Eine der viertschönsten Mutteruhren

Vorstellung von Uhren und Uhrensystemen
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helsper
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Eine der viertschönsten Mutteruhren

Beitrag von helsper »

Die hier beschriebene Uhr ist nicht unbedingt das erstrebenswerte Meisterstück eines Uhrmachers, denn es ist überhaupt kein Uhrwerk vorhanden – zumindest keines im klassischen Sinne. Immerhin gibt es noch ein Pendel, und das sollte auch so sein, denn der Anblick eines schwingenden Pendels gehört nun mal dazu. Also zur Sache.
Brett 1a.jpg
Der Aufbau ist dadurch gekennzeichnet, dass an einem festen Punkt ein Pendel herkömmlich mit Pendelfeder aufgehängt wird. An der Pendelspitze wird ein Dauermagnet befestigt. Im Bereich des Schwingungsbogens wird eine Magnetspule fest angebracht. Wird nun das Pendel angestoßen überstreicht der Magnet die Spule und erzeugt dort einen Spannungsimpuls. Dieser Spannungsimpuls lässt ein empfindliches Relais ansprechen, dessen Kontakte folgende Schaltaufgaben ausführen:
Eine Schaltfunktion wird zum Zählen der Impulse genommen. Da hier mit einem Sekundenpendel nur eine Pendelrichtung ausgewertet wird entstehen 30 Impulse in der Minute. Der 30. Impuls steuert in herkömmlicher Weise eine Nebenuhrlinie mit wechselnden Minutenimpulsen an.

Über einen zweiten Kontakt wird sofort eine Stromquelle an die Magnetspule gelegt, welche diese magnetisch werden lässt und das Pendel antreibt.

Es werden also mit ein- und derselben Magnet/Spulenkombination sowohl das Pendel angetrieben als auch Zeitimpulse erzeugt. Eine zusätzliche Mechanik ist im Bereich des Pendels nicht nötig.
Pendel 5a.jpg
Es ist nicht bekannt, ob eine Uhr nach diesen Prinzipien bereits gebaut wurde. Natürlich gibt es die Ausführungen von Hipp, Ato, Inducta und div. Englischen Modellen. Doch ist bei diesen immer noch Uhrenmechanik in Form von Schubklinken und Nockenrädern im Spiel, die vom Pendel in irgend einer Weise mechanisch angetrieben werden.
Der Hintergrund dieses Aufbaus war der Wunsch, eine elektrische Pendeluhr von jeglichem mechanischem Verschleiß zu befreien, wodurch sich auch eine diesbezügliche Wartung erübrigt. Der Kontakt des Relais ist gewissermaßen die Schnittstelle zwischen sensibler Uhrmacher -Feinmechanik und grober Schlosser/Elektrotechnik. Hinter dem Kontakt ist praktisch jede elektrische Energie in beliebiger Höhe anschließbar. Das Pendel wird hierdurch nicht beeinflusst.
Weiterhin sollte der Aufbau mit Mitteln realisiert werden, die es vor 50 oder 100 Jahren bereits gab. Die bekannte T&N Kurzpendeluhr arbeitet zwar ähnlich, allerdings unter Verwendung von Lichtschranken und Transistorschaltungen.

Die bei dem vorliegenden Modell verwendeten Bauteile gab es früher schon. Es sind Relais in verschiedenen Ausführungen und Drehwähler, die alle aus der Bastelkiste stammen.
Die sog. Telegraphenrelais (Trls) sind so alt wie die Telegraphen, Flach- und Rundrelais gab es mit Aufkommen der Telefontechnik millionenfach, ebenso Drehwähler. Lediglich die Wählerrelais und die Zählmagneten dürften Nachkriegsentwicklungen sein, sind aber trotzdem über 50 Jahre alt. Eine Wartung bezieht sich also nur noch auf elektromechanische Bauteile, die sogar, wie im Falle des Drehwählers, noch geölt werden müssen.

Die Ausführung ist folgende.
Der vom Trls kommende Impuls wird auf ein Zwischenrelais gegeben, welches durch geeignete Beschaltung die Impulslänge auf 100 bis 200 ms einstellt. Gleichzeitig werden durch getrennte Kontakte die weiteren Relaisschienen bedient. Um verschiedene Möglichkeiten der Impulsauswertung auszuprobieren habe ich drei Varianten gebaut. Es gibt eine Schiene mit Zählmagneten, eine mit Drehwähler und eine mit Wählerrelais. Eine vierte Möglichkeit würde nur aus Relais bestehen, diese standen in der benötigten Menge aber nicht zur Verfügung und wären auch platzmäßig in dem Gestellrahmen nicht unterzubringen.
Gesamt 5.jpg
In dieser Reihenfolge sind die Schienen im Gestellrahmen angebracht und auch rückseitig in klassischer Weise mit Kabelbaum verdrahtet. Über einen Drehschalter können diese einzeln angewählt oder auch gleichzeitig betrieben werden. An der Rückwand befindet sich eine Anschlußleiste für alle externen Geräte, wozu natürlich die Nebenuhren gehören. Wollte man das Pendelbrett mit einem „Zifferblatt“ versehen, so wäre das bereits eine Nebenuhr.
Einzelheiten der Schaltungen möchte ich hier aus Platzgründen nicht schildern. Wer sich dafür interessiert kann sich gerne mit mir in Verbindung setzen. Im Prinzip geht es so, dass nach 30 Impulsen vom Pendel ein Signal an die Nebenuhrlinie gesendet wird, welches aber nach weiteren 30 Impulsen in geänderter Polarität kommen muß. Durch dieses polwechselnde System erhöht sich der Bauteileaufwand natürlich. Es ist aber von Vorteil, dass nur 30 Pendelschläge ausgewertet werden. Dadurch können vor allem die Drehwähler sehr elegant beschaltet werden, so dass man mit einem einzigen Exemplar auskommt.
Ein Sekundenimpuls ist dadurch nicht direkt darstellbar. Man könnte hierfür natürlich eine zweite Spule am Pendel anbringen, oder auch die eine Spule so anordnen, dass beide Bewegungsrichtungen ausgewertet würden. Es wäre aber denkbar, dass das Taktverhältnis dann nicht exakt 1:1 ist, weil die Materialien nicht unendlich schmal sind.

Die Genauigkeit der Uhr (Gang) hängt ab von der Pendellänge, den magnetischen Größen und der Stellung der Spule zum Magneten. Nach einiger Laufzeit ergibt sich ein eingeschwungenes System. Im vorliegenden Modell wurden „alle Konstanten variabel“ gehalten, d.h. die richtigen Positionen wurden durch Ausprobieren ermittelt. Eine Berechnung fand nicht statt.
Rahmenkabel 1a.jpg
Relais und Wähler produzieren naturgemäß ein nicht zu überhörendes Arbeitsgeräusch. Sollte jemand eine solche Pendeluhr bauen wollen, die völlig lautlos arbeitet, wäre das durch abgesetzte Anbringung des Relaiskastens möglich. Zwei Drähte für die Spule und zwei für die Zifferblatt-Nebenuhr würden genügen, wobei sich zusätzlich eine große Zahl von Nebenuhren anschließen lassen. Wem es nur auf die Funktion ankommt würde eine Ausführung mit elektronischen Bauteilen (ICs) wählen.

Bleibt noch zu erwähnen, dass auch hier – wie früher üblich – der Anschluß einer übergeordneten „Sternwartenuhr“ möglich ist, mit der man die Pendelspule zum Antrieb synchronisieren kann. Dies ist auch hier mit einem zuschaltbaren DCF77-Signal realisiert. Natürlich brauchte man keine Pendeluhr mehr, wenn ein DCF77-Signal vorhanden ist. Aber solche Gedankengänge darf ein Sammler nicht haben.
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Typ1-2-3
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Re: Eine der viertschönsten Mutteruhren

Beitrag von Typ1-2-3 »

Die Sache sieht momentan natürlich noch sehr provisorisch aus, aber ich denke, alle Neuentwicklungen haben so angefangen. Wenn man dann noch ein schönes Uhrengehäuse bekommt oder baut, dann wird die ganze Sachen schon recht professionell aussehen. Und die Pendelaufhängung kann man ja auch noch massiver und standfester bauen. Dann kann daraus eine rechte Präzisionsuhr werden, auch ohne DCF! Und einer Verschaltung aller möglicher Nebenuhren in der Wohnung steht dann nichts entgegen.

Ich finde es immer wieder erhebend, wenn man sich eine Sache überlegt und dann anfängt zu bauen. Und wenn dann alles sogar eines Tages funktioniert!

Danke für den Artikel

Frank
helsper
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Re: Eine der viertschönsten Mutteruhren

Beitrag von helsper »

Natürlich ist das alles ein Provisorium, und was mit diesem Musterexemplar geschieht weiß ich noch nicht. Aber so ganz unmassiv habe ich nicht gebaut. Zur Erläuterung hier noch ein paar Bilder aus der Bauphase. Das erste Magnetsystem wurde aus einem alten Drehspul-Meßinstrument ausgebaut. Damit hat es funktioniert und ermunterte zum Erwerb eines Neodym-Magneten, den es natürlich vor 50 Jahren noch nicht gab. Die Pendelaufhängung war vorher die Zimmerdecke, dann ein Vierkantstahl auf 3 mm Stahplatte. Die rückseitige Stütze verleiht dem Ganzen eine brauchbare Versteifung.
Rück 2a.jpg
Pendel-1a.jpg
Stuhl 3a.jpg
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Typ1-2-3
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Re: Eine der viertschönsten Mutteruhren

Beitrag von Typ1-2-3 »

Och, das sieht ja doch schon ganz gut aus. Der Halter für die Pendelfeder war wohl Altmetall. So fange ich auch immer an, denn es ist zu schade, in irgendein Blech jungfräulich Löcher hineinzubohren, und dann festzustellen, dass die falsch waren. Aber um die Idee geht es zunächst, und ob alles so funktioniert. Wenn ja, kann man professioneller bauen und Zeit und auch Geld investieren.

Man muss mal in das Buch "Synchronome" schauen und die erste gute Short-Uhr ansehen. Auch dort wurde erst mal die Idee probiert und dann professionell gebaut. Das erste Werk sieht noch arg nach Handmuster aus...

Frank
helsper
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Re: Eine der viertschönsten Mutteruhren

Beitrag von helsper »

Ich verwende bei meinen Basteleien überwiegend "Altmetall" bzw. Material aus meinen Beständen und der Bastelkiste. In diesem Falle wurde sogar die Verdrahtung größtenteils unter Verwendung der Drähte des alten Kabelbaumes der ehemaligen Telefonanlage erstellt, denn der Gestellrahmen war vorher eine kleine Nebenstellenanlage von DeTeWe.
Ich habe allerdings nicht vor, dieses Modell weiter zu bearbeiten. Mich würde vielmehr interessieren, ob es ein vergleichbares System bereits gegeben hat, also Pendelantrieb mittels Magnetspule (bekannt) und gleichzeitig Impulserzeugung mit dieser Spule (nicht bekannt).
Langzeitmessungen liegen übrigens noch nicht vor; da gäbe es noch einiges zu untersuchen. Z.B. wie wirken sich die Temperaturänderungen oder Spannungsschwankungen der Stromversorgung aus? Auch hat die Uhr noch kein CE-Zeichen.....
KleineSekunde
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Re: Eine der viertschönsten Mutteruhren

Beitrag von KleineSekunde »

Hallo,

ein durchaus sehr interessantes Bauprojekt. Vielen Dank für die Vorstellung.
helsper hat geschrieben: Mich würde vielmehr interessieren, ob es ein vergleichbares System bereits gegeben hat, also Pendelantrieb mittels Magnetspule (bekannt) und gleichzeitig Impulserzeugung mit dieser Spule (nicht bekannt).
Der Teilnehmer Typ1-2-3 hatte hier einmal eine interessante Brillié-Uhr vorgestellt:

http://www.dg-chrono.info/dg-chrono.de/ ... it=Brillie

Hier wird ein ähnliches Konzept verfolgt, allerdings realisiert mit mehreren Spulen (Antriebs- und Erregerspule sowie Spule zur Synchronisation) und nicht nur einer einzigen Spule. Ein System wie das vorgestellte ist mir jedenfalls nicht bekannt - aber das heißt ja auch nichts...

Viel Spaß jedenfalls mit der Uhr!

Schöne Grüße

Guido / KleineSekunde
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Typ1-2-3
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Re: Eine der viertschönsten Mutteruhren

Beitrag von Typ1-2-3 »

@ Helsper

Ich habe jetzt längere Zeit über diese Uhr nachgedacht und bin doch auf kein Ergebnis gekommen:

Ich kann mir gut vorstellen, wie man das Zählen der 30 Schwingungen hinbekommt, bis der Minutenimpuls generiert werden muss. Aber irgendwie bin ich noch nicht dahinter gekommen, wie das Pendel angetrieben wird. Mit Transistor ist das natürlich einfach, und das ist ja quasi millionenfach gemacht worden. Wenn der Magnet über die Erregerspule läuft, wird der Transistor durchgeschaltet. Auf dem Rückweg des Pendels passiert nichts. Aber mit einem einfachen Relais ist mir das noch schleierhaft, denn das wird ja durch die Erregerspule und den durch den Magneten erzeugten Strom ausgelöst, egal auf welchem Wege der Magnet über die Erregerspule fährt. Existiert nur eine Spule, also ist Erregerspule = Antriebsspule? Wie wird das gesteuert? Ist da irgendwo noch eine Diode zwischengeschaltet? Eine Schaltplanskizze würde mir in meinen Überlegungen noch weiter helfen.

Frank
helsper
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Re: Eine der viertschönsten Mutteruhren

Beitrag von helsper »

Es sind ja mehere Relais im Spiel. Das Prinzip ist auf der Skizze zu sehen. Wird die Spule über den Magnet erregt, zieht das Telegrafenrelais (Trls) an. Das Trls hat einen empfindlichen und hochwertigen Kontakt. Der schaltet sofort das D-Relais ein, welches ein normales Flachrelais ist. Einer der d-Kontakte ist als Umschaltkontakt ausgelegt. Dieser legt sofort die Spule über einen Regulierwiderstand an Spannung; gleichzeitig wird das Trls abgeschaltet, damit es nicht vom eigenen Strom erregt wird. Die zeitliche Abfolge ist nicht gemessen, reicht aber gerade so aus, daß das System schwingt. Wichtig dabei ist, daß der entstehende Beschleunigungsimpuls von kurzer Dauer ist, d.h. das D-Rel zieht nur für etwa 100 ms an.
Nicht eingezeichnet sind die äußeren Beschaltungsmaßnahmen der Relais, damit das auch so ist. Weiterhin muß man auf ordentliche Funkenlöschung achten, um den Verschleiß zu minimieren.
Den kompletten Schaltplan kann ich gerne per PN zusenden, da die Dateigröße hier zu voluminös ist.
Prinzip a.jpg
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karlo

Re: Eine der viertschönsten Mutteruhren

Beitrag von karlo »

So ungefaehr hab ich mir das gedacht, aber wie Du das zeitlich hinkriegst, ist mir immer noch unklar.
Da entstehen doch kurzzeeitige Kurzschluesse der Versorgungsspannung.

.ps. den Platz kannst Du bei mir auf dem Server haben, schick mir den Plan per mail.

Karlo
helsper
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Re: Eine der viertschönsten Mutteruhren

Beitrag von helsper »

die Schaltung ist unterwegs.
Wo sollen da Kurzschlüsse entstehen?
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