Seltsamer, starker Nachgang

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Ursus
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Seltsamer, starker Nachgang

Beitrag von Ursus » Do 22. Jun 2017, 19:42

Hallo Forianer!

Bei einer englischen Bodenstanduhr (ca. 1720) habe ich einen seltsamen, starken Nachgang (ca. 40 Minuten/Tag). Das Pendel ist ein Sekundenpendel mit ca 98 cm Länge vom Aufhängepunkt bis zur Mitte der Pendellinse. Wenn ein Uhrwerk verschmutzt ist, dann bleibt es stehen, aber es geht nicht so stark nach. Bodenstanduhren aus dieser Zeit sind eigentlich immer Sekundenpendeluhren.
Habt ihr eine Idee, was es sein könnte? Hat da jemand mal das Minutenrad vertauscht?

Danke für eure Ideen.

Ursus

steffl62
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Re: Seltsamer, starker Nachgang

Beitrag von steffl62 » Fr 23. Jun 2017, 07:49

Mir fallen mal spontan 3 Möglichkeiten ein.
Pendelfeder getauscht und eine zu lange eingebaut oder irgend ein zusätzliches Gewicht an oder in der Pendellinse.
Die Eingriffstiefe des Ankers könnte auch noch zu tief sein so das er nicht mehr verlässlich bei jeder Pendelschwingung das Ankerrad frei gibt.
An ein vertauschtes Minutenrad kann ich nicht so recht glauben, das wäre ein zu großer Zufall das der Eingriff und die Höhenluft von einem fremden Werk passt nicht aber die Zähnezahl.

lg Christian
.
Fragen, Korrekturen und Ergänzungen zu meinen Beiträgen sind ausdrücklich erbeten und gewünscht!

petsch
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Re: Seltsamer, starker Nachgang

Beitrag von petsch » Fr 23. Jun 2017, 09:55

Hallo Ursus,
ich bin ja nicht so der Theoretiker, was Uhwerksberechnungen und Pendellängen angeht, aber ich habe bei fast jeder Standuhr etwas unterschiedliche Pendellängen, manchmal auch ganz erhebliche. Trotzdem würde ich zu allen "Sekundenpendel" sagen, weil sie doch alle irgendwie um 1m Länge sind.
Wie das theoretisch zu erklären ist, weiß ich nicht.

Aus diesem Grunde würde ich sagen, dass entweder, wie Christian schon geschrieben hat, die Pendelfeder zu lang ist, oder, falls man die Pendelscheibe nicht mehr so weit nach oben schieben kann, das gesamte Pendel irgendwann vertauscht wurde.

Eine so viel zu lange Pendelfeder , so meine ich, müsste man aber erkennen, da sich dann die Messingaufnahme für die Pendelstange, auch außerhalb der Führung der Ankergabel befinden müsste. Die ist ja meist nicht so lang und wird mit der bei englischen Standuhren langen Pendelfeder genau in die richtige Position zum Eingriff mit der Ankergabel gebracht.

Ein vertauschtes nicht genau passendes Pendel habe ich schon oft gehabt, weil die Standuhren beispielsweise bei Auktionshäusern oder bei großen Händlern oft ohne Pendel und Gewichte stehen und diese dann separat aufbewahrt und transportiert werden. Wenn diese dann nicht genau markiert und bezeichnet sind, passiert es immer wieder, dass sie vertauscht werden. Ich kenne auch Händler, denen ist das fast egal, die suchen einfach dann in ihrem Bestand die vermeintlich passenden Gewichte und das Pendel dazu.

Gruß
Peter

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Ursus
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Re: Seltsamer, starker Nachgang

Beitrag von Ursus » Fr 23. Jun 2017, 12:48

Danke für eure Ideen.
Das mit dem vertauschten Pendel ist schon möglich, allerdings eher unwahrscheinlich. Ich selbst habe mal als Experiment ein anderes Pendel eingebaut und zwar aus einer ähnlich alten Uhr die mit diesem Pendel ziemlich genau ging (ca. 4 Min/Woche). Und auch mit diesem anderen Pendel war der Nachgang so groß wie bei dem originalen. :? :?:

Grüße

Ursus

TitusDH
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Re: Seltsamer, starker Nachgang

Beitrag von TitusDH » Fr 23. Jun 2017, 15:41

Sicher, dass das eine Uhr mit Sekundenpendel ist? Hat sie denn eine 60-teilige Sekundenanzeige? Ansonsten müsstet Du halt Räder und Triebe mal durchzählen. Englische Uhren sind fast immer echte Sekundenpendler, ich weiß - aber bei etwa Comtoisen kann Dir bis hin zu 1,30m Pendellänge so ziemlich alles begegnen.

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Re: Seltsamer, starker Nachgang

Beitrag von Der_Stromer » Sa 24. Jun 2017, 12:08

Hallo.

Ich habe auch mal eine Anregung:
1.) Es kann möglich sein, dass durch ein stark verschmutztes Werk der Kraftfluss an der Hemmung sehr stark beeinträchtigt wird, so das hier hin- und wieder am Ankerrad Zähne ausgelassen werden (zugegeben, sehr unwahrscheinlich).
2.) Es wurde das Werk getauscht.

Zeige doch bitte mal aussagekräftige Bilder vom Werk, möglichst von der Rückseite. Dann wird es möglich, das Kaliber des Werkes und damit auch die Daten zu ermitteln.

Zum Pendel ist es von Vorteil, wenn man das Pendelgesetz kennt. In unseren Breiten beträgt die Theoretische Länge eine "Sekundenpendels" ziemlich genau 99,4 cm. Sehr gut Beschrieben wird das übrigen bei WIKIPEDIA: https://de.wikipedia.org/wiki/Sekundenpendel
Hallo aus der Oberpfalz
Rolf-Dieter, der Stromer

http://www.rolf-dieter-reichert.de

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Re: Seltsamer, starker Nachgang

Beitrag von Taloon » Sa 24. Jun 2017, 20:55

Dann können wir ja auch gleich versuchen das auszurechnen :P

-40 min / 24 h

macht

-100 sec / 1 h

oder

-1,6 sec / 1 min

Sekundenpendel macht 30 Schwingungen / 1 min

also

-0,055 sec / 1 Schwingung

1 Schwingung Sekundenpendel = 2 sec

daraus folgt: 1 Schwingung = 1,944 sec damit die Uhr richtig geht.

rechnet man dann ein wenig mit der Formel rum, so kommt man irgendwann auf ~5,4 cm die deine Linse nach oben wandern müsste. Kannst ja mal provisorisch testen, Berufsschule ist leider schon etwas länger her :mrgreen:

Ich würde mir auf jeden Fall noch die Zeigerreibung und die Auslösung des Schlagwerks genauer anschauen. Könnte ja immerhin sein das deine Uhr nur die verkehrte Uhrzeit anzeigt und Wahrheit doch richtig geht.

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Re: Seltsamer, starker Nachgang

Beitrag von Ursus » Sa 24. Jun 2017, 21:18

TitusDH hat geschrieben:Sicher, dass das eine Uhr mit Sekundenpendel ist? Hat sie denn eine 60-teilige Sekundenanzeige?
Ganz Sicher kann ich natürlich nicht sein, aber m.E. sind alle englische Bodenstanduhren aus dieser Zeit (um 1720) Sekundenpendeluhren.
TitusDH hat geschrieben:... aber bei etwa Comtoisen kann Dir bis hin zu 1,30m Pendellänge so ziemlich alles begegnen.
Das ist richtig, aber dies kommt dadurch, dass ein guter Teil der Gesamtpendelmasse auf die Pendelstange entfällt, besonders bei Schmuckpendeln. Bei englischen Uhren aus dieser Zeit ist die Pendelstange eine dünne Stahlstange und die Pendellinse ist komplett mit Blei gefüllt.

Ursus

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Re: Seltsamer, starker Nachgang

Beitrag von Ursus » Sa 24. Jun 2017, 21:42

Danke für Eure Ideen.
Der_Stromer hat geschrieben: Ich habe auch mal eine Anregung:
1.) ... so das hier hin- und wieder am Ankerrad Zähne ausgelassen werden (zugegeben, sehr unwahrscheinlich).
2.) Es wurde das Werk getauscht.

Zeige doch bitte mal aussagekräftige Bilder vom Werk, möglichst von der Rückseite. Dann wird es möglich, das Kaliber des Werkes und damit auch die Daten zu ermitteln.
zu 1.) Wenn ein Zahn übersprungen wird, geht die Uhr schneller, also vor.
zu 2.) Schon möglich, aber wie ich gesagt habe, waren 1720 alle englischen Bodenstanduhrwerke Sekundenpendelwerke.

Kaliber: Das gibt es nicht, da 1720 alle Werke individuell von Hand hergestellt wurden.

Ursus

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Re: Seltsamer, starker Nachgang

Beitrag von Berrnd-Klaus » So 25. Jun 2017, 11:00

Hallo Taloon,

ich rechne immer nach der Formel:
Längenveränderung:2 x Differenz (min) x Pendellänge (mm)
_____________________________
Beobachtungszeit (min)



Werte von der
Standuhr : 2 x 40min x 980 mm
____________________ = 54,47 mm
24 Std x 60min

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