 der 4 Schrauben, die sich nahe der Pfeiler befinden. Die obere Schraube befindet sich direkt unter dem oberen Pfeiler. Sie lässt sich im Nachhinein nicht mehr einbauen, kann aber auch so nicht verloren gehen.

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Wie man sieht, ist das Uhrwerk nicht gerade einfach geraten, was aber bei einem Westminster auch nicht zu erwarten ist.

F

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soaringjoy
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Re: Kienzle-Electric mit Westminster

Beitrag von soaringjoy » Mi 17. Apr 2013, 10:28

Danke für's Einstellen Frank!
Schlichte Eleganz in guter Ausführungsqualität kommt immer an - eine schöne Uhr!
Das Uhrwerk hatte ich bisher auch noch nicht gesehen und ich hätte alles wahrscheinlich
mindestens 10 Jahre später eingeschätzt.
Die Werksbefestigung in manchen Buffetuhren war stets ein Problem bei schweren Werken und
hier haben die eine gute Lösung gefunden.
J.
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petsch
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Re: Kienzle-Electric mit Westminster

Beitrag von petsch » Mi 17. Apr 2013, 10:42

Hallo Frank,
gut dass Jürgen diese Uhr jetzt noch einmal mit seinem Kommentar in den Vordergrund gerückt hat, denn ich hatte den Beitrag vor einem Monat wohl nur überflogen.
Dabei lohnt es sich bestimmt, etwas genauer hinzusehen. Ich kenne so ein Uhrwerk auch nicht , was aber vielleicht auch daran liegt, dass man so etwas gar nicht in so einer Uhr erwartet.
Jedenfalls ich nicht, wenn ich Kienzle electric, auf dem Ziffernblatt lese. Dazu muss ich sagen, dass ich für solche Uhren auch erst hier im Forum sensibilisiert worden bin.

Die Befestigungsschrauben, die Du erwähnst, müssen die vor dem Zusammenbau des Werkes in die Platine eingesetzt werden ? Also nachträglich reinfummeln geht nicht mehr ? Dann kann ich mir den Ärger eines Uhrmachers , der das vergessen hat, sehr gut vorstellen.

Gruß
Peter

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Typ1-2-3
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Re: Kienzle-Electric mit Westminster

Beitrag von Typ1-2-3 » Mi 17. Apr 2013, 16:44

Die Schrauben gehen wirklich nicht mehr später rein!

Übrigens ist die Uhr jetzt schon das 10. Mal auseinander. Die Konstruktion hat echte Tücken und Schwächen. Möglicherweise sind die deshalb seltener, besonders die mit Westminster.

Diese Uhr hat eine niedrige Werknummer, jedenfalls einiges niedriger als meine BimBam-Kienzle-Electric. Weil sie immer hängen blieb - die Kraft reichte nicht - habe ich mal die Federn ausgemessen und verglichen. Da hat Kienzle wohl mal was geändert, denn die spätere Uhr hat eine 2/100mm stärkere Feder. Dort ist Kraft genug! Weil die spätere Uhr auch eine andere Übersetzung hat - das Pendel ist länger - habe ich mal die Federn umgetauscht. Die spätere läuft auch sehr gut mit der schwächeren Feder, die andere ist noch zerlegt. Da ist noch ein anderer Fehler drinnen:

Die Uhr hat eine Kupplung, mit der das Westminster-Werk eingeschaltet und gleichzeitig der Vollschlag eingeschaltet wird, und zwar beim stehenden Räderwerk. Leider klemmt diese Kupplung manchmal, weil das Zahnspiel zu groß ist. Ich werde das noch ändern müssen. Dann muss wieder getestet werden. Die Uhren sind nicht ohne, und ich kann mir so langsam die "Begeisterung" des Uhrmachers vorstellen, der so eine Uhr zur Reparatur bekam. Wahrscheinlich daher sind diese Uhren recht selten.

Grüße

Frank

Wynen
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Re: Kienzle-Electric mit Westminster

Beitrag von Wynen » Do 18. Apr 2013, 10:24

Dieses Uhrwerk hat eine lange Geschichte .....

Bei Ludwig Lehotzky: Elektrische Uhren und Signaleinrichtungen, Wien-Heidelberg: 1951 steht:
"Die Elektric-Uhr von Kienzle unterscheidet sich von der Fuldensia-Uhr nur unwesentlich durch die Art der Schlagwerks- und Kontaktsteuerung."

Und auch bei F. Thiessen: Lehrgang über die elektrischen Uhren, Band 1: Die elektrischen Einzeluhren, Ulm: 1950 ist vermerkt,
dass die Kienzle Electric eine Verbesserung der Fuldensia-Uhr ist.
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aus DUZ 1927, Seite 73 (Nr.4)

Zur Frage 10 353. Elektrische Uhr mit der Marke:
sechsstrahliger Stern mit der Umschrift "Fuldensia".

Die "Fuldensia" war eine Erfindung von Ing. Schneider und wurde von der Firma Ingenieur Schneider, Fulda, fabriziert und in den Handel gebracht. Bald darauf wurden die Patente sowie die Fabrikationsrechte von der Mitteldeutschen Uhrenfabrik in Wolfhagen erworben, die diese Uhr nun herstellte. Diese Uhrenfabrik liquidierte in den Kriegsjahren wegen der ungünstigen Arbeiterverhältnisse. Die frühere "Fuldensia" ist inzwischen durch Ing. Schneider erheblich verbessert worden. Die neue Uhr wurde durch mehrere D.R.Patente geschützt, und sie wird voraussichtlich in Kürze durch eine deutsche Uhrenfabrik als elektrische Uhr mit Schlagwerk in den Handel kommen.
Ingenieur Ferdinand Schneider G.m.b.H., Fulda.
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Bericht des DGC-Arbeitskreises Elektrische Uhren über den 3. Markt für Elektrische Uhren am 23./24.3.2002 in Mannheim:

Unser Freund, Ivo Creutzfeldt, erforscht seit 2 Jahren die Geschichte der Mitteldeutschen Uhrenfabrik in Wolfhagen bei Kassel und gab einen ersten Zwischenbericht über seine Forschungsergebnisse. Die Fabrik existierte von 1909 bis 1914 und stellte eine elektrische Uhr her, die unter dem Namen "Fuldensia" verkauft wurde. Die "Fuldensia" Uhr ist durch Patente von Ferdinand Schneider geschützt, welche die Fabrik 1909 erwarb. Die Uhr selbst besitzt einen kleinen Motor, der das Uhrwerk aufzieht und gleichzeitig das Schlagwerk betätigt. Leider war die "Fuldensia Uhr" ein wirtschaftlicher und auch technischer Misserfolg, wurde aber später von der Firma Kienzle verbessert und dann als "Kienzle Electric" vermarktet. Ein "Fuldensia" Uhrwerk wurde gezeigt und vorgeführt.

Direktor der Wolfhagener Uhrenfabrik war damals Ferdinand Thiesen, der allen Uhrenfreunden durch seine 3 Bände "elektrische Uhren für technische Zwecke" bekannt ist
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Viel Spaß mit der Uhr (auch wenn bei mir etwas Neid aufkommt)
Hartmut

Wynen
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Re: Kienzle-Electric mit Westminster

Beitrag von Wynen » Do 18. Apr 2013, 13:08

Nachtrag:

DUZ 1929 Seite 470: "Neue elektrische Uhren: Die Kienzle-Selbstaufzuguhr mit Schlagwerk"

(Mal schauen, ob ich den Artikel habe. Bei Interesse bitte PN)

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Re: Kienzle-Electric mit Westminster

Beitrag von KleineSekunde » Do 18. Apr 2013, 20:26

Hallo Frank,
Typ1-2-3 hat geschrieben:Von außen recht unspektakulär, ein schönes Gehäuse, was sich prima polieren ließ. Selbst der Ring von einem Bierglas (wahrscheinlich von irgendeiner Fete von vor 50 Jahren) ging anstandslos und ohne Spuren wieder weg. Die Macke auf dem Zifferblatt lässt sich aber nicht entfernen. Die Verarbeitung ist sehr gut, der Erhaltungszustand des Gehäuses auch.
Ich würde sagen: Schlicht und einfach, sehr schön!

Ja, Zifferblätter sind das "Gesicht" einer Uhr, aber hier scheint es doch hervorragend erhalten zu sein. Meinst du den kleinen Krartzer bei der 10? Eventuell mag er in der Realität stärker auffallen, auf dem Foto find ich dies überhaupt nicht störend.

Betreibst du die Uhr über den vorhandenen Trafo? Je nach Stromaufnahme könnte ja eventuell auch ein Batteriebetrieb bei 3 V möglich sein.

Auf jeden Fall viel Spaß mit der Uhr!

Schöne Grüße

Guido / KleineSekunde

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Re: Kienzle-Electric mit Westminster

Beitrag von Typ1-2-3 » Sa 20. Apr 2013, 21:23

Ich habe die Innereien des Trafos ersetzt, habe dem alten Kram nicht über den Weg getraut. Daher hat die Uhr auch jetzt noch ein Netzkabel. Aber noch ist sie zerlegt, die Zeit...

Frank

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