Wagner Hauptuhr mit Gleichstelleinrichtung

Vorstellung von Uhren und Uhrensystemen
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helsper
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Wagner Hauptuhr mit Gleichstelleinrichtung

Beitrag von helsper » So 10. Apr 2011, 18:36

Zum Funktionsprinzip gilt sinngemäß das Gleiche, was ich vor einiger Zeit über die Siemens-Hauptuhr mit Gleichstelleinrichtung geschrieben habe und braucht daher hier nicht wiederholt werden. Interessant ist aber, welcher Aufwand bei Wagner vorgenommen wurde, um das Ziel zu erreichen.
Die Bilder zeigen, dass auch hier eine Anzahl Zusatzrelais benötigt wurde, die im Kasten verteilt als Einzelbaugruppe an der Rückwand befestigt sind. Dazu gehört sogar ein Summer, der bei Wagner „Brummer“ heißt. Das Werk bekommt additiv noch Hebel, Kontakte und Nockenräder, die auf den Bildern gar nicht alle zu sehen sind. Insgesamt ein gewaltiger Aufwand.
Schaut man sich dann auch noch die Rückwandverdrahtung an so drängt sich hier die Frage auf: sind diese Uhren zur Marmortafel-Zeit vor 1914 gebaut worden oder in den 1940er Jahren?
Die Antwort zeigt auch das Dilemma auf, in dem sich die Fa. Wagner befand. Man baute dort Uhren, die nicht nur präzise gingen, sondern auch für den Uhrenfreund und Sammler eine Augenweide waren. Das ist aber nicht der Sinn und Zweck eines nach kaufmännischen Grundsätzen zu führenden Unternehmens. Der Kunde will kein Glanzstück, sondern die genaue Zeit, und das möglichst durabel und preiswert. Gefräste Messingplatinen sogar für einfache Relaisgrundplatten, gedrehte Schrauben mit eigenem Spezial-Wagnergewinde, rechteckig verlegte Leitungen auf der Rückwand – das sind alles Sachen, die man sich spätestens ab der 1930er Jahre nicht mehr leisten konnte. Wagner konnte oder wollte das lange Zeit nicht glauben, daher ist es erstaunlich, dass die Firma noch bis 1987 durchgehalten hat.
Heutzutage sind die Sammler natürlich froh, wenn sie ein solches „altmodisches“ Stück erwerben können, zumal die Werke sogar von der Konkurrenz als hervorragend eingestuft wurden. Daher mag man bedauern, dass die Firma Wagner/Wiesbaden nicht rechtzeitig auf ein anderes Segment umgestiegen ist und geschlossen werden mußte. Dem Vernehmen nach ist bei der Firmenauflösung sehr viel in den Schrott geflogen, so dass es auch nicht mehr viele Originalunterlagen gibt.
beide 1.jpg
Kasten offen.jpg
Werkdetail 2.jpg
Rück-1.jpg
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karlo

Re: Wagner Hauptuhr mit Gleichstelleinrichtung

Beitrag von karlo » So 10. Apr 2011, 19:08

Da hat halt wohl ein leitender Ing. den Absprung nicht geschafft und keiner hat ihn entsorgt.
Dieses: "Das hat man 1800 auch schon so gemacht" war der Tod vieler Firmen.
Und der Tod vieler Diskussionen hier.

Karlo

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soaringjoy
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Re: Wagner Hauptuhr mit Gleichstelleinrichtung

Beitrag von soaringjoy » So 10. Apr 2011, 20:19

Aus diesen Gründen gingen viele gute und namhafte
Uhrenhersteller den Bach herunter.
Schade, aber den Sammler freut es heute um so mehr! ;)

J.
"tempus nostrum"

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droba
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Re: Wagner Hauptuhr mit Gleichstelleinrichtung

Beitrag von droba » So 10. Apr 2011, 21:23

Hallo Herr Helsper,

danke für Ihren aufschlussreichen Beitrag. Leider sind Sie einer der wenigen "Elektrischen" im diesem Forum, deshalb sind Beiträge über elektrische Uhren leider etwas rar. Lassen Sie sich aber nicht davon abhalten, mal wieder etwas einzustellen!

Was das Verhältnis zwischen Kaufleuten und Technikern in den Fabriken angeht, so war das meist ein unvermeidliches Spannungsverhältnis. Zum Wohle der Firma kann aber der eine nicht ohne den anderen sein. Firmen, die das kaufmännische missachtet haben, gingen unweigerlich ein.

Ein kleines Beispiel: Eine sehr bekannte Uhrenfabrik hat technische Uhren hergestellt, die laufend Modifikationen unterworfen waren. Es gab deshalb auch keine richtige Kostenkalkulation. Für die Preisfindung war als leitender Angestellter ein alter Mechaniker verantwortlich. Noch Anfangs der 70er Jahre hat dieser Angestellte die Kostenkalkulation nach folgendem Motto vorgenommen: Er nahm die fertige Uhr in die Hand, schätzte das Gewicht und bestimmte dann nach dem geschätzten Gewicht den Preis. Die Firma hat so weiter gearbeitet, bis die Banken keine Kredite mehr gaben- dann wurde sie geschlossen.


droba

helsper
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Re: Wagner Hauptuhr mit Gleichstelleinrichtung

Beitrag von helsper » Mo 11. Apr 2011, 18:31

dann möchte ich noch 2 Bilder hinzufügen, die das Thema Wagner abrunden. Das erste Foto zeigt etwas detaillierter die Innereien des Werkes. Da gibt es sogar einen Schlepphebel mit einem Rubinstein.

Übrigens sind bei späteren Wartungsarbeiten seitens der Bahn die Uhren etwas entfeinert worden. Das Holzklotz als Kontaktträger an den Spulen wurde durch eine Pertinaxplatte ersetzt und den Kabelbaum findet man wahrhaftig im Inneren des Kastens.
Das zweite Bild zeigt eine schöne Ausführung im Uhrenmuseum von Dirk Röder in Chemnitz, welches hoffentlich bald wieder zu besichtigen ist. Diese Uhr vom Hbf Dresden hat ein durchsichtiges Zifferblatt, damit man wenigstens etwas von den Innereien sehen kann.
innen 2.jpg
neu 066.jpg
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