Deutsche Stutzuhr mit viel Geschichte dahinter.

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Grassi
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Deutsche Stutzuhr mit viel Geschichte dahinter.

Beitrag von Grassi » So 12. Nov 2023, 20:50

Hallo Forum,

ich hab vor einem Jahr eine interessante Uhr gekauft, sie war als 'Holz Kamin Uhr mit Pendel Fadenaufhängung' beschrieben und kostete keine 200 Euro.
Fiedler-0.jpg
Und obwohl so Uhren von der Mitte des 19 Jhdfts. mir eigentlich nicht besonder gefallen mit ihrer ganzen Schnörkeligkeit, hab sie ich doch gekauft, wahrscheinlich weil ich als Möbelmensch den Kasten in maßstabsgerechter und sehr detailtreuer Form eines typischen Charles-Dix-Sekretärs um 1840 und wirklich fein gemachten Intarsien doch ganz gut fand.

Diese Zeit hat in Frankreich sehr charakteristische Möbel und Uhren hervorgebracht, typisch sind die sehr feinen Intarsien, meist Ahornholz mit Amaranth oder wie hier mit Palisander kontrastierend eingelegt, sowie eine sehr gute handwerkliche Ausführung. Anscheinend strahlte diese Mode auch nach Deutschland, wo dann ein Uhrmacher in Zusammenarbeit mit einem fähigen Tischler und vermutlich einem zugekauften österreichischen Rohwerk diese Uhr schuf.

Die erste Überraschung war dann eine sehr schöne fette Gravur auf der Rückseite der Platine:
Elias Fiedler a Kronach No. 24
Fiedler-2.jpg
Sowie ein völlig unverbasteltes Werk mit 8 Tagen Laufdauer und sogar noch den Stellungen für die Federn auf der Rückseite.
Das Werk wird wahrscheinlich eher ein Wiener Werk sein, die Schlagwerksauslösung sieht schon ziemlich danach aus,
Fiedler-3.jpg
außerdem hat die Uhr eine typische Wiener Lünette mit Scharnier rechts und mit der Reglage über der 12 und den Abstellern für die beiden Schlagwerke.
Fiedler-4.jpg
Am Werk war außer einer Reinigung nichts zu tun, so forschte ich dann weiter.

Die Rückwand war aus zwei dünnen Holzstärken zu einem Resonanzboden verleimt, in dem man durch ein Schallloch eine Signatur sehen, aber nicht komplett lesen konnte.
Fidler-5.jpg
Und es gab unterhalb der Uhr einen Boden, der ein kleines Abteil für ein leider nicht mehr vorhandenes Walzenspielwerk bildete:
Fiedler-6.jpg
Man sieht noch die Montagelöcher und das Loch für den Aufzug im Boden, sowie am Uhrwerk den Auslösehebel fürs Spielwerk.
Fiedler-7.jpg
Aber das Werk fehlte, war wohl wegen seiner schönen Melodie irgendwann mal ausgebaut worden...

Jetzt gings an die Forschung nach Herrn Fiedler, und ich habe mit Glück einiges gefunden zu ihm:

Im Abeler: "Heinrich Fiedler Kronach Uhrmacher, erw. 1754, Reparatur Turmuhr Vierzehnheiligen" (bei Bad Bad Staffelstein)
Also kann Elias dessen Sohn, vermutlich aber eher der Sohn dieses Sohnes gewesen sein, zeitlich liegen ja ca. 90 Jahre zwischen der Erwähnung bei Abeler und der Uhr von Elias Fiedler um 1840-50.
Dann gibt es auf der Resonanzrückwand noch zwei mit Tusche aufgemalte Rep.-Nummern und eine Bleistift-Rep.-Notiz:

1893 Hermann Ott sen.
8729 Gossmannsdorf 99
Durch repariert 2.-5.2. 1971

1893 könnte gut das Geburtsjahr von Hermann Ott sein, und Gossmannsdorf liegt bei Hofheim in Unterfranken. Dieser nur ca. 50 Jahre zurückliegenden Reparatur ist sicher auch der gute Zustand des Werks zu verdanken.

Die nicht komplett lesbare Inschrift innerhalb der Resonanzrückwand ließ mir dann keine Ruhe, und ich habe die beiden dünnen Fichtenbrettchen vorsichtig voneinander getrennt, und konnte dann lesen:

Adam Riegel in Bamberg.
Am 18 Octber 1842


Das ist der Bamberger Tischlermeister Adam Riegel. Man findet ihn nachweislich 1833-1859 in Bamberg.
1833 als belobigter Teilnehmer der Gewerbeausstellung im Fränkischer Merkur, Nro. 198 vom Mittwoch, 17. Juli 1833: "Ziffer III: Gewerbmeister, welche öffentlicher Belobigung würdig sind: Adam Riegel, Schreinermeister"
Sodann in der Beschreibung des ersten Theresien-Volksfestes zu Bamberg 1833 bei Johann Casimir Dresch: "Adam Riegel, Schreinermeister."

Sein Haus findet sich auch im "Verzeichnis sämtlicher Gebäude u. Hausbesitzer der Stadt Bamberg 1841" (Bavaricon 4575e): "Leßengäßchen 1001a Riegel, Adam, Schreinermeister"
Und es fanden sich noch weitere Details zu seinem Leben:
Tagblatt der Stadt Bamberg, No. 230 vom Dienstag, den 23. August 1859:
"Bekanntmachung:
Da ich schon seit einigen Jahren mich in kränklichen Umständen befinde, sowie vorgerückten Alters wegen in meinem Geschäfte gehindert und geschwächt fühle, so finde ich mich veranlaßt unter dem Heutigen einem hochverehrten Adel und verehrungswürdigen Publikum gefälligst zur Anzeige zu bringen, dass ich einem geprüften Geschäftsführer, welcher schon 4 1/2 Jahre in dem Geschäfte der Schreiners-Witwe Ströhle fungiert hat, die Leitung meines Geschäftes übertragen habe, und auch Rechnungen sowie Zahlungen an ihn verabfolgt werden dürfen.
Bamberg, den 17. August 1859,
Adam Riegel, Schreinermeister im Leßengässchen. "

Ich führe das so detailliert auf, da es ziemlich einmalig ist, so viele Informationen zum Uhrmacher, dem Tischler des Kastens und auch den räumlichen Zusammenhängen der Beteiligten zu finden, alle arbeiteten recht nahe beieinander:
Von Bamberg, Wohnort von Adam Riegel nach Kronach, Wohnort von Elias Fiedler sind es ca. 60 km, und von da nach Bad Staffelstein, wo Vater Fiedler die Turmuhr des Klosters Vierzehnheiligen repariert hat ca. 32 km.

Leider kann ich nur vermuten, dass das verlorene Spielwerk entweder aus Österreich oder aus der Schweiz kam, dem Zentrum für solche Werke. Da aber vermutlich Rohwerk und Lünette aus Österrreich kamen, könnte das Spielwerk ebensogut von dort bezogen worden sein, Wien und Prag waren ebenso Zentren der Fertigung solcher Walzenspielwerke.
Ich ärgere mich noch heute, dass ich gezögert habe, eine potthässliche Portaluhr bei Ebay nicht für kleines Geld gekauft zu haben, die genau solch ein Spielwerk im Sockel hatte:
Spielwerk.jpg
Es reizt mich noch heute sehr, den Klang solch eines Spielwerks in der Uhr mit dem wirksamen Resonanzboden zu hören.
Aber so oft wird es solche Werke nicht geben, zumal man unbedingt den horizontalen Schnuraufzug anstatt des Schlüsselaufzugs für den Einbau braucht. Ich halte mal weiterhin die Augen offen. Oder wenn ein Leser eines hat, gerne PN...
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Bernhard J
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Re: Deutsche Stutzuhr mit viel Geschichte dahinter.

Beitrag von Bernhard J » Mo 13. Nov 2023, 11:01

Boah, was ein grandioser Fund! Signierte Gehäuse sind ja nicht nur rar, sondern auch Beleg für eine meist herausragende Arbeit. Und Deine Recherchen haben ja auch faszinierende weitere Ergebnisse gebracht.

Ich bin total neidisch! Und zwar nicht nur wegen des Preises ;)

Grassi
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Re: Deutsche Stutzuhr mit viel Geschichte dahinter.

Beitrag von Grassi » Sa 18. Nov 2023, 11:38

Hui, dass in diesem Forum sooo viel los ist, hätte ich nicht erwartet...

Dank dir Bernhard, und ja, obwohl mir die Uhr wegen ihrer Verspieltheit nicht so gut gefällt, finde ich die Geschichte dahinter echt faszinierend.

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Bernhard J
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Re: Deutsche Stutzuhr mit viel Geschichte dahinter.

Beitrag von Bernhard J » Mo 20. Nov 2023, 12:05

Grassi hat geschrieben:
Sa 18. Nov 2023, 11:38
... obwohl mir die Uhr ... nicht so gut gefällt ...
Sag Bescheid, wenn/sobald Du sie los werden willst ... 8-) :D

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