Ein Marinechronometer mit einer besonderen Unruh!

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Urban
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Ein Marinechronometer mit einer besonderen Unruh!

Beitrag von Urban » Di 16. Jul 2013, 13:59

Vor einigen Jahren ist ein Marinechronometer, gezeichnet Wildschiödtz, bei mir angeschwemmt worden.

Wildschiödtz war Däne. Genaueres zu seiner Vita ist nachzulesen bei John Knudsen in seinem Buch zu den Jürgensens, welches seit kurzer Zeit auch auf Englisch verfügbar ist.

Das Chronometer wurde wohl zwischen 1840-1860, eher gegen 1860 gebaut. Ganz ungewöhnlich ist die Konstruktion der Unruh, die ich in der Form noch nie gesehen habe. Wildschiödtz war nicht irgendein Uhrmacher. Er hat ausser bei den Jürgensens auch einige Jahre für Winnerl in Paris gearbeitet. Deshalb sollte man ihn auch im Chronometerbau für erfahren halten können. Er war also ein erfahrener Meister, der sich beim Bau dieser aussergewöhnlichen Unruh etwas besonders gedacht haben muss, aber was?

Ich möchte also eine kleine Diskussion darüber entfachen, was einen erfahrenen Meister bewogen haben könnte, eine Sonderkonstruktion zu verwirklichen, wo es doch zu der Zeit schon "Normalunruhen" gab, die ausreichende bis hervorragende Gangergebnisse erbrachten. Ich habe zwar eine Idee, konnte sie leider nicht, bzw. noch nicht verifizieren.

Das Instrument befindet sich derzeit in sehr gutem Zustand und zeigt seit einigen Wochen gute Ergebnisse.

Aus dem anhängenden Bild ist sofort ersichtlich, dass die Massegewichte nicht wie üblich auf dem Unruhreif aufgesattelt sind, sondern einen eigenen (verdrehbaren) Steg besitzen. Die Gewichtchen sind mittig mit einem Sackloch ersehen und sitzen frei drehbar auf einem Stift in Verlängerung des Steges. Der Kontakt mit dem Unruhreif wird durch eine winzige buckelige Erhöhung auf der Stirnseite der Gewichtchen hergestellt. Ein minimaler Anpressdruck am Unruhreif ist durch kleine Spiralfederchen sichergestellt, die sich einerseits im Sackloch andererseits gegen die Stirnseite des Steges abstützen.
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petsch
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Re: Ein Marinechronometer mit einer besonderen Unruh!

Beitrag von petsch » Di 16. Jul 2013, 18:40

Hallo Urban,
zuerst einmal auch hier öffentlich herzlich Willkommen im DGC-Forum.

Vielen Dank, dass Du uns diese interessante Uhr vorstellst.

Es geht hier bei dieser aussergewöhnlichen Konstruktion ja um die Temperaturkompensation, aber ich habe mich leider noch nicht sehr intensiv mit der Technik der Chronometer beschäftigt, um auf Anhieb einen Verdacht zu haben, warum Wildschiödtz diese Konstruktion gewählt hat.
Es hat ja etliche Versuche gegeben, die Temperaturkompensation zu verbessern. Auch mit Hilfskompensationen. Aber hier sehe ich so schnell jetzt keinen Vorteil.
Ist die übrige Hemmungskonstruktion normal ? Also ist es eine normale Federchronometerhemmung ? Welche Form hat die Spirale (ich meine eine normale Turmspirale zu sehen) ?

Wenn ich Deine Beschreibung richtig verstanden habe, sitzen die Gewichte sozusagen lose , nur mit Federdruck an den Unruhreif gepresst ?

Falls Du noch andere Fotos, auch der ganzen Uhr hast, und auch zeigen möchtest, würde uns das sicher auch sehr interessieren.

Ich bin mal gespannt, ob jemand anderem etwas interessantes zu dieser Konstruktion oder zur ganzen Uhr einfällt.

Gruß
Peter

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wahli76
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Re: Ein Marinechronometer mit einer besonderen Unruh!

Beitrag von wahli76 » Di 16. Jul 2013, 18:44

Hallo Urban,

willkommen im Forum. Du hast ja gleich einen sehr interessanten Erst-Beitrag geliefert! Kannst du auch noch andere Bilder von dem Uhrwerk einstellen? Mich würde z.B. auch das Zifferblatt interessieren.

Viele Grüße

Kurt

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Typ1-2-3
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Re: Ein Marinechronometer mit einer besonderen Unruh!

Beitrag von Typ1-2-3 » Di 16. Jul 2013, 21:46

Ich habe mich schon mal - wenigstens ansatzweise - mit Wärmekompensationen beschäftigt. Gewichte bringen da einen Vorteil, weil die den sekundären Wärmefehler kleiner machen, jedenfalls gegenüber Schrauben. Aber diese Konstruktion bietet auf den zweiten Blick nur Nachteile: Selbst wenn man die Gewichte einfachst auf dem Unruhreif nach vorne oder hinten verstellen kann (Wäre ein Vorteil, und ich gehe davon aus, dass man die Gewichte durch eine Art Reibungskupplung auf der Unruhwelle auf dem Reif nach vorne oder hinten versetzen kann und dass das recht einfach geht, eventuell sogar mit Feinstellung), hat die Konstruktion den ganz klaren Nachteil, dass die Gewichte den Reif nur berühren. Dort - an der Berührungsstelle - findet immer Reibung statt. Das geht gar nicht anders. Und an der Reibungsstelle daher auch Verschleiß, der unnötig ist. Dort gibt es also Abrieb, wenn auch vielleicht nur minimal. Aber dadurch verstellt sich die Kompensation.

Vielleicht hat sich der Erbauer den Vorteil versprochen. Und das ist dann nicht weiter verfolgt worden, weil die Nachteile überwogen.

Bitte mache mal ein Bild vom Unruhreif, aber von der Seite, so dass man die Arme sehen kann, auf denen die Gewichte befestigt sind. Kann man diese Kupplung oder Verstellungsmöglichkeit der Arme erkennen?

Frank

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Ursus
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Re: Ein Marinechronometer mit einer besonderen Unruh!

Beitrag von Ursus » Mi 17. Jul 2013, 09:54

Hallo!

Eine interessante Konstruktion ist es allemal.

Der Vorteil der Gewichte innen wäre ein kleinerer Durchmesser der Unruh. Dies kann hier aber nicht der Grund sein, denn die Regulierschrauben sind ja außen befestigt.

Mal davon ausgehend, dass die Stege auf denen die Gewichte sitzen zwar verdrehbar aber ansonsten fest mit der Speiche der Unruh verbunden sind, entsteht hier keine Reibung durch die Schwingungen der Unruh, da die Gewichte mitschwingen.

Der einzige Vorteil, den ich sehe ist, dass die Veränderung der Unruharme, also deren temperatur-bedingte Ausdehnung, bzw. Zusammenziehung nicht durch die Gewichte behindert oder verändert wird, da die Gewichte nur durch Federdruck an den Unruharmen anliegen.

Vielleicht liegt aber der "Vorteil" auch darin, dass durch die Verdrehbarkeit der Stege die Position der Gewichte "optimiert" werden kann.

Ursus

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Re: Ein Marinechronometer mit einer besonderen Unruh!

Beitrag von petsch » Mi 17. Jul 2013, 12:13

Den Vorteil, den ich bei dieser Konstruktion mit auf der Unruhwelle drehbaren Stegen und Gewichten, die darauf frei hängend gegen den BiMetal--Reif gedrückt werden, sehe, ist, dass sich immer beide Gewichte gleichzeitig bewegen, wenn man sie verschieben will.
Wogegen auf dem Reif befestigte Gewichte einzeln verschoben werden müssen. Das erscheint mir als Laie hier der Vorteil bei der Temperaturregulierung zu sein. Insofern wäre das dann eine elegante Lösung.
Urban hat geschrieben: Ich habe zwar eine Idee, konnte sie leider nicht, bzw. noch nicht verifizieren.
Wie lautet denn Deine Idee ?

Gruß
Peter

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praezis
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Re: Ein Marinechronometer mit einer besonderen Unruh!

Beitrag von praezis » Mi 17. Jul 2013, 13:53

Nachdem ich mich da mal reingedacht habe, denke ich auch, dass das Ziel der Konstruktion ist: leichterer Abgleich der Temperaturkompensierung durch gleichzeitiges und schnelles Verdrehen der Gerwichte.

Als Nachteile sehe ich aber:
- wesentlich größere Gewichte durch ihre Lage weiter innen, im Vergleich mit Gewichten auf dem Reif, bei gleichem Trägheitsmoment. Dadurch wird die Verformung der Reifen durch Fliehkräfte deutlich verstärkt.

- Zusätzlicher Druck auf die Reifen durch die Federn. Bewegung der Reifhälften nach aussen wird unterstützt, nach innen gehemmt. Evtl. hat das sogar einen positiven Effekt auf den Sekundärfehler, vielleicht aber auch nicht...

- die von Frank erwähnte Reibung am Berührpunkt zwischen Gewicht und Reif. Sie wird in Richtung aufgeschnittene Enden immer stärker. Dadurch wird die freie Bewegung der Reifen infolge Temperaturänderung gehemmt, vermutlich erfolgt sie nur in Sprüngen. Vielleicht der gravierendste Nachteil, der die Konstruktion unbrauchbar machen könnte.

Gruß,
Frank
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Urban
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Re: Ein Marinechronometer mit einer besonderen Unruh!

Beitrag von Urban » Mi 17. Jul 2013, 19:24

Liebe Freunde der Chronometrie,

zunächst möchte ich mich ganz herzlich für den freundlichen Empfang im DGC Forum und die vielen Zuschriften bedanken.

Analoges gilt für die Unterstützung in der Bewältigung meiner Anfangsschwierigkeiten.

Die aufgeworfenen Fragen und Einlassungen werde ich sorgfältig beantworten und auch noch weiter Fotos einstellen.
Allerdings benötige ich dazu etwas Zeit, die mir hoffentlich alsbald zur Verfügung steht. Ich bitte also um etwas Geduld!?

Einen Vorteil der vorliegenden Konstruktion sehe ich in der Tat auch darin, dass die Massegewichte wenn verschoben, immer gleichmässig verschoben sind. (Eine kleine Einschränkung besteht aber darin, dass die Gewichtchen genau gleich schwer sein müssen und der Unruhreif exakt rund zu sein hat.) Dies kann sich Wildschiödtz m. E. aber nicht als einzigen Vorteil vorgestellt haben. Ich liebäugle hingegen mit der Idee, dass es ihm um den sog. "Sekundären Temperaturfehler" ging. Um das zu untermauern, muss ich etwas ausholen. Also nochmals die Bitte um etwas Geduld!

Urban

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Re: Ein Marinechronometer mit einer besonderen Unruh!

Beitrag von KleineSekunde » Mi 17. Jul 2013, 21:30

Hallo Urban,

auch von meiner Seite aus noch ein herzliches Willkommen im DGC-Forum und viel Spaß und Erfolg! Vielen Dank auch für die vorgestellte Uhr und die interessante Fragestellung.
Urban hat geschrieben:Ich liebäugle hingegen mit der Idee, dass es ihm um den sog. "Sekundären Temperaturfehler" ging. Um das zu untermauern, muss ich etwas ausholen. Also nochmals die Bitte um etwas Geduld!
Ich würde mich jedenfalls freuen, hier weitere Berichte zu Ideen und Vermutungen zum Hintergrund zu der gewählten Lösung zu lesen. Ausreichende Geduld ist da - sicherlich auch bei den anderen Teilnehmern - durchaus vorhanden, also überhaupt kein Problem.

Schöne Grüße

Guido / KleineSekunde

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Re: Ein Marinechronometer mit einer besonderen Unruh!

Beitrag von Typ1-2-3 » Mi 17. Jul 2013, 21:49

Zu Peter (Petsch): Das gleichmäßige gleichzeitige Verschieben der Gewichte ist kein Problem, wenn man das nach Helwig macht. Daher sehe ich das nicht als Vorteil dieser Konstruktion. Und das geht bei den konventionellen Unruhen so:

Man nehme 1 zusätzliches, gleiches Gewicht (A) und setze das genau neben das Gewicht, was schon auf der Unruh vorhanden ist (B). Man schraube es dort fest, genau daneben, mit Berührung. Dann nehme man das Gewicht B ab und schiebe zwischen A und B ein dünnes Blech. Jetzt befestigt man B mit dem Blech dazwischen. Dann wird A wieder abgeschraubt. So hat man das Gewicht B genau um die Blechdicke versetzt. Auf der anderen Seite wiederholt man das Gleiche.

Ist zwar vielleicht etwas umständlicher, aber wenn man sich überlegt, wie viel Arbeit ein Seechronometer macht, um feinreguliert zu werden, ist die vorliegende Konstruktion kein echter Vorteil und nur eine marginale Arbeitsersparnis.

Frank

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