Eine gekonnte Marriage wieder zum zählen der Zeit gebracht

Jahresuhren, Atmos und mehr
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Der_Stromer
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Eine gekonnte Marriage wieder zum zählen der Zeit gebracht

Beitrag von Der_Stromer » Sa 26. Nov 2016, 18:16

Die Uhr, die ich Euch heute vorstellen möchte, ist ein Einzelstück, eine sog. Marriage also.

Ja, auch das ist eine Jahresuhr (gewesen) bis sich ein Grobschmied daran ausgetobt hat.
4861-Total-verschmutzt.JPG
Eigentlich ist diese Uhr so nie hergestellt worden. Das Werk ist von der Jahresuhrenfabrik Aug. Schatz & Söhne aus 10/1962, Kaliber 49. Das Drehpendel stammte wieder von einem anderen Hersteller und in dem Holzgehäuse steckte wohl mal eine kleine Pendeluhr. Jedenfalls hat sich der „Baumeister“ dieser Uhr viel Mühe gegeben und er muss auch was von seinem Fach verstanden haben, was man vom vorletzten Reparateur nicht behaupten kann.

Also: Der Besitzer fragte: Können Sie… und ich wollte es mal versuchen. Denn eine solche Uhr hatte ich noch nicht auf meinem Tisch.

Schon der erste Blick in das Gehäuse zeigte mir, dass es sich hier um eine Marriage handelt. Pendel gehört nicht zum Werk und so Einiges ist angepasst worden. Nun ja. Frisch ans Werk und erstmal alles demontiert. Man wird schon sehen….
4863-Das-Pendel.JPG
Nach der Reinigung im US-Bad schon der erste Schock: Jemand hatte alle Lager ersetzt. Das ist mir auch noch nicht unter gekommen und verhieß nichts Gutes. Richtig: auch das Exzenter-Lager für den Anker war so „Vernudelt“, dass es im US-Bad von selbst aus der Platine viel. Wer an diesem Lager aus Jux und Dollerei dreht, outet sich schon als Pfuscher. Diese Lager wurden einmal auf die Eingriffstiefe des Ankers in der Produktion eingestellt und das war es. Wenn also weder der Anker, noch das Ankerrad gegen Teile aus fremder Produktion ausgetauscht wurden (wie soll das bei Baujahr 1962 sein?), braucht man an diesem Lager nichts, aber auch gar nichts stellen. Verdreht sich doch das gepresste Lager nicht von selbst!
4862-Fast-wie-Neu.JPG
Nun ja, schaun mer mol, was uns da noch so in die Augen sticht. Also das Werk wieder zusammengebaut nach den üblichen Reinigungsarbeiten. Ein erster Test per Hand, wie die Hemmung arbeitet, zeigte Erschröckliches. Die Paletten des massiven Ankers waren – natürlich – viel zu tief gestellt. Also am Exzenter gedreht, bis es passen sollte. Dabei festgestellt, dass 3 Zähne des Ankerrades arg verbogen waren. Graue Haare kann ich nicht mehr bekommen. Habe keine mehr. Die Zähne so gut es ging gerichtet und alles wieder Zusammengebaut. Die Pendelfeder musste natürlich auch ersetzt werden, hatte doch der Grobschmied eine Feder eingebaut, die die Uhr zum Renner gemacht hat.
Die Pendelfeder war dann schon die zweite Hürde: Länger als normal für das Kaliber 49 und auch das Pendel hatte einen sehr kleinen Durchmesser. Da habe ich dann einfach mal geschätzt und eine NIVAROX-Feder 0,095mm genommen. Das Pendel so in das Gehäuse eingepasst, dass es optisch gut passte, sollte es doch auch im Fenster der Vorderseite gut sichtbar sein. Das Scheibenpendel ist übrigens versilbert, wie die Lünette und das Ziffernblatt auch. Eine Politur dieser Teile war natürlich angesagt, und danach konnten sich diese Teile auch wieder sehen lassen.
4864-Raeder-gesetzt.JPG
Der erste Test mit der „Phi x Daumen“ Feder war schon mal ganz gut, nur etwas zu schnell, ca. 25 Minuten im Plus in 24 Stunden – dachte ich.
4871-Die-lange-Pendelfeder.JPG
Dann stellte ich fest, dass die Hemmung immer an einer bestimmten Stelle durch ratterte. Das war nicht gut, deuten doch solche Fehler meist auf ein unrund laufendes Ankerrad hin. Also wieder alles aus dem Gehäuse ausgebaut und eine Konstruktion für meinen Galgen angefertigt. Nun konnte ich das Werk und die Funktionen von allen Seiten gut beobachten. Und schon den eigentlichen Fehler gefunden: Ankerrad lief unrund und wenn der Eingriff stimmen sollte, klemmte der Anker. Das kann doch eigentlich bei originalen Teilen gar nicht vorkommen, oder? Also wieder alles auseinander (ist ja nicht zur Strafe, nein, nur zur Übung!) und unter der Lupe Anker und Ankerrad genau betrachtet. Am Anker waren Druckstellen an den festen Paletten zu sehen und am Ankerrad waren einige Zähne, bei denen die Zahnflächen breiter waren als bei den meisten Anderen.
Also die beiden Teile genauer zueinander gehalten (eine Holzschablone hilft dabei ungemein) und festgestellt, dass der Grobschmied die Ankerweite mit Gewalt zusammengedrückt hat. Damit war der Übergriff von 5 ½ Zähnen nicht mehr gegeben, an den Abgeschliffenen Zähnen war der Übergriff genau 5 Zähne und daher die Klemmungen. Da war auch mit reparieren nichts mehr!
Meine Quelle in den USA hatte aber zum Glück noch solche Teile gut gebraucht auf Lager und ich habe sie dann auch gleich bestellt. Sogar der Deutsche Zoll hatte ein Einsehen und brauchte für die Zolltechnische Bearbeitung nur 14 Tage.

Also jetzt die neuen gebrauchten Teile eingebaut, den Eingriff justiert, Uhr angeworfen und mit der Stoppuhr die Beats gemessen: 01:00:654 Sekunden für 8 Beats. Das sollte mit dem Pendel reguliert werden können.
4865-Werk-zusammen.JPG
Alles wieder in das Gehäuse eingebaut, 7 halbe Umdrehungen aufgezogen und die Zeit eingestellt. Der Abfall musste noch etwas nachgestellt werden und: Nach 24 Stunden tatsächlich eine Abweichung von 3 Minuten im Minus. Am Pendel etwas nachgestellt, und am nächsten Tag stimmte die Zeit. Jetzt einen Test über 5 Tage: Nur noch ca. 1 Minute in diesen 5 Tagen. Dabei fällt mir ein, dass mich hin- und wieder mal Menschen wegen Justagen des Ganges einer Jahresuhr fragen. Beim Gang wird dann behauptet, die Uhr würde in, na sagen wir mal, 3 Tagen um 1 Minute 35 Sekunden im Minus sein. Da kann ich mir wirklich ein lautes Lachen nicht verkneifen. Wie will der Mensch das denn messen? Ich habe noch keine Jahresuhr mit Sekundenzeiger gesehen und das Zeigerwerk hat in 60 Minuten schon allein ein Spiel von ca. 1 – 2 Minuten. Also? Nun, getreu dem Spruch „wer viel misst, misst meist viel Mist“ hake ich solche Angaben unter „Na ja“ ab.

Also, ein klitze kleines Bisschen bin ich doch stolz auf mich.
4909-Letzte-Handgriffe.JPG
Sieht sie doch wieder gut aus und zeigt auch die Zeit. Was ein Glück für den Besitzer, dass er diese Uhr dem Grobschmied aus den Klauen reißen konnte!
4911-Geschafft.JPG
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Re: Eine gekonnte Marriage wieder zum zählen der Zeit gebrac

Beitrag von derTeichfloh » Sa 26. Nov 2016, 18:40

Huch - an soetwas wagst du dich ran? Alle Achtung!
Aber schön hin gekriegt. Und selbst wenn ich das Gehäuse als nicht passend finde - ist halt meine Meinung.

Danke fürs Zeigen und für das Erklären.

Gruss,
derTeichfloh
Gruss
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Der_Stromer
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Re: Eine gekonnte Marriage wieder zum zählen der Zeit gebrac

Beitrag von Der_Stromer » Sa 26. Nov 2016, 18:47

:? Sprachfehler!

Und: Über Geschmack lässt sich trefflich streiten :mrgreen: Auf jeden Fall war diese Uhr eine rechte Herausforderung. Denn die überlange Pendelfeder neigt zum Galoppieren :( . Aber auch das habe ich in den Griff bekommen.......
Hallo aus der Oberpfalz
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Re: Eine gekonnte Marriage wieder zum zählen der Zeit gebrac

Beitrag von KleineSekunde » Sa 26. Nov 2016, 20:34

Hallo Rolf-Dieter,

vielen Dank für den sehr schönen Bericht! Es freut mich, dass auch diese Uhre wieder zuverlässig läuft, der Besitzer wird sich sicherlich sehr darüber freuen!

Schöne Grüße

Guido / KleineSekunde

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Re: Eine gekonnte Marriage wieder zum zählen der Zeit gebrac

Beitrag von gebuwa » Sa 26. Nov 2016, 21:18

Hallo Rolf-Dieter

Auch von mir herzliche Glückwünsche zu deiner Kunst. Wie sagt man doch so schön - in Freudenberg kommt Freude auf.

Gruß Gerd

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Re: Eine gekonnte Marriage wieder zum zählen der Zeit gebrac

Beitrag von clavicembalist » Sa 26. Nov 2016, 23:18

Das hast du ja wieder super bin bekommen, Kompliment.
Verbastelte Uhren sind immer ein Graus, da bekomme ich graue Haare (Habe ja noch genug davon;) )
Danke für den Einblick in deine Arbeit. :)

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Re: Eine gekonnte Marriage wieder zum zählen der Zeit gebrac

Beitrag von steffl62 » So 27. Nov 2016, 09:12

Hallo Rolf-Dieter,
ganz tolle Arbeit, Du hast die Uhr ja ganz super hinbekommen! :P
Vielen Dank fürs zeigen.

lg Christian
.
Fragen, Korrekturen und Ergänzungen zu meinen Beiträgen sind ausdrücklich erbeten und gewünscht!

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Re: Eine gekonnte Marriage wieder zum zählen der Zeit gebrac

Beitrag von gegensatz » So 27. Nov 2016, 09:25

Servus Rolf-Dieter,

Gratulation zu dieser hervorragenden Arbeit, die für Dich mit Sicherheit eine grosse Herausforderung war und der Besitzer wird mit der Uhr auch ganz viel Freude haben. Danke für den interessanten Bericht und die Bilder.

Viele Grüsse an Dich.

Norbert

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Re: Eine gekonnte Marriage wieder zum zählen der Zeit gebrac

Beitrag von Zeitreisender » Di 29. Nov 2016, 16:23

Hallo Rolf-Dieter,

einfach herrlich - dieser Mann schreckt auch vor keiner neuen Herausforderung zurück ! :shock:
Danke für Deinen einblickreichen Restaurationsbericht.

Gruß, Michael

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Re: Eine gekonnte Marriage wieder zum zählen der Zeit gebrac

Beitrag von Der_Stromer » Do 1. Dez 2016, 17:35

:shock: So viel Lob :?

Danke, Leute. Aber glaubt mir: Ein bisschen Spaß hat das auch gemacht und Stolz wie ein Pfau habe ich ihr zugeguckt, als sie sich wieder so bewegte, wie ich mir das gedacht habe :mrgreen: .
Hallo aus der Oberpfalz
Rolf-Dieter, der Stromer

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