Aug. Schatz & Söhne, Kal. 49 aus 06 58, die Gefallene

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Der_Stromer
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Aug. Schatz & Söhne, Kal. 49 aus 06 58, die Gefallene

Beitrag von Der_Stromer » Mo 1. Sep 2014, 19:37

Aug. Schatz & Söhne Jahresuhr Kal. 49 aus 06 1958
3377-So-sah-sie-aus.JPG
Diese Uhr hat ein „bewegtes“ Uhrenleben hinter sich. 1959 wurde sie als Siegerpreis vergeben und stand auf einem Sockel, bis sie mal von eben diesem gestoßen wurde.
3372-Vom-Sturz.JPG
Viele Menschen, die es sicher gut meinten, haben dann versucht, die Uhr wieder in die Gänge zu bringen. Ohne Erfolg!
3374-Wird-schon-werden.JPG
Nach Jahren dann fand die Besitzerin bei der Suche nach Jemandem, der sich mit „gefallenen Schätzen“ ein wenig auskennen, meine Homepage.

Und so wurde der Kontakt hergestellt und die Uhr landete auf meinem Tisch.
3375-Arg-verbogen.JPG
3376-Sehr-feckig.JPG
Welche Probleme gab es mit dieser Uhr?

Nun, ich könnte fast sagen: das Übliche!
Kunststoff-Dom mit Sprung (die Besitzerin möchte einen Glas-Dom, ich habe Ihr eine Adresse gegeben). Messingteile angelaufen, Werk ebenfalls und dann ein Zuviel an falschem Öl, gepaart mit einer falschen und defekten Pendelfeder. Und dann die verbogene Aufhängung der Pendelfeder. Das alles verhinderte, dass die Uhr die Zeit zählen konnte.

Also frisch ans Werk.

Zuerst das Werk. Zeiger und Ziffernblatt (Quadratisches, auf der Spitze stehendes versilbertes Ziffernblatt) abgenommen, das Werk in Einzelteile zerlegt und ab ins Bad.

Danach dann, was immer folgt. Polieren und nochmals Polieren. Mit Renaissance Wax versiegelt, Lager gereinigt, Zapfen überprüft und ebenfalls poliert.

Die Gangfeder hat geklebt, als wenn Jemand da einen Leim reingeschüttet hat. Also das Haus auf und mit dem Federwinder die Feder entnommen.
3379-Klebe-Feder.JPG
Das Reinigen der Feder war recht problematisch. Denn es hatte wirklich jemand mit Kleber gearbeitet. Den Federkern einfach mit dem Kleber an der Feder festgeklebt, damit wohl beim Einbau das Federende auch wirklich in den Ausschnitt eingriff. Nun, diesen Kleber habe ich nur mit Nitroverdünnung runter bekommen. So was ist mir aber schon Mal passiert, daher hielt sich die Überraschung eigentlich in Grenzen!
3388-Respekt-vor-der-Feder.JPG
3389-Feder-aus-dem-Haus.JPG
Im Sockel hatte sich bei einem Stellfuß das Gewinde verabschiedet. Hier habe ich etwas kreativ gearbeitet, weil diese Füße nicht mehr zu bekommen sind. Auch mein ganz spezieller Spezi in USA hat abgewinkt. Nun, eine M6 Mutter am Rand tiefe Riefen gefeilt und in das Kuststoffrad heiß eingedrückt, die Kuststoffmasse fest um die Mutter gedrückt (und Finger verbrannt) und plan gefeilt. Funktioniert wie Neu und wieder eine Erfahrung mehr, denn diese Uhren werden ja auch nicht jünger.

Dann die Feder gut eingefettet und wieder (gelobt sei der Federwinder, der Neue) in ihr Haus manövriert.


Das Werk selbst war dann eigentlich kein Problem mehr, da ich hier schon einiges an Routine habe und auch keine weiteren Probleme zu sehen waren. Auch hatte zum Glück Niemand am verstellbaren Ankerlager gedreht, weil dadurch vielleicht ja die Uhr wieder in Gang… Na, zum Glück für mich wurde hier nicht gedreht und der Anker selbst hat feste Paletten.

Die obere Montierung der Pendelfeder mit etwas Gewalt und Hammer gerichtet, bis die Winkel wieder stimmten.
3396-Hintere-Platine.JPG
3392-Herstellung.JPG
3392-Firmenmarke.JPG
In der Zwischenzeit wurde auch das 4-Ball-Pendel komplett zerlegt und ins Bad geschickt.
3398-Ansehnlich.JPG
Nach dem Bade erstand das Pendel jedenfalls wieder in altem Glanz.
3398-Gefaellt.JPG
Nachdem wieder alles da war, wo der Konstrukteur es hin haben wollte, ging es – nach ersetzen der Pendelfeder – frisch ans Justieren.
3399-Justagen.JPG
Die Drehung beträgt fast 290° (270° sollten es sein, aber ein bisschen mehr ist zu verkraften) und die Zeit konnte von mir bis auf + 1 Minute in 24 Stunden justiert werden. Das muss nach dem Transport und dem neuen Aufstellungsort immer wiederholt werden. Daher ist mehr Mühe zur Regulierung wohl hier nicht erforderlich.

Und so sieht die Uhr jetzt aus:
3402-Fertig.JPG
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Hallo aus der Oberpfalz
Rolf-Dieter, der Stromer

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Re: Aug. Schatz & Söhne, Kal. 49 aus 06 58, die Gefallene

Beitrag von KleineSekunde » Mo 1. Sep 2014, 22:20

Hallo Rolf-Dieter,

vielen Dank mal wieder für diesen schönen Bericht!
Der_Stromer hat geschrieben:...die Zeit konnte von mir bis auf + 1 Minute in 24 Stunden justiert werden. Das muss nach dem Transport und dem neuen Aufstellungsort immer wiederholt werden.
Bei einer Jahresuhr summiert sich diese Abweichung dann doch beträchtlich. Ja, eine (weitere) Feinabstimmung müssste dann am Aufstellungsort erfolgen. Aber reicht diese "Grobabstimmung", um eine genaue Zeitanzeige dann nach einem "Fein-Tuning" zu ermöglichen? Vermutlich ja, aber ich hätte erwartet, dass die Regulierung schon vorab genauer erfolgen müsste...

Vielen Dank!

Schöne Grüße

Guido / KleineSekunde

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Re: Aug. Schatz & Söhne, Kal. 49 aus 06 58, die Gefallene

Beitrag von gegensatz » Di 2. Sep 2014, 01:17

Servus Rolf-Dieter,

es macht immer wieder Freude zu sehen, wie Du fast hoffnungslose Fälle, zum Laufen bringst. Das Endergebnis bei dieser Uhr ist sensationell - daher Kompliment an Dich. Danke auch für die gelungene Bilddokumentation. Bist halt doch ein Künstler. Mach weiter so.

Viele Grüsse

Norbert

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Der_Stromer
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Re: Aug. Schatz & Söhne, Kal. 49 aus 06 58, die Gefallene

Beitrag von Der_Stromer » Di 2. Sep 2014, 11:14

KleineSekunde hat geschrieben:Hallo Rolf-Dieter,

vielen Dank mal wieder für diesen schönen Bericht!

Bei einer Jahresuhr summiert sich diese Abweichung dann doch beträchtlich. Ja, eine (weitere) Feinabstimmung müssste dann am Aufstellungsort erfolgen. Aber reicht diese "Grobabstimmung", um eine genaue Zeitanzeige dann nach einem "Fein-Tuning" zu ermöglichen? Vermutlich ja, aber ich hätte erwartet, dass die Regulierung schon vorab genauer erfolgen müsste...

Vielen Dank!

Schöne Grüße

Guido / KleineSekunde
Natürlich hast Du damit auch Recht, Guido. Man muss aber bedenken, dass zum Transport das Pendel abgenommen werden muss und die Pendelfeder durch eine besondere Halterung gesichert wird.
Am Aufstellungsort wird dann alles wieder "zurück gebaut". Da sind dann neue Ungenauigkeiten wohl vorprogrammiert.

Etwas anderes ist es bei Uhren, bei denen das Drehpendel am Werk und im eingebauten Zustand gesichert wird. Da wird schon genauer Reguliert. In der Regel (wie es die Ablesung auf dem Ziffernblatt erlaubt) bis auf +- 1 Minunte in der Woche. Mehr geht am Tisch nicht, sonst müßten die Uhren ja mehrere Wochen bei mir Laufen ;) . Denn eine Zeitwaage für Jahresuhren gibt es leider nicht :cry: .

"Feintuning" ist selbstverständlich nach jedem Transport möglich und machbar, wenn vorher die Pendelfeder so eingerichtet wurde, dass nach + und - am Pendel genügend "Platz" ist.
Dann ist das auch für Laien mit Anleitung kein größeres Problem. Meinen Uhren wird immer ein Brief mit genauen Anleitungen zur Aufstellung und ggf. Regulierung beigelegt. Und Telefone gibt es ja auch noch :mrgreen: .

@Norbert: Danke. Aber "Künstler" ist dann doch zu viel der Ehre :oops: . Ich gebe mir halt Mühe und mache das, was ich kann.
Hallo aus der Oberpfalz
Rolf-Dieter, der Stromer

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