Anfertigung einer Uhrenzelle aus Glas

Vorstellung von Uhren und Uhrensystemen
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Typ1-2-3
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Anfertigung einer Uhrenzelle aus Glas

Beitrag von Typ1-2-3 » Do 22. Jan 2015, 21:23

Hier soll eine Anfertigung beschrieben werden, die sich eigentlich nicht lohnt, weil der Aufwand der Herstellung im Verhältnis zum Ergebnis viel zu hoch ist. Trotzdem ein interessantes Projekt.

Bei der hier schon beschriebenen Brillie-Einzeluhr

http://www.dg-chrono.info/dg-chrono.de/ ... 144&t=3695

gab es quasi als Zugabe noch eine originale Zelle im Glas, vollkommen eingetrocknet, aber ansonsten noch in Ordnung.

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Die Zelle hatte immerhin noch eine Spannung von 7mV (!), der Zinkmantel war total oxidiert und daher weiß, aber das Glas war noch ganz und ein Schild auf der Zelle datierte sie auf November 1934. Also war die Uhr in etwa 1937 stehen geblieben, bis ich sie erwerben konnte. Scheinbar konnten diese Zellen wieder recycled werden, wenn ich den französischen Aufkleber richtig verstehe. Zumindest sollte wohl die Bohrung im Deckel vor dem Transport mit einem Stopfen verschlossen werden. Weil man so eine antike Zelle nicht unbedingt jeden Tag auf den Tisch bekommt, wäre es ein Unding gewesen, diese zu schlachten und mit einer neueren Babyzelle als Innerei wieder in Betrieb zu nehmen. Andererseits reizte es mich, die Uhr zumindest von außen wieder annähernd original in Betrieb zu nehmen. Daher entschloss ich mich zu einem Nachbau, auch wieder aus Glas. In der Zelle sollte eine Babyzelle als Energiespeicher seinen Platz finden, allerdings von außen unsichtbar.

Das erste Problem war, woher ein passendes Glas nehmen. Diverse Verpackungen im Einzelhandel waren ungeeignet, denn entweder zu groß oder mit falscher Form. Die Zelle durfte schließlich nicht viel größer als 50mm im Durchmesser und 90mm in der Höhe sein, um in die Uhr zu passen. Schließlich bin ich auf die Idee gekommen, Kölschgläser zu verwenden. Diese sind sehr schlank, allerdings viel zu hoch. Der Düsseldorfer wird frohlocken: Ich habe mehrere Gläser köpfen müssen, um ein geeignetes Verfahren zu entwickeln.

Nach den Beschreibungen im Internet jedenfalls funktionierte das nicht:

https://www.youtube.com/watch?v=Dod_ndszTEY

Mit diesem Verfahren habe ich immerhin 4 Gläser zerstört. Dann habe ich einfach ein Glas genommen, in die Drehbank bei langsamer Umdrehung gespannt und einen Schlitz mit einer Diamantfeile eingeschliffen.

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Man sieht, dass mit Wasser gekühlt wurde, sparsam, sonst leidet die Drehbank. Kurz vor dem Durchbruch entfernt man das Glas, dann kann der obere Rand leicht entfernt werden. Wenn man erst mal herausgefunden hat, wie das am besten geht, dauert das Kürzen nur 5 bis 10 Minuten. Erfolgreich war Nummer 6. Da ich aber 24 Gläser für 1 EUR ersteigert habe, war das kein Problem.

Der Vergleich zeigt die Ähnlichkeit der Gläser.

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Das Kölschglas ist nun in der passenden Länge, nur 2,5mm größer im Durchmesser.

Spannend war dann noch das Bohren von 3 Löchern am oberen Rand zur Befestigung des Glases und um die Möglichkeit zu schaffen, die Babyzelle im Innenraum zu wechseln.

Die Herstellung des Deckels mit den Innereien war dann nur noch Routine.

Bild

Das Glas wurde dann von innen silbern und schwarz lackiert, mit einem unscharfen Übergang. So kann die eingefügte Zelle nicht durchscheinen, und das Silber soll einen frischen Zinkmantel simulieren, der sich langsam auflöst. Der Aufkleber war einfach herzustellen und zu drucken, leicht gelbliches Papier hatte ich noch.

Durch die Löcher zusammengeschraubt, sieht die Imitation der ursprünglichen Zelle relativ ähnlich.

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In der Brillie-Uhr sieht die Zelle sehr dekorativ aus, zumal sie auch am unteren Ende zu sehen ist, wenn das Zifferblatt montiert ist. Insgesamt hat sich das Experiment gelohnt, wenn auch nicht zeitlich, da der Aufwand, die Zelle herzustellen, immens war. Erfahrungsgemäß würde aber ein 2. Exemplar schneller gehen und mit einem geringeren Verlust an Kölschgläsern bezahlt werden.

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Frank

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Re: Anfertigung einer Uhrenzelle aus Glas

Beitrag von KleineSekunde » Fr 23. Jan 2015, 22:43

Hallo Frank,

vielen Dank für diesen Bericht! Eine wirklich klasse gelungene Nachfertigung der Batterie!
Typ1-2-3 hat geschrieben:Der Düsseldorfer wird frohlocken: Ich habe mehrere Gläser köpfen müssen, um ein geeignetes Verfahren zu entwickeln.
Schön zu sehen, dass Kölschgläser dann doch für einen guten Zweck einsetzbar sind ;-)

Schöne Grüße

Guido / KleineSekunde

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Re: Anfertigung einer Uhrenzelle aus Glas

Beitrag von petsch » Sa 24. Jan 2015, 08:22

Hallo Frank,
vielen Dank für den Bericht. Die aufwändige Arbeit hat sich gelohnt würde ich sagen. Für uns jedenfalls, weil wir jetzt einen interessanten Bericht darüber gesehen haben ;-)

Zum Trennen von Flaschen hab ich mal einen Bericht gelesen, in dem man eine Schnur um das Glas gewickelt , in Petroleum getränkt und angesteckt hat. Und dann glaube ich in kaltem Wasser abgeschreckt. Ob das aber sicher und immer funktioniert kann ich nicht sagen.

Und als Ostwestfale trinke ich gerne in Köln mal ein Kölsch und in Düsseldorf ein Alt, aber sonst auch ein normales Pils.

Gruß
Peter

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Re: Anfertigung einer Uhrenzelle aus Glas

Beitrag von Typ1-2-3 » So 25. Jan 2015, 13:48

Die Sache mit Kölsch und Alt ist die: Ich habe mal eine Weile in Köln gelebt und dort die verschiedenen Kölschsorten lieben gelernt. Jetzt "muss" ich in Düsseldorf arbeiten, und da bekommt man schon mal ab und an die eher spielerische Rivalität der beiden Städte mit. Ich liebe aber immer noch Kölsch, und mit Alt kann ich so viel nicht anfangen.

Zum Kürzen der Gläser: Ich habe alles mögliche probiert und dabei festgestellt, dass dabei die Gläser zwar geköpft werden, aber nicht präzise genug. Dann muss man den oberen Rand noch ausführlich plan schleifen, wobei es wieder ein großes Risiko ist, dass dann die Kanten des Glases abspringen. Der Rand sieht dann eher abgebissen als geschliffen aus. Dann kann ich lieber alles präzise schneiden und das Glas ist dann sofort perfekt. Ich habe mich selbst gewundert, dass man so ein Glas einfach - mit Gegenspitze - in die Drehbank spannen kann. Das geht dann aber bevorzugt am dicken Glasboden, der verpackt so einiges an Druckspannungen. Und die Gegenspitze muss irgendwie "weich" gelagert sein, daher der Holzstopfen.

Frank

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Re: Anfertigung einer Uhrenzelle aus Glas

Beitrag von KleineSekunde » Mo 26. Jan 2015, 00:06

Hallo Frank,

du hast eine tolle und funktionierende Lösung vorgestellt und Batteriewechsel sind ja auch eher selten. Das Anbringen der benötigten Bohrungen in dem Glas stelle ich mir aber recht kritisch vor. Hier hat es ja geklappt und die Lösung überzeugt!

Daher nur so als Idee: Wäre das Einkleben eines durchsichtigen Plexiglasrings, oben am Glasrand, geformt als Bajonett-Verschluß mit "Nasen", nicht auch eine Option?

Da ja nur das Glas selber getragen werden müsste, würde eventuell auch nur eine Nase auf der Rückseite der Batterie / des Glases mit passendem Schlitz beim oberen Holz- / Korkring ausreichend sein und es wäre somit kein ganzer Ring mit mehreren Nasen beim Einkleben nötig.

Klar, mit nur einer Nase könnte das Glas leicht geneigt sein (Spiel zwischen Glas und oberem Holz- oder Korkring), aber das sollte wohl nicht weiter auffallen.

Aber auch zwei Nasen, links und rechts, mit den entsprechenden Einführungsschlitzen im oberen Bereich der Holz- oder Korkscheibe, wären bei montiertem Zifferblatt wohl "unsichtbar".

Schöne Grüße

Guido / KleineSekunde

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