Schriesheimer Turmuhr

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Ursus
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Schriesheimer Turmuhr

Beitrag von Ursus » Mo 25. Okt 2010, 11:39

Hallo Alle!

Hier einige Impressionen vom Zusammenbau der Schriesheimer Turmuhr.

Die einzelnen Teile:

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Gestell und Bänder (Die rote Farbe ist noch das original Bleimennige aus dem 15. Jahrhundert):

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Zwei der Pfosten sind gemarkt (HK oder HNK?):

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Die Werke - Gehwerk:

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(Fast) Komplett:

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Details der Verzahnungen:

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Der Restaurator Wolfgang Komzak beim Anbringen der (neuen) Pendelfeder:

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Diese Uhr wurde sehr wahrscheinlich im 15. Jahrhundert gebaut und 1687 sowie 1804 erheblich umgebaut.
Nach Meinung von Wolfgang Komzak soll dies die älteste Turmuhr Deutschlands sein. Klar zu erkennen sind noch gotische Merkmale an den Pfosten, wie zb. die Fußform und die Tropfnasen.

Ursus

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Gnomus
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Re: Schriesheimer Turmuhr

Beitrag von Gnomus » Mo 25. Okt 2010, 12:26

Hab ich vom vielen Internet schon 4eckige Augen, oder hat die Uhr 4eckige Lager?
Gruß
Micha

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Ursus
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Re: Schriesheimer Turmuhr

Beitrag von Ursus » Mo 25. Okt 2010, 12:30

Ja, hat sie. Sie hat aber auch runde Lager in (äußerer) Viereckform. Warum?

Ursus

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Re: Schriesheimer Turmuhr

Beitrag von Gnomus » Mo 25. Okt 2010, 12:38

Na, es sieht so aus, als wenn einige Lager auch innen 4eckig wären. Und sowas hab ich noch nie gesehen.
Gruß
Micha

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Re: Schriesheimer Turmuhr

Beitrag von Ursus » Mo 25. Okt 2010, 12:56

Wie oben bereits "zugegeben", das ist tatsächlich so.
Ein bischen über Lager nachgedacht: Bei einer runden Welle (Zapfen) in einem runden Lager ist es doch so, dass der Wellendurchmesser ein kleines bischen kleiner ist als der Duchmesser des Lagers, damit sich die Welle frei drehen kann und keinen Presssitz hat. D.h. Die Welle liegt ja nur unten auf. Ist das Lager nun viereckig, ist es genau so. Die "Seiten" des Lagers verhindern, dass die Welle wandern kann. Oder?

Ursus

walter der jüngere

Re: Schriesheimer Turmuhr

Beitrag von walter der jüngere » Mo 25. Okt 2010, 14:19

Hallo Ursus,

ich will Dir wirklich nicht Deine Fachkompetenz in Sachen Uhren streitig machen. Du hast ganz viel Erfahrung mit Uhren und hast uns schon sehr oft daran teilhaben lassen und kennst Dich hervorragend damit aus, gar kein Zweifel.
Dennoch: Deine Einschätzung, wo die Wellen im Lager am meisten Reibung erzeugen, ist meiner Einschätzung nach wohl eher theoretischer Natur.
Warum? Ich will gern versuchen, diese, meine Meinung zu diesem Thema, nach allen Rügen für meine bislang oft nicht nachvollziehbaren Argumentationen hier für alle Fachleute, aber auch für alle Laien leichter verständlich und nachvollziehbarer gut lesbar zu formulieren.
Im völlligen Ruhezustand liegen die Wellen am unteren Boden des Lagers auf. So weit kann ich Deinen Ausführungen folgen.
Der völlige Ruhezustand ändert sich m.E. aber, wenn Kraft über die Zahnräder übertragen wird.
Diese Kraft führt zu einer - ich nenne es mal - Wanderungsbewegung. Die Welle will nach meinen Erfahrungen der auf sie einwirkenden Kraft ausweichen. Bedingt durch den Drehsinn und die zudem nun wirkenden Hebelgesetze wandert die Welle also dahin, wo die Kraft sie hindrückt. Da die Lager der Welle Halt geben, hört die Wanderungsbewegung da auf, wo der Zapfen der Welle an die Lagerwand drückt, dies geschieht also im Normalfall lange bevor der Zahnradeingriff endet, die Welle aus diesem somit zwanghaftem Druckkraftverhältnis entwischen kann.
Mit diesem letztlich so betrachtet im Belastungsfall also eher einseitigen Druck auf das Lager nützt es sich an dieser besonders druckexponierten Stelle am meisten ab. Dies muß sich weder, oben, unten, noch rechts oder links befinden. Also sich bewegt sich die Welle druckrichtungsbedingt nun nicht unbedingt dahin, wo in diesem Fall sich also die der Welle - nach der zur Debatte stehenden These - nächstgelegenen Lagerwände befinden, also wirkt der von der Welle ausgeübte Druck auch nicht unbedingt auf die unten befindliche Lagerwandung.
Es kann nach meiner Erwägung also durchaus so sein, daß die Welle sich genau in die Ecke bewegen würde, oder oder oder. Es ist also auch möglich, daß die Welle an zwei Flächen des Lagers zugleich Reibung ausübt.

So wie mit meiner sicher nur sehr kleinen Erfahrung beobachten musste, entstehen durch derartige, druckrichtungsbedingte Wanderungsbewegungen, und den daraus erfolgenden Abnutzungen im Laufe der Zeit aus einst (meist) runden Lageröffnungen - ovale Lageröffnungen. Nun gefällt dies den meisten Uhrmachern nur wenig bis bedingt, so daß diese die nun ovalen Lager gern gegen neue Lager, mit runder Lageröffnung austauschen.

Auch frage ich mich mit meinem offensichtlich nur sehr geringem Erfahrungsschatz doch sehr, wie die Ölhaltung bei viereckig gestalteten Lageröffnungen sich bewerkstelligen lassen mag:
Werden die Lager mit Fett geschmiert, so wird das Fett sich zunächst im Lager gleichmäßig zu verteilen suchen. Da die Lageröffnung aber viereckig ist, und somit die Eckbereich aus meiner eingeschränkten Sicht nur sehr wenig vom Lauf des Zapfens tangiert werden dürften, so gehe ich zumindest davon aus, daß sich dort die größten Mengen an Schmiermittel - und Schmutz - ansammeln dürften. Ob dies einer gleichmäßigen Schmierung wirklich förderlich ist, dies werden Menschen mit größerem, weiterentwickeltem Wissen sicher leichter beantworten können. Ich meine, daß es heute nicht nur aus fertigungstechnischen Gründen, also um den Fertigungsaufwand niedrig halten zu können, nur noch Lager mit runden Lageröffnungen zu kaufen gibt.

Es ist in der Tat so, daß auch ich schon solch merkwürdig geformten Lagern - also Lagern mit viereckiger Lageröffnung begegnet bin. Allerdings waren diese beiden Uhren in einem nicht mehr funktionsfähigem Zustand. Auch ging mein mich damals anleitender Meister und nach der Belehrung durch ihn, auch ich, davon aus, daß diese Form der Lageröffnung sich aufgrund gewisser, sich im Laufe der Zeit immer weiter durchsetzenden Erkenntnisse in den heutigen Tagen kaum noch anzutreffen sein dürfte. Bei der damals vorgenommenen Instandsetzung der beiden so vorgefundenen Uhren unterließ der Meister es - sicherlich auch aufgrund seinen eigenen, mir gegenüber geäußerten Bemerkungen folgend, diese Lager so in der Uhr zu belassen. Er tauschte sie gegen Lager mit viereckiger Lageröffnung aus. Er hatte auch kein Verständnis für die historisch korrekte Wiederherstellung des Originalzustands - obwohl ich damals noch davon ausging, daß dies doch das höchste, je zu erreichende Ziel sein müsste.
Nachfolgende Generationen werden sicher ein wohlfeiles Urteil über das Tun des Meisters und meine eher geringwertige Form der Anwesenheit bei demselben zu finden wissen.

Und ebenso bin ich mir sicher, werden dazu noch viele kompetentere Fachleute als meine Wenigkeit hier im Forum, hier im Thread mit viel mehr Wissen noch viele nützliche Erkenntnisse zu diesem spannenden Thema hinzutragen können.

In der Hoffnung, nicht zu Kränkung oder Verdruss Anlaß gegeben zu haben

Walter d. J. (Moderator)

P.S.: Freilich biete ich ehrfürchtig an, diesen Beitrag gern wieder löschen zu wollen, sollte er wider meiner Absicht doch zu Ärgernis Anlaß geben.

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Re: Schriesheimer Turmuhr

Beitrag von Ursus » Mo 25. Okt 2010, 14:36

Hallo Walter!

Deinen Ausführungen konnte ich sehr gut folgen und gebe Dir auch völlig Recht. Auch was die Nachteile viereckiger Lager betrifft. Ich habe mir ebenfalls schon Gedanken an die Ölhaltung gemacht und mich damit beruhigt, dass diese Uhr nur sehr wenig laufen wird.

Was jedoch die Wanderungsbewegungen betrifft, so ist diese und auch vergleichbare Uhren ein Sonderfall: Die Räder sind außerordentlich schwer und werden der Schwerkraft folgend nur unten und an einer Seite aufliegen. Ich denke, dass die von Dir angesprochenen Wanderungsbewegungen vor allem bei leichten Rädern auftreten oder bei Rädern deren Welle senkrecht zur Erdoberfläche steht.

Die Messinglager sind einem Umbau zuzurechnen, wahrscheinlich dem des frühen 19. Jahrhunderts (1804). Warum der damalige Meister viereckige Lager gewählt hat, verstehe ich genauso wenig wie Du. Zumal ich mir vorstellen kann, dass runde Lager mit runden Öffnungen auch damals leichter zu produzieren waren (Einige der Lager sind zwar viereckig, haben aber runde Lagerbohrungen). Könnte es sein, dass diese Lager nur mit Fett gefüllt wurden und die Ecken als Reservoir dienten?

Und was die historisch korrekte Restaurierung oder Konservierung betrifft, dies ist eine Eigenschaft unserer Tage und unserer Kultur. Bei den beiden Umbauten 1687 und 1804 ging es schlicht darum die wieder zum Laufen zu bringen, bzw. sie mit einer neuen Technologie auszustatten (Ankergang).

Meine Bemerkung bezüglich des Kulturkreise bezieht sich darauf, dass ich in China gesehen habe, was dort (teilweise) unter Restaurierung verstanden wird: Alte Farbe wird schlicht durch neue Farbe überpinselt (zumindest an alten Tempeln).

Grüße

Ursus

karlo

Re: Schriesheimer Turmuhr

Beitrag von karlo » Mo 25. Okt 2010, 15:26

Ich halte es fuer denkbar, dass bei bestimmter Last und Dimensionierung von Zapfen und Lager damit etwas weniger Reibung zustande kam.
Was noch denkbar ist, ist dass der Quadratlagerbauer es einfach nur gedacht hat.

Karlo

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Re: Schriesheimer Turmuhr

Beitrag von Gnomus » Mo 25. Okt 2010, 16:39

Hallo Walter & Karlo,
sehr interessant, was Ihr dazu geschrieben habt. Vielleicht ist es am Ende wirklich so, wie Karlo geschrieben hat: "Was noch denkbar ist, ist dass der Quadratlagerbauer es einfach nur gedacht hat."
Wie hier in letzter Zeit oft zu lesen war, hatte die Uhrmacherei vor einn paar hundert Jahren noch nicht viel mit Wissenschaft zu tun. Möglicherweise hat der Uhrenbauer sich eine falsche These ausgedacht oder angenommen. Und so wie sie Ursus beschreibt, erscheint sie einem ja erstmal durchaus plausibel. Vielleicht war es aber auch ein Irrtum, oder auch nicht? Wer weiß?
Im Dampflokbau gab es ähnliche Irrtümer. Zum Beispiel wurden noch im 20. Jhd. Schnellzugloks mit spitzer Rauchkammertür und spitzem Führerhaus ausgerüstet, um so den Luftwiderstand zu verringern.

Aber eins ging ja bis jetzt total unter:
@Ursus: Vielen Dank für die Bilder dieser sehr interessanten Uhr!
Bitte mehr davon ;)
Gruß
Micha

walter der jüngere

Re: Schriesheimer Turmuhr

Beitrag von walter der jüngere » Mo 25. Okt 2010, 16:41

Hallo,

Karlo beschreibt das, was ich mir anfangs auch dachte - entweder hat sich der Konstrukteur bei der Lagergestaltung lange den Kopf zerbrochen - oder er hat es mit diesen Lagern einfach so probiert.

Meine Überlegungen zu derartigen Lageröffnungen sind folgende:
Einerseits gab es damals (15. Jh.) noch relativ wenig Erfahrung bezüglich Lebensdauer von Lagern bzw. Zapfen, dementsprechend könnte sich der Konstrukteur bei der Lagerausführung daher tatsächlich eine Reibungsverminderung erhofft haben.
Anderenseits halte ich diese Theorie der Reibungsverteilung nur für bedingt zutreffend, denn die Reibung kann im Allgemeinen nur durch Minimierung der wirksamen Oberfläche (Reibungsfläche, Reibungswiderstand) erreicht werden. Also durch möglichst günstige Dimensionierung der Zapfen/Lagerverhältnisse, durch Glättung der Oberflächen - Polieren bzw. schmieren.
Aber eher nicht durch Aufteilung einer Reibungsfläche in zwei Reibungsflächen. Höchstens dann, wenn man davon ausgehen möchte, daß der auf der einen Fläche abgetragene Metallspan dann in dem dazwischen befindlichen Hohlraum, (der im besten Fall wenigstens teilweise mit Fett gefüllt ist), 'entsorgt' wird / 'entsorgt' werden kann und damit auf der zweiten Hälfte der Reibungsfläche nicht mehr zu erhöhtem Reibungswiderstand führt.

Die damaligen Uhrmacher waren Schmieder oder Schlosser. Und man muß sich auch die klimatischen Verhältnisse, in denen solcher Uhren liefen, vorstellen:
Im Sommer war es dort durchaus sehr heiß, im Winter sehr kalt. Und die Uhren wurden nicht unbedingt gut wirksam vor Staub und Feuchtigkeit sowie anderen Verunreinigungen geschützt.

Und die Schmiermittel und die Art, wie diese Uhren geschmiert wurden, muß ebenfalls bedacht werden.
Durch die so extreme Bandbreite der klimatischen Faktoren auf der einen Seite, und der konstruktiven Gegebenheiten (eher ungenügende Nachschmierbarkeit der Lager ohne das Werk dafür völlig zerlegen zu müssen) hat man sich offenbar für die "Lager mit Reservoir", also für Lager mit viereckigen Lageröffnungen entschieden.
Dies hat Vor- und Nachteile. Welche überwiegen, ließe sich wenn dann bestenfalls im Labor oder im Langzeitversuch mit Gegenprobe an geeignetem Gegenmodell herausfinden. Oder man akzeptiert - so man die Uhr weiter laufen lassen möchte - einfach die Gegebenheiten. Also im Fall der Fälle auch den erhöhten Verschleiß (der ggf. noch existenten Originalsubstanz).
Oft genug wurden Lager mit viereckiger (oder dreieckiger) Lageröffnung eben durch Lager mit runder Lageröffnung ausgetauscht, oft wurden nachträglich Ölbohrungen angebracht - und die Uhren aufgrund von Modernisierungsarbeiten irgendwann mehr oder minder achtlos beiseite getan bzw. auch gleich verschrottet. Das geschah nicht selten bei Elektrifizierungsmaßnahmen (Aufzug / bzw. gleich komplett elektrisch gesteuerter Zeitanzeige). Aber auch oft schon dann, wenn neue Hemmungen (Übergang von Spindel- zu Ankerhemmung) oder sonstige Kirchenumbauten in größerem Umfang vorgenommen wurden.

Es galt jedenfalls als die Vollendung des Kunstwerkes schlechthin, wenn diese Uhren zumindest einigermaßen die korrekte Zeit anzeigten und über längere Zeiträume störungsfrei liefen.
Oft genug wurde zu diesem Zweck sogar eigens ein 'Uhrmacher' am Hofe bzw. der Stadt gehalten.
In dieser Zeit wurden aus der Praxis heraus all die Erfahrungen gemacht bzw. gesammelt, die dann zur Verbesserung der Uhrmacherei bzw. der Uhren führten.
Klar, daß diese Zeit, diese Uhren also auch Fehlentwicklungen beinhalten.

So kann es durchaus sein, daß die Lageröffnungen anfangs sogar direkt aus dem Rahmenmaterial herausgearbeitet wurden und erst später Messingeinlagen zur Verwendung kamen.

Walter d. J. (Moderator)

P.S.: Als ich mit dem Schreiben dieses Beitrags begann, war der Beitrag von Gnomus noch nicht zu sehen - daher die inhaltlichen Überschneidungen.

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