Eine Jahresuhr der JUF aus 1908 aus dem Ölschlaf erweckt

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Der_Stromer
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Eine Jahresuhr der JUF aus 1908 aus dem Ölschlaf erweckt

Beitrag von Der_Stromer »

Diese Uhr hat ein mechanisches 400-Tage-Werk. Die Höhe der Uhr 29 cm vom Scheitel bis zur Sohle und der Durchmesser des Sockels 19 cm. Also eine richtige erwachsene Jahresuhr.
3735-Eigentlich-ganz-schoen.JPG

Die Bodenplatte ist bei dieser Uhr eine Holzplatte. Der Dom natürlich vorhanden und selbstverständlich aus Glas. Das Drehpendel ist hier eine Besonderheit. Eines der ersten Kugelpendel der Firma „Jahresuhrenfabrik“, D.R.G.M. (Deutsches Reich Gebrauchs Muster) No.:403658, in dieser Ausführung ab ca. 1900 in Verwendung. Das besondere bei diesem Pendel: die Vorrichtung zur Verstellung befindet sich unter den Kugeln in der Art eines Zeigers mit einem Pfeil in Richtung "F" für schneller und "S" für langsamer.
3084-Pendel-DRGM403658.JPG

Später wurde dieser Mechanismus dann über den Kugeln angeordnet und durch einen Scheibe ersetzt, halt so, wie man es heute noch kennt.

Jetzt aber zur Uhr. Eine Jahresuhr kann am besten über die hintere Platine identifiziert werden. Die hintere Platine dieser Uhr weist nur eine Marke auf: Die Zahl 98031. Die Platine als solche stammt aus dem Jahr 1908 von der "JAHRESUHRENFABRIK" in Triberg / Schwarzwald.
3744-Marke.JPG
3738-Hintere-Platine.JPG

Die hintere Platine ist mit Vorsteckstiften mit den Werkspfosten verbunden, die vordere Platine ist geschraubt. Das Ziffernblatt hat einen Durchmesser von 55mm (innen).
Es ist ein Emailblatt mit feinen Ziffern in schwarz. Die Zeiger sind aus Stahl gebläut. Das Ganze befindet sich in einer Lünette aus Messing und ist mit der vorderen Platine ebenfalls mit Pfeilern und Stiften verbunden.
Der Werkstuhl besteht aus einer Messingplatte und Säulen, ebenfalls aus Messing.
3741-Ohne-Worte.JPG
Diese Uhr hat noch keine Stellschrauben zur Justage, auch gibt es noch keine Transportsicherung der Pendelfeder. Die Aufhängung der Pendelfeder ist original und weist diese Uhr ebenfalls als JUF ab 1908 aus.
Diese Uhr war in einem recht desolaten Zustand. Der Vorsteckstift am Minutenzeiger wurde bündig zur Minutenwelle abgefeilt. Bei dieser Manipulation wurden dann wohl auch die Zeiger demoliert. Sie waren nur in Teilen vorhanden und der Minutenzeiger zusammen geklebt :roll: . Die Vorsteckstifte der Platine waren umgebogen, um ein Herausrutschen zu verhindern, die Pendelfeder samt den Montierungen fehlte, aber einige "Bruchstücke" war dabei.
3736-Einzelteile.JPG
Und: die Uhr war, wie schon zu erwarten, wahrscheinlich als Ölsardine eingemacht worden. Jedenfalls triefte sie nur so und hinterließ überall Öllachen auf dem Arbeitstisch.
Alle Messingteile waren total blind und teilweise auch schon im Material angegriffen. Das wird noch eine Heiden Arbeit bringen.
3739-Pendel-mit-Verstell.JPG
Die ersten Arbeiten an der Uhr war das Zerlegen und Reinigen aller Teile erst im Ultraschallbad anschließend mit Polierpaste auf Glanz gebracht, die Gangfeder wurde aus dem Federhaus genommen, ebenfalls gereinigt und gefettet und wieder eingesetzt.
Vor dieser Arbeit habe ich immer großen Respekt, denn wenn sich diese Feder selbständig machen sollte, sind Beschädigungen und Verletzungen ganz sicher. Sie hat eine enorme Kraft. Aber hier hilft immer der Federwinder.
Nach der Reinigung der Teile wurden die Lager und Zapfen überprüft und für in Ordnung befunden. Die Zapfen wurden poliert und die Lager mit Putzhölzern gereinigt. Auch die Zähne der Triebe und Räder wurden geputzt, da das vorher verwendete Öl als feste Masse zwischen den Zähnen klebte. Auch wurde mal eine Ladung Lack in das Werk gesprüht, was die Arbeit nicht gerade erleichterte.
3749-Festgeklebt.JPG
3751-Alles-voller-Lackreste.JPG
Die Brücke der Pendelfederaufhängung oben war durch massive Gewalt zerstört worden. Dieses Teil konnte ebenfalls in USA gebraucht erwerben. Auch die Klemmlagerung der Pendelfeder kam aus USA. Somit ist das Werk auch an diesem Punkt wieder original.
3743-Wo-rohe-Kraefte.JPG
Eine schöne Arbeit ist das Anpassen der Pendelfeder. Für diese Uhr gibt es keine Unterlagen, also musste ich versuchen, welche Pendelfeder passen könnte. Lieber etwas dicker, denn Abschleifen geht immer, aber Dranschleifen :shock: ? Auch bei dieser Uhr führte Geduld letztendlich zum Erfolg und der Gang ließ sich sehr genau einstellen.

In der Zwischenzeit war meine Suche nach einem Zeigerpaar von Erfolg gekrönt. Mein Lieferant aus USA hatte noch ein Paar auf Lager und nach ca. 6 Wochen konnte ich sie dann in Empfang nehmen und montieren.

Die Grundplatte aus Holz habe ich in der Zwischenzeit auch gereinigt und mit Möbelpolitur auf Vordermann gebracht. Bewohner gab es zum Glück nicht, eine Kündigung der Selben wäre auch schwierig gewesen, da ich ja kein Eigenbedarf anmelden konnte :mrgreen:.

Die Messingteile des Werkes wurden mit Mellerud poliert und dann mit Mikro-Wachs versiegelt. Eine gute Methode, um Anlaufen zu verhindern. Nur darf man nach dieser Prozedur dann auch nicht mehr mit scharfen Poliermitteln dran gehen. Zum Reinigen reicht ein Mikrofaser-Tuch voll und ganz.
3756-Vom-Schmutz-und-Lack-b.JPG
3759-Viel-Polierarbeit.JPG
3760-Gesetzt.JPG

Jetzt gab es bei der Montage und beim Probelauf keine Probleme mehr.
3762-Werk-zusammen.JPG
Die Einstellung des Ganges bei diesen Uhren ist immer eine langwierige Angelegenheit, da das Werk nach jeder Manipulation an der Pendelfeder oder am Drehpendel mehrere Stunden braucht, bis sie IHREN Takt wieder gefunden hat. Aber Rentner (ich) habe ja Zeit! Die Amplitude beträgt jetzt ca. 300° und der Gang ist über 7 Tage gesehen auf 1 Minute genau. Der muss dann am Aufstellungsort noch Feinjustiert werden, aber das ist ja kein Problem.
3764-Probelauf.JPG
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Hallo aus der Oberpfalz
Rolf-Dieter, der Stromer

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Re: Eine Jahresuhr der JUF aus 1908 aus dem Ölschlaf erweckt

Beitrag von KleineSekunde »

Hallo Rolf-Dieter,

vielen Dank für diesen wieder sehr schön beschriebenen und bebilderten Bericht!

Schöne Grüße

Guido / KleineSekunde
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Der_Stromer
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Re: Eine Jahresuhr der JUF aus 1908 aus dem Ölschlaf erweckt

Beitrag von Der_Stromer »

:mrgreen: Gern geschehen!
Hallo aus der Oberpfalz
Rolf-Dieter, der Stromer

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derTeichfloh
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Re: Eine Jahresuhr der JUF aus 1908 aus dem Ölschlaf erweckt

Beitrag von derTeichfloh »

Hallo,

Danke fürs Zeigen.
Auf was für Ideen die Leute alles so kommen: Lack in Werk sprühen..... da kann man nur noch mit dem Kopf schütteln.

Aber deie Vorstellung, vor allem aber die Qualität deiner Arbeit machen Lust auf mehr... oder auf eine eigenen Jahresuhr. Doch wenn ich ins Netz schaue... dann vergeht mir alle wieder. Solltest du jedoch mal eine abzugeben haben, die durch deine goldenen Hände gegangen ist, dann hätte ich interesse.

Gruß,
derTeichfloh
Gruss
derTeichfloh

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gegensatz
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Re: Eine Jahresuhr der JUF aus 1908 aus dem Ölschlaf erweckt

Beitrag von gegensatz »

Hallo Rolf-Dieter,

wie immer von Dir, eine perfekte Arbeit. Die Messingteile glänzen, als wären sie gerade neu aus der Produktion gekommen. Da die Uhr als Ölsardine mit etlichen Beschädigungen zu Dir gekommen ist, kann man nur sagen, "Respekt", was Du aus ihr gemacht hast. Der Eigentümer wird sich mit Sicherheit über seine neue/alte Uhr sehr freuen.

Viele Grüsse und Servus.

Norbert
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Der_Stromer
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Re: Eine Jahresuhr der JUF aus 1908 aus dem Ölschlaf erweckt

Beitrag von Der_Stromer »

@ Teichfloh: Schaun mer mol. Du hörst von Mir :mrgreen:

@ Norbert: Vielen Dank. Aber Deine Uhren sind auch schön gemacht.
Hallo aus der Oberpfalz
Rolf-Dieter, der Stromer

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Re: Eine Jahresuhr der JUF aus 1908 aus dem Ölschlaf erweckt

Beitrag von KleineSekunde »

Hallo Rolf-Dieter,
Der_Stromer hat geschrieben:Auch wurde mal eine Ladung Lack in das Werk gesprüht, was die Arbeit nicht gerade erleichterte.
3751-Alles-voller-Lackreste.JPG
Waren diese milchigen Überzüge auch vor der Reinigung schon sichtbar?

Wenn das Foto
3749-Festgeklebt.JPG
den Zustand bei der Demontage zeigen sollte, wären die Verfärbungen ja noch nicht sichtbar.

Der Hintergrund meiner Frage ist: Bei einigen, wenigen Uhren habe ich nach der ersten Reinigung mit Benzin (zugegeben mit Benzin von der Tankstelle) auch schon ähnliche Beläge beobachtet, die vorher eben nicht sichtbar waren und die ich dann in mühsamer Kleinarbeit entfernt habe. Ich hatte da zunächst eher an (originale) Beschichtungen zur Korrosionsvermeidung gedacht, die mit meinen Reinigungsmethoden (aufgrund von möglichen Additiven im "Tankstellen-Benzin", die in normalen Reinigungsflüssigkeiten / in reinem Benzin nicht vorhanden sind) nicht verträglich waren.

Vielen Dank!

Schöne Grüße

Guido / KleineSekunde
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Der_Stromer
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Re: Eine Jahresuhr der JUF aus 1908 aus dem Ölschlaf erweckt

Beitrag von Der_Stromer »

@Guido:

Nein, Zaponlack sieht man eigentlich mit bloßem Auge nicht. Und die Räder sahen aus, wie die ganze Uhr: Verölt! Der Belag wurde erst nach dem US-Bad mit Reinigungsmittel bei ca. 55°C und Trocknen sichtbar. Von den Platinen ist er schon beim Spülen dann einfach mit einer Spülbürste ab zu wischen, aber an den Rädern und Wellen war das Zeug ganz schön zäh :? . Daher war dann das restlose Entfernen dieses Blödsinns eine Arbeit für Jemanden der...... :( .
Bei diesem Bild habe ich die Platine einfach mal umgedreht und fast kein Rad (außer dem Federhaus) viel heraus :? .

Allerdings ist es mir auch schon vorgekommen, dass ein Reinigungsbad mit Benzin von der Tanke so einen Belag hinterlassen hat. Der ging dann aber in einem zweiten Bad mit Nitroverdünner von selbst ab. Ich nehme an, dass es sich dabei um die Zusätze im Sprit gehandelt haben (z.B. Bioethanol, etc.). Jedenfalls kommt mir Super oder so jetzt noch nicht einmal mehr in den Tank- habe jetzt einen Diesel (NEIN! Keine von denen mit den zwei Buchstaben) :lol:

Übrigens habe ich natürlich die Teile anschließend NICHT wieder Lackiert, sondern mit Wachs konserviert. Lack gehört nicht an eine so alte Uhr.
Hallo aus der Oberpfalz
Rolf-Dieter, der Stromer

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KleineSekunde
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Re: Eine Jahresuhr der JUF aus 1908 aus dem Ölschlaf erweckt

Beitrag von KleineSekunde »

Hallo Rolf-Dieter,

vielen Dank für deine Rückmeldung!
Der_Stromer hat geschrieben:Allerdings ist es mir auch schon vorgekommen, dass ein Reinigungsbad mit Benzin von der Tanke so einen Belag hinterlassen hat. Der ging dann aber in einem zweiten Bad mit Nitroverdünner von selbst ab. Ich nehme an, dass es sich dabei um die Zusätze im Sprit gehandelt haben (z.B. Bioethanol, etc.).
Benzin von der Tankstelle habe ich zur Reinigung häufiger verwendet, entsprechende "Beläge" gab es aber nur sehr selten.

Daher meine Frage in die Runde:
Liegt es an Additiven, die nach Verdunsten des Benzins entsprechende Rückstände hinterlassen?
Oder gab es Beschichtungen (zum Korrosionsschutz), die von reinem Benzin oder gebräuchlichen Reinigungsflüssigkeiten nicht angegriffen wurden, von heutigen Benzin mit Ethanol-Zusätzen aber wohl und somit dann zu den Ablagerungen führen?

Vielen Dank!

Schöne Grüße

Guido / KleineSekunde
besra
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Re: Eine Jahresuhr der JUF aus 1908 aus dem Ölschlaf erweckt

Beitrag von besra »

Hallo zusammen,

vorab: Rolf-Dieter, herzlichen Dank für den abermals sehr interessanten Bericht von der Aufarbeitung dieser schönen Uhr!

Meine Frage ist hier aber: Warum verwendet Ihr denn Tankstellenbezin zum Reinigen? Das stinkt doch wie Hölle und sollte schon laut Aufschrift "Nicht zu Reinigunszwecken verwenden" dafür nicht benutzt werden. Es gibt doch - früher auch in Drogeriemärkten, heute vielleicht nur noch im Baumarkt - Reinigungs oder Testbezin. Oder einfach Feuerzeugbenzin aus dem nächsten Tabaklädchen. Ich würde vielleicht noch Aspen 4T nehmen, weil ich es in Bezinlampen einsetze und daher immer genug auf Vorrat habe, aber die Tankstellenplörre bestimmt nicht ;)

Grüße
Bernd
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