Ich hätt´ da mal ne Frage (1)

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droba
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Ich hätt´ da mal ne Frage (1)

Beitrag von droba »

Hallo Uhrenfreunde,

in und über die Geschichte der Entwicklung der Räderuhren tauchen immer wieder Fragen auf, deren Antworten je nach Wissenstand zu unterschiedlichen Zeiten auch verschieden ausgefallen sind. Je nach Literatur, die man liest, ergeben sich dadurch unterschiedliche, man kann auch sagen widersprüchliche Antworten. Manche Fragen wurden bisher vielleicht auch noch gar nicht gestellt.

Ich eröffne hiermit eine neue Serie, von der ich mir erhoffe, dass wir durch gemeinsames Vergleichen und durch gemeinsames Überlegen bisher gegebene Antworten hinterfragen, gegebenenfalls bestätigen oder neu beantworten. Will sagen, wir forschen gemeinsam.

Zur Vorgehensweise: Nicht gefragt wird in dieser Serie nach nicht begründeten Vermutungen oder unbewiesenen Behauptungen. Das ist nicht gleichzusetzen, dass keine Vermutungen erwünscht sind, denn wo konkrete Quellen nicht vorhanden sind, können wir nur vermuten oder Thesen aufstellen. Nur sollten wir Vermutungen und Thesen auch klar als solche benennen und nicht gleich als Beweise und Wissen. Denn nur mit begründeten Meinungen und mit gut belegten Beispielen erreichen wir in dieser Serie ein Mindestmaß an Fachlichkeit und Seriosität.

Ich beginne mit einer Frage, die mich schon lange bewegt und für die ich bisher aus den mir bekannten Quellen noch keine befriedigende Antwort gefunden habe:

Wann und wo wurden im Bau von Räderuhren die ersten Federzug-Uhrwerke entwickelt?

Die mir bekannte Quellenlage (z.B. wikipedia) nennt als Beginn der Federzug-Uhren das Jahr 1430 . Es wird aber nicht genannt, wo die Entwicklung stattfand und welche Uhren es gibt.

Die früheste Uhr mit einem Federzug-Uhrwerk, die ich kenne, ist die Tischuhr Phillip des Guten von Burgund, heute im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Hier ein Bild:
Uhr Phillip des Guten.jpg
Diese Uhr wird um 1430 datiert. Ihr merkt, vermutlich hat die Uhr Phillip des Guten zu der Feststellung geführt, Federzuguhren seien um 1430 aufgekommen.

Ich möchte diesen Sachverhalt mal mit einigen Fragen zur Diskussion stellen:

- Gibt es weitere Uhren der Gotik mit Federzug?
- Von wann und aus welcher Gegend sind weitere frühe Federzug-Uhrwerke bekannt? (z.B. England, Italien?)
- Wie funtioniert der frühe Federzug: Hatten frühe Federzug-Uhren schon ein Federhaus?

Ich freue mich auf Eure Hinweise und Kommentare!


droba
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Ursus
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Re: Ich hätt´ da mal ne Frage (1)

Beitrag von Ursus »

Auf der folgenden Seite werden Federhäuser bei der Uhr Phillipp des Guten erwähnt (sowie weitere Angaben):

http://www.faszination-uhrwerk.de/z/z.html

ca.1400 Erfindung der Federzuguhren. Standuhr Philipps des Guten von Burgund, zwischen 1429 und 1435 entstanden, in Wiener Privatbesitz erhalten. Spindelhemmung, Radunruhen, auch für das Schlagwerk, anstatt des Windfanges; Schnecken, früher auch drei Figürchen, die sich beim Schlagen bewegten. Kein Gehäuse, sondern Typus der Hausuhr von 1350-1550. Die Spindeln in Säulen, die Schnecken in Häuschen mit verschließbaren Fenstern, die Federhäuser im Sockel untergebracht.
1427 Heinrich Arnold erfindet die Uhrfeder.
ca.1450 Georg Purbach (1423-1461) konstruiert sein "Quadratum geometricum" oder "Gnomo geometricus".
ca.1470 Johannes Müller, gen.Regiomontanus (1436-1476), konstruiert nach Gebers Vorgang ein verbessertes Torquetum und unter Bernhard Walthers Bei hilfe Astrolabia planisphaeria nach arabischen Vorbildern.

1475 Aus dem erhalten gebliebenen erst kürzlich wiederentdeckten Skizzenbuch des Augustinerpaters und Uhrmachers Paulus Almanus aus dieser Zeit geht hervor, dass bereits damals Federzugwerke und die Spindelhemmung bekannt waren. Auch die Schnecke, zunächst angetrieben durch eine Darmsaite, wird bereits bei Uhren mit Triebfeder verwendet, um die ungleichmäßige Kraftentwicklung der Feder zu kompensieren. Diese Erfindung wurde lange Zeit Jakob Zech aus Prag (1525) zugeschrieben.

Ursus
walter der jüngere

Re: Ich hätt´ da mal ne Frage (1)

Beitrag von walter der jüngere »

Hallo,

um die Angaben von Ursus noch ein wenig zu ergänzen:
In J. H. Leopold, "The Almanus-Manuskript" wird den federgetriebenen Uhren im Vergleich zu den gewichtgetriebenen Uhren keine höhere Beachtung geschenkt - was darauf schließen lässt, daß diese Uhren für den Verfasser keine so herausragende Bedeutung gehabt haben dürften.
Immerhin sind von den 30 darin beschriebenen Uhren 8 (!) federgetrieben, dies wird so auch in Krombolz, "Frühe Hausuhren mit Gewichtsantrieb" als auffällig betrachtet. In diesem Buch sind auch ein paar Skizzen von da Vinci über Federhäuser und Kraftausgleich (Kette/Schnecke) zu sehen.

In K. Maurice, "Die Deutsche Räderuhr" wird die früheste Uhr mit Federantrieb dem Florentiner Brunelleschi in der Zeit uum 1398 - 1404 zugeschrieben.
Die immer wieder über die Echtheit der Burgunder Uhr Philps des Guten geäußerten Zweifel werden in diesem Buch übrigens sehr deutlich und exakt widerlegt - die Uhr (und deren Federantrieb) entstand demnach wirklich um 1430/1440.

In Ernst Zinner, "Aus der Frühzeit der Räderuhr" ist zu lesen, daß es schon zuvor, am Hofe des Charles V. (Frankreich) um 1377 eine tragbare Uhr gegeben haben soll. Auch werden von E. Zinner in diesem Buch weitere, sehr frühe (also vor 1430 entstandene) federgetriebene Uhren beschrieben bzw. benannt.

Walter d. J.
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Ursus
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Re: Ich hätt´ da mal ne Frage (1)

Beitrag von Ursus »

walter der jüngere hat geschrieben:In J. H. Leopold, "The Almanus-Manuskript" wird den federgetriebenen Uhren im Vergleich zu den gewichtgetriebenen Uhren keine höhere Beachtung geschenkt - was darauf schließen lässt, daß diese Uhren für den Verfasser keine so herausragende Bedeutung gehabt haben dürften.
Immerhin sind von den 30 darin beschriebenen Uhren 8 (!) federgetrieben, ... Walter d. J.
Die Grundlage des Schlusses in dem von Walter d.J. zitiertem Buch von Krombholz sind so nicht ganz richtig: Almanus war ein Mönch der Uhren reparierte und seine Skizzen sind als eine Art Werkstatthandbuch zu betrachten. Reparieren konnte er natürlich nur, was man ihm zum Reparieren brachte und hier dominierten, wie oben beschrieben, tatsächlich die gewichtsangetrieben Uhren.

Warum dies so war? Ich hypothetisiere mal:

1. Gewichtsuhren waren häufiger weil a) es sie schon früher gab und b) weil sie billiger (?) waren
2. Da sie älter und häufiger waren, waren Reparaturen häufiger notwendig

und dies führte zu einem zahlenmäßigem Übergewicht von gewichtsangetrieben Uhren in Almanus' Werkstatt.

Ursus
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droba
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Re: Ich hätt´ da mal ne Frage (1)

Beitrag von droba »

Hallo,

da gehen ja schon prima Hinweise ein, die sich schon etwas sortieren lassen und auch erste Antworten ermöglichen.

Die früheste bisher genannte Uhr mit Federzug-Werk stammt aus dem Jahr 1377 aus Frankreich.

Neben Frankreich sind auch aus Italien und Tschechien frühe Federzug-Uhren bekannt.

Es wird erwähnt, dass die Federn sich in einem Federhaus im Sockel der Uhr befanden-


Ich versuche die bisher gefundenen Hinweise einzuordnen und zur Diskussion zu stellen:

- Uhren mit Federzug wurden vermutlich Mitte des 14. Jh. in Frankreich entwickelt, die früheste Erwähnung einer Uhr mit Federzug stammt aus dem Jahr 1377 in Frankreich.

- Neben Uhren aus Frankreich sind frühe Uhren mit Federzug auch aus Italien und Tschechien gesichert, es gibt zwar bisher keine Belege, aber vermutlich wurden auch schon in England und in Deutschland sehr früh Uhren mit Federzug gebaut.

- Es ist anzunehmen, dass die ersten Uhren mit Federzug feststehende Federhäuser besaßen (das leuchtet schon aus fertigungstechnischen Gründen ein!)

Wie ist Eure Meinung? Oder gibt es noch weitere Hinweise, die bisher noch nicht genannt worden sind?


droba
walter der jüngere

Re: Ich hätt´ da mal ne Frage (1)

Beitrag von walter der jüngere »

Hallo,

es gibt ganz gewiss noch mehr Literatur, die diese Thematik zumindest berühren könnte.
Doch die Materialsichtung dauert noch...

In der DGC-Bibliothek dürfte sich noch einiges befinden,was daraufhin außerdem noch durchzuschauen lohnend sein könnte...

Walter d. J.
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droba
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Re: Ich hätt´ da mal ne Frage (1)

Beitrag von droba »

walter der jüngere hat geschrieben:Hallo,

es gibt ganz gewiss noch mehr Literatur, die diese Thematik zumindest berühren könnte.
Doch die Materialsichtung dauert noch...

In der DGC-Bibliothek dürfte sich noch einiges befinden,was daraufhin außerdem noch durchzuschauen lohnend sein könnte...

Walter d. J.
Danke Walter und Ursus für die bisherigen Beiträge. Ich finde wir sind in dieser Frage dadurch schon erfreulich weit gekommen und wir können die Entwicklung der Federzugwerke nun einige Jahrzehnte früher (!) datieren. Aber weitere Beiträge und Ergänzungen sind natürlich immer willkommen!

droba
walter der jüngere

Re: Ich hätt´ da mal ne Frage (1)

Beitrag von walter der jüngere »

Hallo,

die bisherige Auswertung und auch die Nachfrage nach weiterer einschlägiger, in der DGC-Bibliothek vorliegender Literatur hat bisher keine nennenswerten neuen Erkenntnisse zu diesem Thema bei mir gebracht.
Dies nur als kleine "Zwischenstandsmeldung" zu diesem Thema, an dem ich aber immer noch weiter mit arbeite.

Walter d. J.
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