Letzte Woche habe ich eine klassizistische Tischuhr (bzw. die Reste davon) an Land gezogen. Das Gehäuse ist ein Hasenstall, das Werk aber nicht uninteressant, da von den Konstruktionsmerkmalen her nicht eindeutig einem Entstehungsgebiet zuzuordnen (zumindest für mich nicht, andere wissen es hoffentlich besser) und zumindest kein Serienerzeugnis wie die Wiener oder Pariser Pendulenwerke. Es bedarf aber einiger Ergänzungen (insbes. der Schloßscheibe), und da mir die Vorlagen fehlen, bitte ich die versammelten Fachleute um Hinweise zur Provinienz dieses Werkes und, falls vorhanden, um einschlägige Abbildungen.
In Ergänzung untenstehender Fotos noch einige Angaben:
- Ziffernblattdurchmesser 160 mm
- Platinenabmessungen 95 mm x 120 mm x 35 mm
- Ausgeschnittene Platinen
- Feststehende Federhäuser in wüster Ausführung, mit Blechstreifen aufgenietet (!??)
- Qualitätsvolles Räderwerk mit 7 - 8 Triebzähnen
- Schlagsteuerung über (innen?verzahnte) Schloßscheibe und Trieb auf Hebenägelrad
- Auslösehebel, Anlaufhebel und Abtasthebel auf gemeinsamer Achse
- Ungewöhnliches Design von Anker und Ankerbrücke
Bin für jeden zweckdienlichen Hinweis dankbar
Stefan
Tischuhr unbekannter Provinienz
Tischuhr unbekannter Provinienz
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Re: Tischuhr unbekannter Provinienz
Hallo Stefan,
deine Uhr ist wahrscheinlich um 1750 oder etwas später entstanden (Machart der Räder, des Gehäuses und des Schlagwerkes) und kommt mit großer Sicherheit aus dem Süddeutschen bzw. Wiener Raum (was eigentlich für diese Zeit das Gleiche bedeutet). Leider sieht man auf den Bildern kein Trieb, das die Schoßscheibe antreibt, ich vermute aber, daß der Antrieb vom Hebnägelrad herkommt. Dann müsste auf der hinteren Seite des Hebnägeltriebes ein Vierkant mit einem aufgesetzten 8er Trieb gesessen haben, die Schloßscheibe (außenverzahnt) hätte dann (Halbstundenschlag vorausgesetzt) 90 Zähne gehabt. Für die Schenkelung der Schloßscheibe kannst du als Muster das Stundenrad nehmen. Wenn das Weiße, das man auf den Federhäusern sieht, Zinn sein sollte würde ich dir empfehlen, entweder neue Federhäuser zu machen oder das Zinn restlos zu entfernen und die Blechflicken mit Nieten zu befestigen, das entspricht am ehesten den Reparaturmethoden der damaligen Zeit. Die Niete, mit denen die Federhauswinkel sowohl am Federhaus als auch an der Platine befestigt sind würde ich ebenfalls rausschmeißen und durch im Stil passende Schrauben ersetzen.
Heinrich
Und wenn dir dann einer sagt, das sei nicht original, dann soll er dir erstmal das Gegenteil beweisen. Denn wenn du im Stil der Technik der Zeit arbeitest ist das ok.
deine Uhr ist wahrscheinlich um 1750 oder etwas später entstanden (Machart der Räder, des Gehäuses und des Schlagwerkes) und kommt mit großer Sicherheit aus dem Süddeutschen bzw. Wiener Raum (was eigentlich für diese Zeit das Gleiche bedeutet). Leider sieht man auf den Bildern kein Trieb, das die Schoßscheibe antreibt, ich vermute aber, daß der Antrieb vom Hebnägelrad herkommt. Dann müsste auf der hinteren Seite des Hebnägeltriebes ein Vierkant mit einem aufgesetzten 8er Trieb gesessen haben, die Schloßscheibe (außenverzahnt) hätte dann (Halbstundenschlag vorausgesetzt) 90 Zähne gehabt. Für die Schenkelung der Schloßscheibe kannst du als Muster das Stundenrad nehmen. Wenn das Weiße, das man auf den Federhäusern sieht, Zinn sein sollte würde ich dir empfehlen, entweder neue Federhäuser zu machen oder das Zinn restlos zu entfernen und die Blechflicken mit Nieten zu befestigen, das entspricht am ehesten den Reparaturmethoden der damaligen Zeit. Die Niete, mit denen die Federhauswinkel sowohl am Federhaus als auch an der Platine befestigt sind würde ich ebenfalls rausschmeißen und durch im Stil passende Schrauben ersetzen.
Heinrich
Und wenn dir dann einer sagt, das sei nicht original, dann soll er dir erstmal das Gegenteil beweisen. Denn wenn du im Stil der Technik der Zeit arbeitest ist das ok.

Der liebe Gott gab uns die Zeit (von der Eile hat er nichts gesagt!).
Re: Tischuhr unbekannter Provinienz
zur Schloßscheibe noch eine Ergänzung: Da die Anzahl der Schläge (bei Halbstundenschlag) der Zahnzahl entspricht kannst du anstatt separater Einschnitte wie z.B. bei Schwarzwalduhren auch die jeweiligen Zahngründe tiefer feilen. Auch das hat es bei Uhren dieser Provenienz gegeben. Die Schloßscheibe muß übrigens nicht unbedingt geschenkelt sein, es geht auch eine Vollscheibe.
Heinrich
Heinrich
Der liebe Gott gab uns die Zeit (von der Eile hat er nichts gesagt!).
Re: Tischuhr unbekannter Provinienz
Hallo Heinrich,
vielen Dank für Deine fundierten Kommentare.
Schloßscheibe und Trieb auf Hebenägelrad ist klar.
Mit der Zuschreibung "süddeutsch" bzw. "Wien" bin ich mir nicht ganz sicher,
zentrale verzahnte Schloßscheibe und die Form des Auslösehebels (mit beweglichem, federbelastetem "Schnabel" weisen m.E. nach ein wenig gen Westen bzw. Südwesten (Frankreich, Jura). Auch würde ich die Entstehungszeit eher am Ende des 18. oder am Anfang des 19. Jahrhunderts sehen.
Habe inzwischen weiter demontiert und noch ein paar Entdeckungen gemacht:
- Federhäuser u. Befestigungswinkel im Vergleich zum übrigen Werk sehr provisorisch und "dünn"
- Keine alten Gewindelöcher auf Platine für Schrauben der Federhauswinkel, nur Bohrungen für Vernietungen (mit abgezwickten Nägeln)
- Federkerne ebenfalls sehr grob gearbeitet (gefeilt, nicht gedreht)
- Aufzugsräder mit schlüssellochförmigen Durchbrüchen (s. Bilder)
- Gehäuse vermutlich nicht originär, urspünglich Portaluhrgehäuse mit 2 Voll- und zwei Halbsäulen
-> Werk ursprünglich mit Gewichtsantrieb (Seilrollen), späterer Umbau auf Zugfedern u. Einbau in Tischuhrengehäuse ??
- Schloßscheiben-Abtasthebel hat beidseitig (leicht versetzt) Taststifte (s. Bilder)
- auf Minutenrad zwei Auslösestifte, auf Wechselrad einer + 2 verschlossene Bohrungen (?)
- Auf rückseitiger Platine aufgenieteter Stahlkloben mit (Lager?)bohrung, vermutlich sekundär
-> Konventionelle Schlagsteuerung ?
Wenn Dir noch etwas einfällt, vielleicht auch ein Foto? Leider finden sich in der Fachliteratur wenige Werksabbildungen von solchen einfacheren (bürgerlichen) Uhren aus dieser Zeit.
Gruß
Stefan
vielen Dank für Deine fundierten Kommentare.
Schloßscheibe und Trieb auf Hebenägelrad ist klar.
Mit der Zuschreibung "süddeutsch" bzw. "Wien" bin ich mir nicht ganz sicher,
zentrale verzahnte Schloßscheibe und die Form des Auslösehebels (mit beweglichem, federbelastetem "Schnabel" weisen m.E. nach ein wenig gen Westen bzw. Südwesten (Frankreich, Jura). Auch würde ich die Entstehungszeit eher am Ende des 18. oder am Anfang des 19. Jahrhunderts sehen.
Habe inzwischen weiter demontiert und noch ein paar Entdeckungen gemacht:
- Federhäuser u. Befestigungswinkel im Vergleich zum übrigen Werk sehr provisorisch und "dünn"
- Keine alten Gewindelöcher auf Platine für Schrauben der Federhauswinkel, nur Bohrungen für Vernietungen (mit abgezwickten Nägeln)
- Federkerne ebenfalls sehr grob gearbeitet (gefeilt, nicht gedreht)
- Aufzugsräder mit schlüssellochförmigen Durchbrüchen (s. Bilder)
- Gehäuse vermutlich nicht originär, urspünglich Portaluhrgehäuse mit 2 Voll- und zwei Halbsäulen
-> Werk ursprünglich mit Gewichtsantrieb (Seilrollen), späterer Umbau auf Zugfedern u. Einbau in Tischuhrengehäuse ??
- Schloßscheiben-Abtasthebel hat beidseitig (leicht versetzt) Taststifte (s. Bilder)
- auf Minutenrad zwei Auslösestifte, auf Wechselrad einer + 2 verschlossene Bohrungen (?)
- Auf rückseitiger Platine aufgenieteter Stahlkloben mit (Lager?)bohrung, vermutlich sekundär
-> Konventionelle Schlagsteuerung ?
Wenn Dir noch etwas einfällt, vielleicht auch ein Foto? Leider finden sich in der Fachliteratur wenige Werksabbildungen von solchen einfacheren (bürgerlichen) Uhren aus dieser Zeit.
Gruß
Stefan
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Re: Tischuhr unbekannter Provinienz
Hallo Stefan,
der federbelastete bewegliche "Schnabel" macht die herzförmige Falle plausibel und deutet auf ein frühes Entstehungsjahr hin. Diese frühe Art der Auslösung, allerdings mit einem Sternrad unter dem Viertelrohr, ohne Anlauf und nur mit Stundenschlag findet sich bei vielen Turmuhrwerken und Pendulenwerken meines Wissens nach aus dem ganzen deutschsprachigen Raum. Ich denke, daß das Schlagwerk deiner Uhr eine Fortentwicklung dieses Schlagwerktyps darstellt. Die Bedeutung des zweiten Taststiftes auf dem Tasthebel verschließt sich mir im Moment auch. Die Federhäuser haben mich etwas auf Wien fixiert. Wenn du sagst, daß sie sich in Machart und Qualität deutlich vom übrigen Werk unterscheiden ist es sehr gut möglich, daß die Uhr woanders entstanden ist und u.U. auch umgebaut wurde. Die schlüssellochartigen Öffnungen in den Aufzugrädern könnten dazu gedient haben, den Sperrkegel bei der Montage auf die Verzahnung zu heben. Auf der Gehwerkseite befinden sich noch, so wie ich aus den Bildern ersehen kann, zwei fluchtende Bohrungen (die hintere als Ausschnitt), in denen möglicherweise eine schwenkbare Welle mit Hammer auf eine zweite Glocke gesteckt haben könnte. Wahrscheinlich steht das im Zusammenhang mit den Stiften auf dem Wechselrad. Ob das Gehäuse zum Werk gehört kann ich natürlich so nicht beurteilen, ich habe aber auch den Verdacht, daß es etwas jünger als das Werk ist. Das Zifferblatt dagegen sieht mir wieder ganz nach Wien aus. Interessant wäre zu wissen, wie dick das Material ist. Ist das Blatt auf dem Konteremaille signiert? Die Zeiger gehören wahrscheinlich nicht drauf. Auf die gefeilten Federkerne würde ich nicht allzuviel geben, die habe ich schon bei feinen französischen Pendulen gesehen. Zu der Stahlöse (?) auf der Rückseite fällt mit im Moment auch nichts Vernünftiges ein, vielleicht war das auch nur die Führung für eine Repetierschnur (???).
Gruß
Heinrich
der federbelastete bewegliche "Schnabel" macht die herzförmige Falle plausibel und deutet auf ein frühes Entstehungsjahr hin. Diese frühe Art der Auslösung, allerdings mit einem Sternrad unter dem Viertelrohr, ohne Anlauf und nur mit Stundenschlag findet sich bei vielen Turmuhrwerken und Pendulenwerken meines Wissens nach aus dem ganzen deutschsprachigen Raum. Ich denke, daß das Schlagwerk deiner Uhr eine Fortentwicklung dieses Schlagwerktyps darstellt. Die Bedeutung des zweiten Taststiftes auf dem Tasthebel verschließt sich mir im Moment auch. Die Federhäuser haben mich etwas auf Wien fixiert. Wenn du sagst, daß sie sich in Machart und Qualität deutlich vom übrigen Werk unterscheiden ist es sehr gut möglich, daß die Uhr woanders entstanden ist und u.U. auch umgebaut wurde. Die schlüssellochartigen Öffnungen in den Aufzugrädern könnten dazu gedient haben, den Sperrkegel bei der Montage auf die Verzahnung zu heben. Auf der Gehwerkseite befinden sich noch, so wie ich aus den Bildern ersehen kann, zwei fluchtende Bohrungen (die hintere als Ausschnitt), in denen möglicherweise eine schwenkbare Welle mit Hammer auf eine zweite Glocke gesteckt haben könnte. Wahrscheinlich steht das im Zusammenhang mit den Stiften auf dem Wechselrad. Ob das Gehäuse zum Werk gehört kann ich natürlich so nicht beurteilen, ich habe aber auch den Verdacht, daß es etwas jünger als das Werk ist. Das Zifferblatt dagegen sieht mir wieder ganz nach Wien aus. Interessant wäre zu wissen, wie dick das Material ist. Ist das Blatt auf dem Konteremaille signiert? Die Zeiger gehören wahrscheinlich nicht drauf. Auf die gefeilten Federkerne würde ich nicht allzuviel geben, die habe ich schon bei feinen französischen Pendulen gesehen. Zu der Stahlöse (?) auf der Rückseite fällt mit im Moment auch nichts Vernünftiges ein, vielleicht war das auch nur die Führung für eine Repetierschnur (???).
Gruß
Heinrich
Der liebe Gott gab uns die Zeit (von der Eile hat er nichts gesagt!).
Re: Tischuhr unbekannter Provinienz
Hallo Bernd,
klassizistische Merkmale hat nur das Gehäuse, das aber sicher nicht ursprünglich zum (etwas älteren, ehemals gewichtsgetriebenen?) Werk gehörte. Ist auch nicht vollständig und auf obigem Bild (des Verkäufers) falsch zusammengesetzt.
Das Unterteil gehört nach oben, darauf dann der Giebel, unten muss noch ein höherer Kasten drunter gesessen haben (die Pendellänge habe ich auf ca. 330 mm berechnet), mindestens 130 mm hoch, rechts und links Säulen.
Ich will erst mal zuwarten, ob sich noch Hinweise zur Ausführung der Schloßscheibe finden (zwei Abtaststifte auf dem Abtasthebel), bin mir auch noch nicht sicher, ob es sich lohnt, viel Zeit in das sehr marode und mit teils mit Sperrholz ergänzte Gehäusefragment zu investieren. Wird sicher ein längerfristiges Projekt.
Gruß Stefan
klassizistische Merkmale hat nur das Gehäuse, das aber sicher nicht ursprünglich zum (etwas älteren, ehemals gewichtsgetriebenen?) Werk gehörte. Ist auch nicht vollständig und auf obigem Bild (des Verkäufers) falsch zusammengesetzt.
Das Unterteil gehört nach oben, darauf dann der Giebel, unten muss noch ein höherer Kasten drunter gesessen haben (die Pendellänge habe ich auf ca. 330 mm berechnet), mindestens 130 mm hoch, rechts und links Säulen.
Ich will erst mal zuwarten, ob sich noch Hinweise zur Ausführung der Schloßscheibe finden (zwei Abtaststifte auf dem Abtasthebel), bin mir auch noch nicht sicher, ob es sich lohnt, viel Zeit in das sehr marode und mit teils mit Sperrholz ergänzte Gehäusefragment zu investieren. Wird sicher ein längerfristiges Projekt.
Gruß Stefan