Das Ende der deutschen Uhrenindustrie

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Thorsten Schreiber
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Das Ende der deutschen Uhrenindustrie

Beitrag von Thorsten Schreiber » Do 31. Jan 2013, 13:26

Liebe Uhrenfreunde,

ich möchte heute einmal folgendes Thema zur Debatte stellen:

Im Vorwort der 2012er Ausgabe des Lexikons der Deutschen Uhrenindustrie schreibt der Autor vom "Ende der deutschen Uhrenindustrie" nach 1990. Die Auswirkungen der Quarzkrise sind ja bekannt, aber ich bin eher der Meinung, dass die deutsche Uhrenindustrie gerade nach 1990 lebendiger denn je ist. Es gibt ja seitdem immer wieder neue Firmen oder Wiedergründungen.

Was meint ihr dazu?

Viele Grüße,
Thorsten

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droba
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Re: Das Ende der deutschen Uhrenindustrie

Beitrag von droba » Do 31. Jan 2013, 22:26

Hallo Thorsten,

Interessante Frage, aber es gibt zu dieser Frage eindeutige Untersuchungen. Zum Beispiel der Artikel von Dr. Johannes Graf vom Deutschen Uhrenmuseum in Furtwangen mit dem Titel: "Von Hundert auf Null in 40 Jahren". (abgedruckt im Jahrbuch der DGC 2011).

Aus diesem Artikel einige Zahlen:

Zahl der Beschäftigten in der Uhrenindustrie in Baden Württemberg (Groß- und Kleinuhren):

1959 = 31 382 Mitarbeiter

1979 = 17 789 Mitarbeiter

1989 = 8947 Mitarbeiter

2009 = 1369 Mitarbeiter


droba

Wynen
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Re: Das Ende der deutschen Uhrenindustrie

Beitrag von Wynen » Fr 1. Feb 2013, 09:36

Hallo droba,
ich halte dieses Thema aber schon noch für diskussionswürdig. Deshalb habe ich den von Dir erwähnten Artikel auch nochmal rausgesucht und mit dem gleichen Interesse wie vor einem Jahr wieder gelesen.

Interessant ist dabei vielleicht ein Vergleich mit anderen europäischen Ländern, z.B. der Schweiz. Dort wurde ja vor der Quarzuhrkrise auch ein Großteil der Weltproduktion von Armbanduhren gemacht. Heute kommen alle (na ja, fast alle) Uhren aus China. Die Schweiz ist aber trotzdem in Wert statt Stückzahl gerechnet, wieder die führende (oder eine der führenden) Nationen geworden.

Ist sowas auch in Deutschland möglich? Deutschland war ja der weltweit führende Hersteller von Großuhren. Deren Bedeutung hat aber dramatisch abgenommen und das Produkt ist fast zu einem Nischenprodukt verkommen. In diesem Segment Weltmarktführer zu werden, ist evtl. möglich, aber bedeutungslos. Es ist zwar schön zu sehen, dass es wieder eine kreative Szene von Armbanduhrherstellern in Deutschland gibt, aber ist stelle mal die Frage, ist die wirklich soviel anders (besser, größer) als in anderen europäischen Ländern?

Hartmut

Thorsten Schreiber
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Re: Das Ende der deutschen Uhrenindustrie

Beitrag von Thorsten Schreiber » Fr 1. Feb 2013, 12:28

Hallo droba,

vielen Dank für die sehr interessanten Informationen. Ich denke, wir sollten uns aber nicht nur auf Baden-Württemberg beschränken. Uhrmacher gab und gibt es doch auch in anderen Regionen Deutschlands.

Viele Grüße,
Thorsten

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soaringjoy
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Re: Das Ende der deutschen Uhrenindustrie

Beitrag von soaringjoy » Fr 8. Feb 2013, 21:16

Der Bereich Baden-Württemberg war nun einmal das historisch gewachsene
deutsche Uhrengebiet an sich, spricht man von Großuhren.
Es war gerade die Schwarzwaldregion, die sich während 300 Jahren schließlich zu
weltweitem Ruf entwickelte und die größte Uhrenindustrie der Welt hervorbrachte.

Natürlich gab es auch andere deutsche Regionen mit nennenswerter Uhrenindustrie
- und nicht nur die Freiburg, Schlesien, Gegend -
doch reichten diese nie an die Schwarzwälder heran; vor 1850 schon gar nicht.

Augsburg, Nürnberg, das Bergische Land, Westfalen und andere Uhrengebiete spielten
zwar eine aus historischer Sicht wertvolle Rolle, waren aus Sicht der Verbreitung gesehen,
doch eher in einer nachrangigen Rolle.

Auch Kleinuhren spielten in Deutschland eher eine Nebenrolle; bei den Taschenuhren kam man
nicht an die Marktstellung Schweizer heran, bei den AUs war es vielleicht ähnlich, das weiß ich
nicht so genau. Wohlgemerkt ich spreche von der Masse der Produkte, die eher nur Mittelmaß
erreichte und nicht von einige wirklichen Qualitätsprodukten wie z.B. aus Glashütte.
Deren Stückzahlen spielten jedoch auf dem Weltmarkt lediglich eine marginale Rolle.

Was das Großuhren-Segment heute betrifft, tja, wen haben wir da noch?
Hermle, ja.
Kieninger ist Norman Miller.
Sattler, ja.
Hubert Herr baut auch noch Kuckucksuhren, wohl wahr.
Hier und da noch einen Exoten wie Naeschke.
Nicht zu vergessen den "Museumswecker" vom Förderkreis Lebendiges Uhrenindustriemuseum,
Villingen-Schwenningen (Wartezeit 2 Jahre+).

Alles nur noch ein Tropfen auf dem heißen Stein im Gegensatz zu den früheren Zeiten.

Welche echten Hersteller von Kleinuhren haben wir noch?
Wo Kienzle draufsteht ist China (-Schrott) drin, wo Junghans draufsteht ist vielleicht
Seiko drin (?)
Der Nomos Name wurde auch neu belegt und hat mit der alten Firma m.W. nichts mehr
zu tun (ähnlich Austin Mini / BMW Mini).
Gut, es gibt noch die reinen Einschaler mit Designernamen.

Nein, auch bei den Kleinuhren haben die Deutschen damals die Zeit des Umbruchs verschlafen
und sind (im Gegensatz zu den Schweizern) erst jetzt langsam wach geworden.
Ich kann nur hoffen, dass sie wieder die Kurve kriegen, denn auch in Schramberg werden mittlerweile
wirklich schöne und gute AUs des mittleren Preissegments gebaut.

Ach so, noch ein Nachsatz.

Tagesproduktion an Uhren/Uhrwerken

Kienzle 1937: ca. 17300 St. (Quelle: Kienzle 1939)
Junghans 1936: ca. 52000 St. ohne Rüstung (Quelle: Stadtmuseum Schramberg)

Das meint Hans-Heinrich Schmid im Lexikon mit Uhrenindustrie. ;)

Jürgen




Jürgen
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Re: Das Ende der deutschen Uhrenindustrie

Beitrag von Typ1-2-3 » Fr 8. Feb 2013, 22:13

Ich kann das zwar überhaupt nicht mit Zahlen belegen, aber ich habe Ende der 70ger bis in den Anfang der 80ger doch einiges an Kleinuhren repariert. Und recht häufig kamen da die Deutschen drin vor; PUW, Durowe waren zwar keine hochwertigen Uhrwerke, aber doch ordentliche Mittelklasse aus Pforzheim. Dann gab es noch Junghans, und ab und zu auch Kienzle. Diehl war ein Nischenhersteller, ebenso Mauthe, jedenfalls bei den Kleinuhren. Ich würde von heute aus schätzen, dass jede 10. bis 20. Uhr, die ich damals repariert habe, aus Deutschland kam. Damals waren die Japaner hier seltener, also Citizen oder Seiko, erst recht gab es nur ganz selten die Billigheimer-Quartzuhren.

5 bis 10 Jahre später sah das schon ganz anders aus: Mit dem Anfang der Quartzuhrentechnik war die Herrlichkeit in Deutschland vorbei, danach gab es noch einige PUW-Quartze und einige Junghanse. Aber das war nicht die Masse mehr.

Frank

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Re: Das Ende der deutschen Uhrenindustrie

Beitrag von soaringjoy » Fr 8. Feb 2013, 22:28

Na klar, Frank, noch in den 1970er Jahren bekam doch jeder zumindest die berüchtigte
333er Gold Konfirmationsuhr. ;)
Meine war "nur" eine Dugena mit Plastikglas...., da fiel das Werk immer raus.

Ich denke schon, dass es repräsentative Zahlen gibt, gerade auch für den Bereich
Kleinuhren.

Grundsätzlich jedoch gab es zwischen Klein- und Großuhren ganz unterschiedliche
Entwicklungsphasen - untergegangen ist die Chose dann gemeinsam.
Die Seiko, Citizen und Co. Schwemme kam so gegen Ende der 1970er, IMHO.
"tempus nostrum"

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Re: Das Ende der deutschen Uhrenindustrie

Beitrag von petsch » Fr 8. Feb 2013, 22:39

Ich denke mal, Thorsten denkt an die vielen kleinen Armbanduhrhersteller, die es doch jetzt wieder in allen Ecken Deutschland gibt.

Aber im Lexikon geht es um die Uhrenindustrie mit ganz anderen Produktionszahlen, hat Jürgen ja auch schon geschrieben.

Diese kleinen Armbanduhrmacher sind doch n Wirklichkeit kleine Ateliers mit ganz wenigen Uhrmachern wenn nicht Einzelkämpfern.

Gruß
Peter

Thorsten Schreiber
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Re: Das Ende der deutschen Uhrenindustrie

Beitrag von Thorsten Schreiber » Sa 9. Feb 2013, 01:09

@Jürgen:

Vielen Dank für die ausführlichen, äußerst interessanten Informationen. Nur würde ich Nomos alt/Nomos neu nicht mit Mini alt/Mini neu vergleichen. Der neue Mini ist immerhin noch erkennbar ein Mini, nur eben weiterentwickelt. Nomos neu aber hat mit Nomos alt nichts mehr gemein (außer der Prozessiererei).

Aber Peter hat schon recht, ich hatte schon auf die Renaissance der Armbanduhren-Hersteller abgezielt. Auch wenn sie noch ein zartes Pflänzchen ist, es wird aber schon kräftig gegossen, finde ich. Und es muss ja nicht immer Massenware sein...

Viele Grüße,
Thorsten

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Re: Das Ende der deutschen Uhrenindustrie

Beitrag von soaringjoy » Sa 9. Feb 2013, 22:55

Thorsten reiz mich nicht, sonst halte ich Dir eben Triumph / Triumph dagegen.
Die Motorräder meine ich. :D

Aber gut, wo wird die Grenze gezogen zwischen Uhrenhersteller, Uhrenmanufaktur,
oder Uhreneinschaler - in Bezug auf AUs?
Wer produziert denn überhaupt noch seine eigenen Werke?

J.
"tempus nostrum"

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