Anonyme französische Portaluhr, wohl um 1860

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Bernhard J
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Anonyme französische Portaluhr, wohl um 1860

Beitrag von Bernhard J » Mi 8. Nov 2023, 18:10

Hier eine Präzisions Portaluhr. Scherenhemmung mit Feinregulierung der Scherenweite, Zentralsekunde, Rost-Kompensationspendel (funktional, kein "fake") mit regulierbarem Abfall, Schneidenaufhängung, Viertelstundenschlag auf zwei Glocken. Kurios, dass eine solch hochwertige Uhr nicht mit irgendeiner Signatur versehen wurde.

Beste Grüße, Bernhard
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Grassi
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Re: Anonyme französische Portaluhr, wohl um 1860

Beitrag von Grassi » Mi 8. Nov 2023, 23:34

Tja, eine typisch hochwertige französische Uhr Mitte des 19. Jhadts, guter Standard, feines Uhrwerk, und wahrscheinlich war der Uhrmacher auf dem Zifferblatt mit einer nicht eingebrannten Verkäufer-Signatur mal vorhanden.
Sowas sind die Folgen einer früh hochentwickelten Zuliefererindustrie wie bei vielen französischen Pendulen erkennbar, der Uhrmacher war nur noch der Verkäufer und Namensgeber der von ihm verkauften Uhren, Bronzen, Gehäuse, Zeiger, Zugfedern, Zifferblätter, Triebe, Räder und viele andere Zutaten kamen von auf deren Herstellung spezialisierten Handwerkern.
Ab Mitte des 19. Jhdts bezogen offenbar Uhrmacher auch komplette, fertige Uhrwerke von Zulieferern, ließen nur noch von einem
Zifferblattmaler ihre Signatur mit Tusche aufs Blatt aufmalen und damit war die Uhr fertig.
Oft war bei französichen Pendulen das Uhrwerk nur noch notwendiges Beiwerk zu aufwendigen Gehäusen, standardisiert und beliebig austauschbar in Gehäusen, die oft ein -zigfaches der Bronzen kosteten, in denen diese steckten.

Bei dieser Uhr war das Gehäuse sicher nicht der teuerste Teil der ganzen Uhr, aber ab Mitte 1850 war die halbindustrielle Fertigung soweit fortgeschritten, dass nur noch wenige Schritte nötig waren, um Massenherstellern wie Japy Freres den Weg zur Massenherstellung zu ebnen.

Daraus resultiert aber auch, dass bei solchen Pendulen oft der Uhrmacher von Zifferblatt weggewischt oder -geputzt wurde und wir uns die Frage stellen: warum hat der Uhrmacher sein besonderes Werk nicht signiert?

Vermutlich hat der Uhrmacher hier ein Standarwerk komplett fertig bezogen und seine Spezialität, ein Kompensatiospendel dazugefügt und sich so der Moder der Mitte des 19. Jhdts angepasst.

steffl62
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Re: Anonyme französische Portaluhr, wohl um 1860

Beitrag von steffl62 » Do 9. Nov 2023, 08:29

Ich denke nicht das das ein Standardwerk ist. Alleine die Scherenhemmung spricht dagegen aber auch die Ankerbrücke mit der massiven Schneidenaufhängung für das Pendel oder die aus dem vollen gearbeitete Halterung für die Glocke ist alles Andere als Massenware. Eine wunderschöne Kaminuhr von ganz feiner Qualität. Gratulation zu dem Stück!

LG Christian
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Bernhard J
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Re: Anonyme französische Portaluhr, wohl um 1860

Beitrag von Bernhard J » Do 9. Nov 2023, 10:09

Ich vermute auch, dass das Werk zumindest teilweise sozusagen händisch gefertigt wurde. Allerdings wird möglicherweise auf ein fabrikmäßig hergestelltes Rohwerk zurück gegriffen worden sein. Das aber auf den Platinen keine Punzen eines der bekannten industriellen Hersteller aufweist.

Ob mal auf dem Ziffernblatt eine nachträglich aufgemalte Signatur war, läßt sich leider nicht mehr herausfinden, es sind jedenfalls keinerlei diesbezügliche Spuren mehr vorhanden.

Mir persönlich gefällt das vergleichsweise "reduzierte" Design des Gehäuses besonders gut, aber das ist natürlich Geschmackssache :D . Das macht es eher zu einer "Technikeruhr" und nicht (vordergründig) zu einem Dekorationsobjekt.

Beste Grüße, Bernhard

Grassi
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Re: Anonyme französische Portaluhr, wohl um 1860

Beitrag von Grassi » Fr 10. Nov 2023, 00:23

Hallo Bernhard, ich stimme mit dir überein, dass diese Uhr auf einem Rohwerk beruht, das so von einem Spezialisten geliefert wurde. Selbst das Pendel und die Aufhängung sind vermutlich zugekaufte Furnituren, der Uhrmacher war um diese Zeit kurz vor der industriellen Massenfertigung meist nur noch ein Zusammenbauer weitgehend fertiger Bestandteile.
Die sehr guten Kapitelle sind feine vergoldete Güsse, die weder der Tischler noch der Uhrmacher fertigen konnten, sondern wie fast alle Teile das Werk spezialisierter Zulieferer, hier wahrscheinlich des Uhrkastenmachers, der mit ihnen sein Gehäuser nach der jeweilgen Moder fertigte und dann an den Uhrmacher lieferte.
Wenn du mal die Auktionen bei Druot oder Interencheres beobachtest, wirst du fast täglich eine solche Uhr sehen, die über den Durchschnitt der tausenden von Pendulen herusragt, aber selbst dabei Massenware ist.
Heute sind mit dem Suchbegrif Pendule ca. 1200 Lots zu finden, eine schier ungalubliche Menge!

In Frankreich gab es im 19. Jhdt tausende von Uhrmachern, die letztlich nur zugekaufte Teile von spezialisierten Handwerkern zusammnbauten, dann noch ihren Namen aufs Zifferblatt malen ließen und die ganze Uhr damit dann verkauften.

Ich würds mal mit UV-Licht auf dem Zifferblatt versuchen, mnchmal hast du Glück was zu finden, aber meist auf Email nicht, eher auf lackierten oder den vergoldeten Massingblättern der Charles-Dix-Zeit.

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Bernhard J
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Re: Anonyme französische Portaluhr, wohl um 1860

Beitrag von Bernhard J » Fr 10. Nov 2023, 09:38

Ja, die Hersteller dieser Uhren waren in aller Regel eher "Zusammenbauer", als Uhrmacher im eigentlichen Sinne, die Fertigungstiefe war nicht besonders hoch. Aber auch nicht notwendigerweise null, im vorliegenden Fall vermute ich, wie Christian, einen gewissen Grad einer uhrmacherischen Fertigstellung.

Das mit dem UV Licht muss ich mal ausprobieren, danke für diesen Tipp.

Beste Grüße, Bernhard

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