Merkwürdige Konstruktion an einem Pendulenwerk

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Grassi
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Merkwürdige Konstruktion an einem Pendulenwerk

Beitrag von Grassi » Mi 14. Feb 2024, 11:11

Hallo Experten,

ich ahbe an einem als funktionierend beschriebenen französischem Pendulenwerk etwas völlig fremdartiges gesehen: An der Ankergabel ist oben an der Welle des Ankers ein kleines Gewicht angebracht worden, was da sicher nicht hingehört.

Wozu nur soll das dienen? Das müsste doch den Abfall des Pendels beeinflussen sowie den Gang der Uhr, da der Schwerpunkt dadurch nach obern verlagert wird. Das Werk müsste so etwas schneller laufen, oder?
Fällt dazu jemandem was ein???
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3-.jpg
Was soll das bewirken?
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Bernhard J
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Re: Merkwürdige Konstruktion an einem Pendulenwerk

Beitrag von Bernhard J » Mi 14. Feb 2024, 11:34

Hallo Grassi,

ich bin zwar kein Experte, ich habe aber dennoch keine Ahnung, was das soll :D .

In Ernst, das sieht wirklich nicht so aus, als ob das original so wäre.

Die Eigenfrequenz des Pendels sollte m.E. davon nicht berührt werden, weil der Schwerpunkt des Pendels nicht verändert wird, die Gabel ist ja nicht fest mit der Pendelstange verbunden.

Auch der Abfall sollte nicht beeinflußt werden, da dieser ausschließlich durch die Winkelbeziehung zwischen Gabel und Anker bestimmt sein dürfte.

Ich kann daher wirklich keinerlei Sinn darin erkennen, denn als Gewichtsausgleich für einen stark asymetrischen Anker wird es ja auch nicht funktionieren, dazu müßte der Anker schon reichlich seltsam aussehen.

Beste Grüße, Bernhard

P.S.: Vielleicht könnte es ja allein dazu dienen, dass das Werk bei entferntem Pendel nicht abläuft, also sozusagen wie eine Bremse für die Hemmung?

steffl62
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Re: Merkwürdige Konstruktion an einem Pendulenwerk

Beitrag von steffl62 » Mi 14. Feb 2024, 16:09

Hallo Grassi,
ich vermute mal das das eine Art Hilfshebel zum Anstupsen des Pendels ist. Man könnte damit, wenn man von oben über das Werk greift, das Pendel in Bewegung setzten oder auch abbremsen. Ob das der Grund für diese Konstruktion ist hängt natürlich ganz vom Gehäuse ab in dem das Werk eingebaut war.

LG Christian
.
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petsch
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Re: Merkwürdige Konstruktion an einem Pendulenwerk

Beitrag von petsch » Do 15. Feb 2024, 07:51

Hallo Grassi,
Ich nehme an, Du kennst nicht das Gehäuse, in dem das Werk gesessen hat ?
Ich bin kein Uhrmacher, aber nach meiner Überlegung verlagert dieses kleine Gewicht doch den Schwerpunkt des Pendels, so dass die Pendelscheibe etwas weiter links schwingt.
Vielleicht stieß das Pendel auf der rechten Seite immer irgendwo am Gehäuse an, so dass man zu dieser Hilfskonstruktion gegriffen hat.
Oder mache ich einen Gefankenfehler ?
Gruß
Peter

Grassi
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Re: Merkwürdige Konstruktion an einem Pendulenwerk

Beitrag von Grassi » Do 15. Feb 2024, 10:03

Danke schon mal für eure Gedanken...zum Anwerfen des Pendels dient das ganz sicher nicht, da das Pendel der Uhr leicht zugängig ist.
Das Werk steckt in einem der bei franz. Pendulen üblichen Gehäuse,
5-.jpg
und das Pendel unter dem Sockel leicht zugänglich.
Ich glaube auch, dass sich durch dieses Gewicht der Schwerpunkt des Pendels so verlagern muss, dass die Pendellinse in Ruhestellung nicht mehr mittig senkrecht hängt, sondern zur entgegengesetzten Seite ausgelenkt wird.
Doch warum nur hat das jemand so dahin gebastelt???
Angestoßen haben kann das Pendel wohl auch nicht, da ist li + re reichlich Platz im Gehäuse.
Umso merkwürdiger das Ganze.
Hab zuerst gedacht, das sei etwas, das ich bisher nicht kannte, obwohl ich sicher tausende solcher Werke gesehen habe.
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Uroboros
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Re: Merkwürdige Konstruktion an einem Pendulenwerk

Beitrag von Uroboros » Fr 16. Feb 2024, 08:30

Hallo Bernhard,
Bernhard J hat geschrieben:
Mi 14. Feb 2024, 11:34
Die Eigenfrequenz des Pendels sollte m.E. davon nicht berührt werden, weil der Schwerpunkt des Pendels nicht verändert wird, die Gabel ist ja nicht fest mit der Pendelstange verbunden.
Einspruch: Natürlich hat es Einfluss auf die Eigenfrequenz, denn Pendel, Gabel und Anker bewegen sich doch stets gemeinsam, als ob sie ein gemeinsames Bauteil wären.
Für die Pendelfrequenz sind somit Schwerpunktslage und Massenträgheit dieser gesamten Baugruppe maßgeblich.
Das in Frage stehende Zusatzgewicht erhöht nun das Massenträgheitsmoment (geringfügig), ohne jedoch zum Rückstellmoment beizutragen, also wird es die Pendelschwingung (minimal) verlangsamen. Aber vermutlich nicht in einem Maße, was man nicht leicht ausregulieren könnte.
Bernhard J hat geschrieben:
Mi 14. Feb 2024, 11:34
Auch der Abfall sollte nicht beeinflußt werden, da dieser ausschließlich durch die Winkelbeziehung zwischen Gabel und Anker bestimmt sein dürfte.
Abermals Einspruch: Durch den asymmetrischen Gewichtshebel erhält das Pendel eine (minimal) andere Gleichgewichtsposition, wodurch sich auch der Abfall, der aus dem Winkelversatz zwischen Anker und Ruhelage des Pendels bestimmt ist, minimal verschiebt. Aber ebenfalls nicht in einem Maße, das nicht leicht im Rahmen des üblichen Abfalleinstellens ausreguliert werden könnte.

Meine Vermutung:
Durch den nun asymmetrischen Schwerpunkt der Gabel liegt diese nun nur nich mit einer Flanke an der Pendelstange an. Es kommt zu keinem Spiel mehr zwischen Gabel und Pendel. Dies ist der Ganggenauigkeit dienlich, spart minimal Energie (die sonst im Spiel ggf. vernichtet würde) und vermeidet das leise Klappern und Klirren zwischen Pendel und Gabel, das den Vorbesitzer womöglich gestört haben könnte.

Beispiel: Auch bei den Sattler-Uhren etwa ist die Gabel bewusst asymmetrisch, so dass nur ein Zinken genügt, weil sie stets von der selben Seite am Pendel anliegt:
Sattler.JPG
(Quelle: Uhrenbausatz.de, Bauanleitung Mechanica M1)
Bernhard J hat geschrieben:
Mi 14. Feb 2024, 11:34
P.S.: Vielleicht könnte es ja allein dazu dienen, dass das Werk bei entferntem Pendel nicht abläuft, also sozusagen wie eine Bremse für die Hemmung?
Oder so. ;) Aber wie relevant oder häufig ist diser Fall?

Liebe Grüße, Moritz
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Bernhard J
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Re: Merkwürdige Konstruktion an einem Pendulenwerk

Beitrag von Bernhard J » Fr 16. Feb 2024, 09:45

Hallo Moritz,

Einspruch stattgegeben :D .

Die Erklärung mit der nur einseitig anliegenden Gabel klingt gut. Allerdings bräuchte es dann keine Gabel. Wenn es sich bei dem Gewicht um eine nachträgliche Modifikation handelt, wäre aber auch das geklärt.

Beste Grüße, Bernhard

P.S.: Bräuchte man bei nur einseitig wirkender Anker"gabel" nicht deutlich mehr Energie um das Pendel anzutreiben, verglichen mit einer symmetrisch antreibenden richtigen Gabel?

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Re: Merkwürdige Konstruktion an einem Pendulenwerk

Beitrag von Uroboros » Fr 16. Feb 2024, 10:04

Bernhard J hat geschrieben:
Fr 16. Feb 2024, 09:45
P.S.: Bräuchte man bei nur einseitig wirkender Anker"gabel" nicht deutlich mehr Energie um das Pendel anzutreiben, verglichen mit einer symmetrisch antreibenden richtigen Gabel?
Nein!
Der Trugschluss, dass dann der antreibende Impuls nur noch in eine Richtung wirken würde, hat bereits in einem anderen (Dir wohlbekannten) Forum zu tiefen Zerwürfnissen geführt...

Auch wenn der Gabelzinken nur einseitig am Pendel liegt, bedeutet das nicht, dass das Pendel nur in eine Richtung angetrieben würde!
Der Anker bzw. die Gabel ist durch den asymmetrischen Schwerpunkt gewissermaßen so vorgespannt, dass der Pin stets an der Pendelstange anliegt, egal ob die Hemmung gerade nach links oder rechts drückt.
Dann bewegen sich Gabel und Pendel stets gemeinsam, und es kommen auch beide Impulse der Hemmung am Pendel an:
In der einen Richtung bewirkt die Hemmung eine Erhöhung der Andrückkraft des Pins gegen das Pendel, in der anderen Richtung eine Verminderung.
In der Summe gibt es damit keinen Unterschied gegenüber einer beidseitigen Gabelführung, es kommen wie gesagt beide Impuls am Pendel an.

Oder noch einmal ganz, ganz einfach:
Klebe doch den Stift (natürlich nur rein gedanklich) mit Sekundenkleber gegen die Pendelstange.
Es ist unmittelbar einleuchtend, dass sich Pendel und Gabel stets gemeinsam bewegen, als ob sie aus einem Stück bestünden, und dass sowohl Rechts- wie auch Linksimpuls der Hemmung am Pendel ankommen.
Nun löse den Sekundenkleber (wieder nur gedanklich) mit Aceton wieder heraus. Es hat sich dadurch geändert: Rein gar nichts!
Immer noch bewegen sich Gabel und Pendel stets gemeinsam, und daher kommen immer noch beide Impulse der Hemmung am Pendel an.
Denn der Kleber ist auch vorher niemals auf Zug belastet worden!

Moritz

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Bernhard J
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Re: Merkwürdige Konstruktion an einem Pendulenwerk

Beitrag von Bernhard J » Fr 16. Feb 2024, 11:09

Hm. Im Ergebnis mag es sein, dass die Energie die gleiche ist. Richtig ist natürlich, dass nur eine Beanspruchung auf Druck erfolgt.

Nehmen wir die Variante mit Gewicht. bei der Halbschwingung in der ersten Richtung drückt das Gewicht zusätzlich, aufgrund der Asymmetrie. Also höhere Kraft. Beide Kraftvektoren, Impulskraft von der Hemmung einerseits und von dem Gewicht andererseits, sind gleichsinnig. Bei der anderen Halbschwingung sind diese Kraftvektoren aber einander entgegen gesetzt, wobei der Kraftvekor durch das Gewicht größer als jener aus dem Impuls der Hemmung ist (sonst würde die Gabel ja nicht weiterhin einseitig anliegen).

Mal mit hypothetischen Zahlen gespielt.

Kraftvektor Gewicht sei immer 10 und gleichgerichtet. Kraftvektor Hemmung sei immer (angenommen, der Einfachheit halber) 1, jedoch während einer der beiden Halbschwingungen entgegengesetzt. Also in der ersten Halbschwingung insgesamt 11 (Vektoren gleich gerichtet) und in der zweiten Halbschwingung insgeamt 9 (Vektoren einander entgegen gerichtet). Die Differenz ist 2. Was exakt der Summe der Kräfte aus der Hemmung entspricht. Also als ob das Gewicht gar nicht da wäre (energetisch betrachtet, die Energie ist kein Vektor).

Richtig so?

Grassi
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Re: Merkwürdige Konstruktion an einem Pendulenwerk

Beitrag von Grassi » Sa 17. Feb 2024, 12:43

Uroboros hat geschrieben:
Fr 16. Feb 2024, 08:30
Durch den nun asymmetrischen Schwerpunkt der Gabel liegt diese nun nur nich mit einer Flanke an der Pendelstange an. Es kommt zu keinem Spiel mehr zwischen Gabel und Pendel.... und vermeidet das leise Klappern und Klirren zwischen Pendel und Gabel, das den Vorbesitzer womöglich gestört haben könnte.
Ich möchte den Uhrmacher sehen, der anstatt einfach die Ankergabel enger zu biegen solch eine irre Konstruktion am Drehpunkt des Ankers eines popeligen französischen Massen-Pendulenwerks anbringt?
Ich habe so viele Uhren erlebt, die selbst bei nicht optimaler Passung von Pendelstange und Ankergabel weder klapperten noch klirrten, noch sonst irgendeinen einen Grund geboten hätten, solch eine Konstruktion dranzufriemeln.

Für mich erscheint es nun so, dass es wohl keinen Grund für diese Bastelei gibt, die einen vernünftigen und fachlich begründeten Nutzen hat, außer vielleicht falsch verstandener Einsicht in die Funktion eines Pendels. Zumal das Gewichtchen auf den Bildern sehr nach Aluminium aussieht, und damit ohnehin als Laienbastelei entlarvt wäre.

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